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Sucht und Ordnung – Fett Blanche Farce

Die Inszenierung

Ein Stück von Karsten Krampitz
Uraufführung 


Regie, Bearbeitung, Bühnen-, Licht- und Videokonzept: 
Peter Wagner
Musik: Primus Sitter
Mit: Gerhard Lehner, Josef Oberauer, Erich Pacher, 
Gernot Piff, Peter Raab, Oliver Vollmann 

Regieassistenz: Alina Zeichen 
Korrepetition: Davorin Mori 
Kostüme: Tina Perisutti, Christina Jakl 
Produktionsleitung: Tina Perisutti 
Bühnenbau, Licht: Gottfried Lehner 
Ton-, Videoeinspielung: Christoph Bürger 
Kamera: Bernd Pfingstmann, Gero Lassnig 
Hospitanz: Kerstin Haslauer, Anja Wohlfahrt 
Fotos: Günter Jagoutzr 
Büro: Franz Doliner
Dank an Dieter Kienberger und das Offene Haus Oberwart (OHO)
Eine Produktion des klagenfurter ensemble

Premiere: 1. Oktober 2014, klagenfurter ensemble

Fragen an den Regisseur Peter Wagner


gestellt von Maja Schlatte

Sucht und Ordnung von Karsten Krampitz riecht, schmeckt und tönt nach scharfer Gesellschaftskritik. Der interne Arbeitstitel (Bettlerstück) bestätigt die Marschrichtung. Ist Krampitz-Kritik deckungsgleich mit der Kritik von Peter Wagner? Sie haben ja auch bei der Fete blanche Ihr Vidoematerial für die Inszenierung gedreht.
Meine Gedanken gehen nicht direkt in Richtung Kritik, weil Kritik das ist, was sich ein Publikum selbst rausholen sollte aus einem Stück. Meine Absichten gehen eher in Richtung Farce, und zwar durchaus im formalen Aufbau der Inszenierung, für die mir Karsten Krampitz weitläufige Freiheiten gewährt bzw. diese auch eingefordert hat. Und gerade in diesem streng formalen Sinn wäre für mich die Inszenierung eines Stücks, in dem zwei Bettler die Hauptfiguren geben, ohne Brüche nicht denkbar, zumal eine Gesellschaft, die uns Wohlstand vorgaukelt, keine Gesellschaft ohne Brüche sein kann, wenn sie auf der anderen Seite sicht- und spürbares Elend produziert bzw. zulässt. Meine Inszenierung arbeitet also mit Versatzstücken unterschiedlicher, von ihrer gesellschaftlichen Wertigkeiten her diametral entgegengesetzt angesiedelter Klischees, die teilweise bis ins Absurde überhöht und verfremdet sind, um Risse und Brüche als Kulinarium eines eitlen, tendenziell aber (selbst)mörderischen Gesellschaftsgefüges wenn schon nicht sichtbar, so doch spürbar zu machen. Diese paradoxen Parameter habe ich fast exemplarisch bei der Fete Blanche vorgefunden, wo uns ein Dreh mit den Darstellern gestattet wurde: abgefuckte, rissige, brüchige Location mit rein in Weiß herausgeputzten Menschen in der Pose rauschhafter Massenware. Eine verrückte Sache fürwahr und - ohne dass dies dem massenhaft herbeiströmenden, meist jugendlichen Publikum bewusst wäre - auch eine subtil stimmige! Davon habe ich mich jedenfalls inspirieren lassen.


Sie haben zuletzt  beim Klagenfurter Ensemble Stille im Dramolettenwald nachTexten von Antonio Fian inszeniert, mit reiner Frauenbesetzung. Bei Sucht und Ordnung agieren nur Männer. Für Sie – eine logische Entwicklung?
Entwicklung nicht unbedingt, aber eine interessante und wichtige Erfahrung! (lacht) Welche logischen und welche überraschenden Unterschiede in der Entwicklung der Inszenierungen haben sich für Sie aus >dem kleinen Unterschied< ergeben?
Ich könnte die Frage vielleicht stimmiger beantworten, ließen sich die beiden Stücke auch nur annähernd vergleichen. Das ist aber nicht der Fall. Fian war die in jedem Fall härtere Herausforderung, weil ja seine Dramolette das Theater bzw. dessen Dramaturgie nur behaupten, in Wirklichkeit aber komplexe und teils schwierige literarische Texturen sind, an denen sich der naiv intendierte theatralische Ansatz auch die Zähne ausbeißen kann. Umso erfreulicher war es dann, diese Herausforderung mit den fünf Frauen letztlich zum Gefallen des Publikums bewältigt zu haben, auch wenn die direkte Probenarbeit nicht immer ganz einfach war: Frauen scheinen - und bei dieser schwierigen literarischen Vorgabe ganz besonders - anders zu hinterfragen, was sie da eigentlich tun. Manchmal sogar so sehr, dass sie sich selbst im Weg stehen. Aber der Ehrgeiz, in die tiefsten Schichten des Erfahrbaren einzudringen, war für mich unverkennbar - und auch äußerst faszinierend, weil es ja in der Szene selbst keinen männlichen Widerpart gegeben hat und viele Dinge, meiner bescheidenen und männlich geprägten Einschätzung nach, sehr pur aus einer direkten weiblichen Energie herausgeflossen sind. Ich habe mich nicht nur einmal dabei erwischt, dass ich einfach nur fasziniert zugesehen und aufs Regieführen fast vergessen habe. Gottseidank nur fast. (lacht)
Der Krampitz-Text ist ein vollkommen anderer literarischer und dramatischer Ansatz. Bei Krampitz hat man das Gefühl, er möchte die Welt so gerne retten. Das lasse ich aber nicht zu! (lacht) Und es sind nun also sechs Männer, die das Stück schmeißen. Das ist in der Tat eine andere Welt und eine vollkommen andere Arbeit. Und die Männer, mit denen ich das umsetzen darf, holen mit all ihrem knurrenden Grimm und ihrer mitunter gar nicht mehr zügelbaren Energie zu einem lustvollen Theaterabenteuer aus. Wenn Männer, diese prädestinierten Selbstzerstörer, sich einen Spaß machen wollen, kann das durchaus grenzwertig, ja abgründig werden. Und mir selbst gefällt es, mit dieser Grenzwertigkeit in so ziemlich allen Facetten zu spielen, die uns am Theater zur Verfügung stehen. Das macht auch mir Spaß, ist aber für mich als Regisseur um nichts weniger anstrengend als irgendeine andere Theaterarbeit. Denn selbstverständlich zehren auch die Stunden nach der Probe an der Theke an den Kräften. (lacht) Diese Stunden gab es mit den Damen in der Fian-Inszenierung jedenfalls nicht …

