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Zeitzeuge Anschlussdenkmal

Die späte Wandlung eines Denkmals

Konzeptentwurf für eine manifeste Neubestimmung des Anschlussdenkmals in Oberschützen: Peter Wagner mit Rabold und Co. / April 2018

Am 21. September 2018 im Zuge einer Beiratssitzung in der Gemeinde Oberschützen vorgestellt und von diesem, wie vom Bürgermeister am 23. September 2018 per Mail mitgeteilt, abgelehnt.

1.    
Wir sind gegen eine simple Umbenennung eines Denkmals, das sowohl in der Region als auch in der österreichischen Zeitgeschichte als das „Anschlussdenkmal von Oberschützen“ begrifflich etabliert ist. Das Anschlussdenkmal ist das Anschlussdenkmal und wird durch Begriffsumwandlungen wie „Bedenkmal“ oder „Mahnmal“ nicht zwangsläufig zu etwas anderem als dem „Anschlussdenkmal“. Allerdings schlagen wir vor, durch eine Zusatzbenennung der ursprünglichen Bedeutung des Denkmals eine Wende zu geben. Wir stellen zu diesem Zweck einen Begriff ins Zentrum der Neubenennung, der in der Aufarbeitung der Nazi- und Kriegsvergangenheit in Österreich von nicht unwesentlicher Bedeutung war und ist: den des „Zeitzeugen“. Damit wird bereits signalisiert, dass die inhaltliche Neuorientierung des Baus keine weiterhin mythologisierende, sondern tatsächlich aufklärende Funktion hat. Das Anschlussdenkmal von Oberschützen mag daher in Zukunft „Zeitzeuge Anschlussdenkmal“ heißen. Als alternative Namen schlagen wir vor: „Erinnerungsort Anschlussdenkmal“ oder „Erinnerungsort Oberschützen“.

2.    
Da der erhaltene Bau von einer architektonischen Einfachkeit und Klarheit sowohl in Architektur als auch deren inhärenter Botschaft ist, bedarf, um tatsächlich wirken zu können, auch das Konzept zu seiner Neudefinition der Einfachkeit, Klarheit und Schnörkellosigkeit: Es muss dies die Antwort einer Haltung sein, die ebenso entschieden ist wie die dem Entstehen des Baus ursprünglich zugrundeliegende. Wir verzichten daher in der Folge auf ausführliche Begründungen der einzelnen Punkte, wiewohl es diese gibt, um einzig das Wesentliche unseres Projektes hervorzukehren.

3.    
Wir verändern den Bau optisch nicht – und doch verändern wir ihn in seiner inhaltlichen Ausrichtung diametral. Dazu gehen wir in die Tiefe.

4.    
Wir schaffen einen „Untergrund“, der uns Gründe liefert, das Bauwerk anders zu erfassen als in seiner ursprünglichen Konnotation und somit unser Denken zu korrigieren, zu erweitern, zu bestätigen – jedenfalls aber in jeder Hinsicht zu vertiefen.

5.    
Wir ziehen also eine zweite Ebene unter das Bauwerk, wir eröffnen einen Raum, der von außen nicht sichtbar und nur von dem erfahrbar ist, der ihn betritt. Höhlen aber erweckten immer schon das Interesse der Menschen: Man fühlt sich instinktiv zu ihnen hingezogen und versucht, ihr Inneres zu erleben und zu erforschen.

6.    
Wir steigen eine Treppe ca. 4 Meter direkt unter den Bau hinab. Sie ist überdacht und beginnt bereits außerhalb des Säulenkranzes. Sie ist eher flach gehalten und jedenfalls so breit, dass sie auch eine Aufzugsmöglichkeit für Rollstühle bietet. An ihrem Absatz angelangt, geraten wir nach einer 90gradigen Biegung in einen „Saal“ von etwa 6 mal 6 Metern und 3-3,5 Metern Höhe.

7.    
Hier, in diesem Bunkersaal, bunkert der Kern des Dramas, von dem wir erzählen: Und wir erzählen es nicht nur pragmatisch aufklärend, sondern im mentalen Ambiente des sinnlich-emotional erfahrbaren Untergrunds: Dies kann für die emphatische Erreichbarkeit speziell junger Menschen von entscheidender Bedeutung sein.

8.    
Sobald wir am Fuße der Treppe, beleuchtet durch einen Bewegungsmelder, angelangt sind und die Drehung zu dem sich öffnenden „Saal“ vollzogen haben, stehen wir einem auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes installierten Eisernen Tor in den Ausmaßen von 4 Metern Breite und 2 Metern Höhe gegenüber.

