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MEIN HERZ IST WIE EIN STEIN

Inszeniertes Oratorium als Beitrag zu den Menschenrechten
nach drei von Peter Wagner ausgewählten Texten von Sitting Bull, Winston Churchill und Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai.
Uraufführung: Stift Viktring, Arkadenhof / 21. Juli 2017 / 20:00 Uhr

Gustav Mahler Kompositionswettbewerb der Stadt Klagenfurt 2017
KomponistInnen:
Teil 1: Katharina Klement, A / Teil 2: Krzysztof Knittel, Pl / Teil 3: Otto Wanke, Cz

Mitwirkende – Chor: Nadia Petrova, Christa Maurer, Sopran; Waltraud Russegger, Karin Riessner, Alt; Bernd Lambauer, Michael Paumgarten, Tenor; Gerd Kenda, Walter Testolin, Bass; Paul Gulda: Cembalo; Margit Kern: Akkordeon; Wolfgang Mitterer: Keyboard, Electronics; Anton Feinig: Hammond Orgel, B3; Igor Gross: Schlagwerk
Ausdruckstanz: Saskia Hölbling; Zwischentexte: Angelika Mautz; Kostüme: Bella Ban
Idee, Dirigat und musikalische Gesamtleitung: Christoph Cech
Konzept und Inszenierung: Peter Wagner

ZUM KONZEPT

Am 10. Dezember 1948 wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verkündet. Sie enthält grundlegende Ansichten über die Rechte, die jedem Menschen zustehen, „ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“ – unabhängig auch davon, in welchem rechtlichen Verhältnis er zu dem Land steht, in dem er sich aufhält; auch wird neben der Würde und dem Wert der menschlichen Person die Gleichberechtigung von Mann und Frau als grundlegendes Menschenrecht betont.

Seitdem ist die Diskussion über die tatsächliche Effizienz der Erklärung nie verstummt. Zum einen ist sie kein völkerrechtlicher Vertrag und daher als solcher nicht verbindlich; zum anderen beweisen Hunderte von Kriegen und Konflikten mit massivsten Menschenrechtsverletzungen seit damals, dass die Absicht der Erklärung mehr auf dem Papier zu existieren scheint als in der Praxis macht-, sozial- und wirtschaftspolitischer Entscheidungen rund um den Globus.

Auf theoretischer Seite wird u.a. kritisiert, dass die Proklamation zu einseitig auf die von westlichen Werten geprägten Kulturen ausgerichtet sei, wobei deren Verhältnis durch den Primat geopolitischer Macht- und Wirtschaftsinteressen ein zumindest doppelbödiges, wenn nicht geheucheltes sei. Die Untersuchung der Praxis der Menschenrechte ist hingegen naturgemäß eine Feststellung der weltweiten Verletzung eben dieser Rechte durch die nach wie vor existierenden kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen und teilweise auch religiösen Parameter einzelner Strukturen innerhalb staatlicher, militärischer und weltanschaulicher Verbände, aber auch multinationaler geschäftlicher Interessen und deren Handhabung rücksichtsloser Ausbeutung von Mensch, Tierwelt und Natur. 

Als ich gebeten wurde, über ein Konzept für das Musikforum Viktring zu den „Menschenrechten“ nachzudenken, faszinierte und beängstigte mich sogleich die Größe des Themas. Meiner Meinung nach kann und soll ein künstlerisches Unternehmen die Wirklichkeit nicht nachstellen oder sie mit den Mitteln der Kunst einer so oder so realistischen Betrachtung unterziehen. Ich habe zahllose solcher Versuche, allesamt gut gemeint und fast ausnahmslos einer aufklärerischen Absicht folgend, scheitern gesehen, mehr der Tränendrüse naherückend als den emphatischen Entdeckergeist des Publikums provozierend.

Dennoch bin ich der Ansicht, dass ein künstlerisches Unternehmen - sofern es sich denn einem konkreten gesellschaftlichen Thema widmet, was hier eindeutig der Fall ist - einen „Nerv“ treffen kann . Und auch soll. Es wäre eine Option gewesen, aus dem unüberschaubaren Pool von Menschenrechtsverletzungen (u.a. dokumentiert von Humans Right Watch) mehr oder weniger bekannte oder auch unbekannte Beispiele auszuwählen und damit sowohl den KomponIstinnen als auch dem Publikum das Martyrium der Welt als die Realität der Welt anzuempfehlen.