9.    
Dieses Tor, bestehenden aus zwei Torflügeln und bereits dem Rost ausgesetzt, suggeriert einen deutlich erkennbaren Zugang zu einem anderen Raum. Es ist jedoch unmöglich, es zu öffnen, da es versperrt ist. Ja es ist nicht nur versperrt, es ist überhaupt zugeschweißt.

10.    
Das Tor ist das Zentrum unserer Mitteilung. Auf ihm ist, in erhabenen Buchstaben gesetzt, folgender Text zu lesen (Vorschlag):

SIE STEHEN HIER VOR DEM VERSCHLOSSENEN TOR ZU EINEM VERSCHLOSSENEN RAUM. ES IST DER RAUM DES ABGRUNDS DER MENSCHLICHEN VERMESSENHEIT.

DAS DENKMAL, UNTER DEM SIE SICH BEFINDEN, WAR DEM ANSCHLUSS ÖSTERREICHS AN DAS DEUTSCHE REICH IM JAHR 1938 GEWIDMET – UND SOMIT EINER GEISTESHALTUNG, DIE LETZTLICH IN DEN AUSBRUCH DES 2. WELTKRIEGES MÜNDETE. DAS HERRENMENSCHENTUM DER NATIONALSOZIALISTEN ZEITIGTE ÜBER 50 MILLIONEN TOTE. ANNÄHERND SIEBEN MILLIONEN MENSCHEN WURDEN AUS RASSISCHEN UND IDEOLOGISCHEN GRÜNDEN IN DEN KONZENTRATIONSLAGERN DER NAZIS DER SYSTEMATISCHEN VERNICHTUNG UNTERZOGEN.

AN DIESER STELLE SOLL ALL DER OPFER DER GROSZEN MENSCHHEITSKATASTROPHE DES 20. JAHRHUNDERTS GEDACHT WERDEN. AUF DASS SICH DIESES TOR NIE WIEDER ÖFFNE!

Dieser Text ist in mehrere Sprachen übersetzt, darunter auch ins Hebräische.
Die Übersetzungen sind entweder am Tor selbst platziert oder auf einer Tafel daneben.

11.
Der „Saal“ ist, ebenfalls verursacht durch den Bewegungsmelder, durch einfache Wandleuchten eher bescheiden beleuchtet. Sie sind neben dem „Tor“ das absolut einzige Interieur des Raumes. Hier, in dieser Unterwelt, der Vorkammer des Hades, sollte man mit sich und seinem Empfindungen alleine sein / alleine sein können/dürfen/müssen.

12.
An der Bundesstraße ist eine aus beiden Fahrtrichtungen gut sichtbare Hinweistafel mit der Aufschrift „Zum ZEITZEUGEN ANSCHLUSSDENKMAL in Oberschützen“ installiert.

13.    
Der „Zeitzeuge Anschlussdenkmal“ (Bau über Tag und neu geschaffenes Untergeschoss) sollte durch keinerlei deskriptive Schriften bzw. erläuterndes Bildmaterial in seiner architektonischen Klarheit durchbrochen werden. Selbstverständlich aber ist es möglich, museumsdidaktischen Herausforderungen zu entsprechen, sofern dies von den Bauherren des neuen Erinnerungsortes gewünscht wird.

14.    
Zu diesem Behufe ist es möglich, sich zeitgemäßer Möglichkeiten der Kommunikation zu bedienen, indem etwa über von Smartphones lesbaren QR-Codes Informationen zum zeitgeschichtlichen Hintergrund einerseits, zur Geschichte des Denkmals mit den von aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten lukrierten Ergebnissen abgerufen werden.

15.
Dazu ist die Erstellung einer eigenen Website für den Erinnerungsort Anschlussdenkmal unerlässlich, aber sie ist ohnehin in jedem Fall geboten. Gewisse Sendepunkte (Punkt 16) leiten über den jeweiligen QR-Code an einzelne Kapitel weiter, wie sie an den Sendepunkten angekündigt sind. Nennt sich ein Sendepunkt etwa „Entwicklung der Ersten Republik von 1918 bis 1934“ oder „Der Austrofaschismus“ oder „Die Nationalsozialisten in der Illegalität“, so wird das Smartphone über den QR-Code am Sendepunkt direkt an das entsprechende Kapitel auf der Website des Erinnerungsortes Anschlussdenkmal verlinkt.

16.
Die Sendepunkte sind in schweren, aus Eisen oder Stein oder Beton gefertigten Quadern in der maximalen Größe von 1x1x1 Meter am Weg von der Abbiegung von der Bundesstraße bis zum Erinnerungsort Anschlussdenkmal in annähernd gleichen Abständen verankert. Auf diesen Quadern befinden sich auch die jeweiligen Kapitelüberschriften. Natürlicb kann man auf diesen Quadern auch umfangreichere Textpassagen (auch mit Bildmaterial) platzieren – diese Entscheidung muss gemeinsam mit den Personen fixieren, die für eine geschichtliche Aufarbeitung verantwortlich sind.
Einerseits sind diese Quader wie Punkte in einer Reihe oder Linie, die direkt zum Erinnerungsort führen. Andererseits sind sie auch eigene architektonische Gebilde, die wie altgediente, weil auch nicht völlig gerade dastehende Wegmarkierungen eine Art Geschichtslinie bilden, die eben nicht völlig geradlinig, sondern in sich verschoben, verworfen, wiederentdeckt dastehen und den archaischen Weg einer nur noch rudimentär auffindbaren Geschichte markieren. Dennoch sind sie alle mit „Inhalt“ befüllt und führen, wenn man die von ihnen ausgestrahlte Codierung weiterverfolgt, zu einem der vielen Aspekte wissenschaftlich aufgearbeiteter Geschichts- und Wissensvermittlung.

17.
Sollte die Neugestaltung des ursprünglichen Anschlussdenkmals einmal so weit gediehen sein, dass man ernsthaft an ihre Realisierung denkt bzw. denken kann - wie immer sie dann aussehen mag -, sollten selbstverständlich auch museumspädagogische Konzepte für Führungen (SchülerInnen, interessierte Gruppen, PädagogInnen etc.) entwickelt werden. In diese Arbeit sollten unserer Meinung nach dafür prädestinierte Personen oder Institutionen eingebunden werden.

Sehr geehrter Herr Wagner,
sehr geehrte Frau Rabold,

Als Vorsitzender des Beirates "Anschlussdenkmal" der Gemeinde Oberschützen möchte ich mich aufrichtig für Ihr großes Engagement bedanken. Sie haben durch Ihr Konzept und die professionelle Präsentation samt anschaulicher Broschüre erneut spüren lassen, dass Ihnen der Umgang mit dem „Anschlussdenkmal“ und die Zukunft des Bauwerks tiefgehende persönliche Anliegen sind.
Eine der Absichten Ihres besonders aufwändigen Gestaltungskonzeptes, mit dem "Gang in den Untergrund" emotional starke Wirkung zu erzielen, hat bei mehreren Mitgliedern des Beirates Anklang gefunden. Auch Ihre mit Nachdruck vorgebrachte Ansicht, dass die Zeit nunmehr reif und besonders günstig sei für eine "große Lösung", nämlich eine national wie international beispielhafte Kontextualisierung des „Anschlussdenkmals“, wird von vielen im Beirat geteilt.  
In der Frage, wie nachhaltig eine ausdrucksstarke und emotionalisierende Inszenierung und künstlerische Intervention den Bau permanent und "für die Ewigkeit" prägen soll, waren und sind die Meinungen geteilt. Die Gemeinde ist "nur" 30 Jahre lang Pächterin des Areals.
Nach ausführlicher und sehr offen geführter Diskussion setzte sich im Gremium die Meinung durch, eine andere Gestaltungsvariante ins Auge zu fassen.
Ideen wie die Ihren wollen wir allerdings nicht ad acta legen. Unter anderem ist in der langfristigen Planung, für einen späteren Zeitpunkt, angedacht, künstlerische, symbolische, kreative und kritische Auseinandersetzungen mit dem Bau und seiner Geschichte in temporären Aktionen umzusetzen.
Mir ist es wichtig, zu betonen, dass Ihr Bemühen um eine zeitgemäße Gestaltung des „Anschlussdenkmals“ respektiert wurde und wird, auch wenn wir den von Ihnen vorgelegten Entwurf nicht umsetzen können.

Mit freundlichen Grüßen
Hans Unger
Bürgermeister

Die in diesem Konzept angeführten Gedanken, Ideen, Konzepte und Layouts sind geistiges Eigentum von Peter Wagner und RABOLD UND CO. / Eveline Rabold und unterliegen den geltenden Urhebergesetzen. Die Verwirklichung von Ideen und Ideenansätzen ist nur mit vorheriger vertraglicher Vereinbarung mit dem Rechteinhaber möglich. Im Falle der Realisierung – auch nur von Teilen dieses Konzeptes – werden marktübliche Lizenz- bzw. Beratungsgebühren fällig.