Dennoch bin ich der Ansicht, dass ein künstlerisches Unternehmen - sofern es sich denn einem konkreten gesellschaftlichen Thema widmet, was hier eindeutig der Fall ist - einen „Nerv“ treffen kann . Und auch soll. Es wäre eine Option gewesen, aus dem unüberschaubaren Pool von Menschenrechtsverletzungen (u.a. dokumentiert von Humans Right Watch) mehr oder weniger bekannte oder auch unbekannte Beispiele auszuwählen und damit sowohl den KomponIstinnen als auch dem Publikum das Martyrium der Welt als die Realität der Welt anzuempfehlen.

Ich habe mich für einen anderen Zugang entschieden: In einer Art musikalisch-chorischem Triptychon, inszeniert als ein durch andere Kunstsparten (schauspielerische Rezitation, Ausdruckstanz, Film; aber auch musikalische Improvisation) ergänztes Oratorium, werden einerseits die je eigenen Zugänge der ausgewählten KomponistInnen zu einem existenziellen, globalen Thema präsentiert, andererseits aber auch sowohl Opfer- als auch Täterpositionen schlaglichtartig beleuchtet. Letzteres soll insbesondere als Hinweis darauf verstanden werden, wie komplex sich die Betrachtung des Themas gestalten muss und wie schwierig, ja womöglich aussichtslos die Vision einer in sich emanzipierten Menschheit an den Gegebenheiten ebendieser Menschheit verwirklichbar ist bzw. sein wird.

Gerade unter diesem Aspekt wurde für mich der Entwurf von der so poetischen, analytischen und visionären Rede des Indianerhäuptlings Sitting Bull über die Weltherrschaftsgelüste eines Winston Churchill - der immerhin maßgeblich an der Niederringung der Weltherrschaftsgelüste des deutschen Faschismus mitgewirkt hatte - bis hin zur Rede der Menschenrechtsaktivistin Malala Yousafzai, die als Opfer eines Anschlags der Taliban letztlich nicht nur überlebt, sondern zu einer Symbolfigur des Widerstands gegen den Terror wurde, zu einem dramaturgisch schlüssigen Fluidum.

Peter Wagner


PRESSE

gustav mahler kompositionspreis
Ein Gesamtkunstwerk im Dienst der Menschenrechte

Spannende Uraufführung beim Musikforum Viktring Uraufführung des aus Preisträgerwerken des Mahler-Kompositionspreises zusammengesetzten Oratoriums.

Während im Sommer andernorts oft die mehr oder weniger seichte Unterhaltung dominiert, setzt das Musikforum Viktring auf Qualität und Anspruch. Was am Freitagabend geboten wurde, übertraf so ziemlich alles bisher dort gehörte. Zunächst ein unglaubliches Jazztrio, bestehend aus Klavierlegende Dieter Glawischnig, Workshopleiter Peter Herbert am Bass und Ex-Viktring-Schüler Vito Leszak am Schlagzeug, das sich musikalisch zwischen dem aufkeimenden Freejazz der frühen 1960er-Jahre und dem gelegentlichen hymnischen Innehalten des Keith-Jarrett-Trios bewegte.

Danach das Preisträgerkonzert des heurigen Gustav Mahler Kompositionswettbewerbs. Diesmal wurden die Kompositionen der Österreicherin Katharina Klement, des Polen Krzysztof Knittel und des Tschechen Otto Wankte von Peter Wagner zu einem dreiteiligen „Oratorium“ gestaltet. „Angebetet“ wird hier allerdings nicht Gott, sondern die Instanz der Menschenrechte, die heute leider viele vergeblich anrufen. Titel: „Mein Herz ist wie ein Stein“.

Am für den Durchschnittshörer gefälligsten gelang das im ersten Teil, in dem Katharina Klement eine Rede des Sioux-Häuptlings Sitting Bull, vertonte. Von böse flüsterndem Rauschen von Chor und Akkordeon bis zum frenetischen Ende eine einzige Anklage gegen die westlich-kapitalistische Lebensweise. Krzysztof Knittel setzte sich sehr komplex mit den für heutige Ohren fast zynischen Worten des britischen Kriegskanzlers Churchill auseinander, der empfiehlt, doch den saturierten Nationen die Herrschaft zu übergeben. Sie hätten kein Interesse, nach mehr zu streben. Eingängiger und emotionaler dann die tonale Umsetzung der berührenden UN-Rede von Friedensnobelpreisträgerin Malala.

Projektionen, begleitende Texte und die Tänzerin Saskia Hölbling machten das Gesamtkunstwerk perfekt. Der individuell zusammengestellte Chor leistete Übermenschliches, die Begleitmusiker (Schlagwerk, Cembalo, Hammondorgel, Elektronik) rekrutierten sich aus Workshopleitern und Freunden des Musikforums. 

Gilbert Waldner, Kleine Zeitung