Beide Stücke arbeiten musikalisch mit dem Kärntner Melos – als Wachs in der Hand des Komponisten Primus Sitter. Wie erleben Sie die Zusammenarbeit der Musiker Sitter und Wagner?
Ich folge ihm und er folgt mir. Da greift eins ins andere. Mir gefällt das: Wir reden oft nur wenige Sätze über das, was wir voneinander wollen. Dabei kennen wir uns noch nicht einmal ein halbes Jahr. Ist schon was Beglückendes, wenn man sich auf eher intuitiver Ebene versteht. Und das Primus nicht nur ein Weltmusiker ist, sondern auch ein Ur-Kärntner, hat die Zusammenarbeit nur umso fruchtbarer und effizienter gemacht. Und das reicht auch als Antwort auf diese Frage …


Es verlautet, dass Sie 2015 beim klagenfurter ensemble  Thomas Dylans >Unter dem Milchwald< inszenieren werden. Was bedeutete dieses Stück für Sie bisher? Sehen Sie es jetzt als logischen Abschluß einer >Trilogie<, im Zusammenhang mit den beiden Inszenierungen 2014? Und – wird es nach diesem Hattrick die theatertheoretischen Überlegungen auch schriftlich geben?
Dylan Thomas ist der nächste, wieder komplett anders gelagerte Fall. Ich habe "Unter dem Milchwald" vor gut dreieinhalb Jahrzehnten das erste und letzte Mal gelesen. Wenn einem ein Text nach so langer Zeit so derart als Dauerfaszinosum erhalten bleibt, dann heißt das schon etwas! Jetzt habe ich mal eine gewisse Vorfreude verbunden mit einer gewissen Angst, diesem als Hörspiel (meinem ersten literarischen Terrain als Schriftsteller!) angelegten Stück erneut zu begegnen - und wenn ich von einer gewissen Angst spreche, so ist diese tatsächlich ziemlich real: Plötzlich als Regisseur Hand an einen in mir als Heiligtum existierenden Text zu legen, das wird eine ganz neue Erfahrung für mich sein …. über alles weitere spreche ich frühestens dann, wenn ich mitten in dieser Erfahrung stecke.

Pressestimmen

Hedonistische Revue mit allerlei Bettlern

Das "klagenfurter ensemble" hat mit "Sucht und Ordnung" von Karsten Krampitz großen Spaß.
Der Bühnenraum des "ke"-Theaters: eine Projektionsfläche aus Leintüchern mit filmisch eingespielten Partyszenen. Im Zentrum: ein Tisch wie bei Leonardos "Letztem Abendmahl". Ihn umspielt ein turbulentes Männersextett in Weiß. "Mir ist, als ob es tausend Autos gäbe und hinter tausend Autos keine Welt", sagt einer der beiden Straßenbettler, die Karsten Krampitz in den Mittelpunkt von "Sucht und Ordnung" gestellt hat. Regisseur Peter Wagner hat die satirische Klagenfurt-Hommage des ehemaligen Stadtschreibers zur "Fett Blanche Farce" verwandelt, die in einer Mischung aus absurdem Theater, Stadtrichter-Klamauk und Brechtschem Weihespiel den Hedonismus und die Bettlerphobie unserer Gesellschaft aufs Korn nimmt. Ein gewagter Grenzgang.
80 Minuten lang lässt der Regisseur mit viel Lokalkolorit (1-Euro-Frau etc.) Armut und Wohlstand aufeinanderprallen. Hier wie dort dient Alkohol als soziales Schmiermittel, herrscht Sucht und Ordnung, hergestellt durch zwei Herren der Stadt-Security, kurz SS genannt, die den "Schmarotzern" das Schmalz aus den Ohren singen. Während der Bürgermeister rappend die vielen Löcher seiner Stadt zu stopfen versucht und selbst um Wählerstimmen bettelt, tun sich bei seinen illegalen Kollegen Abgründe eher selten auf. Der eine bös, der andere versoffen, monologisieren die beiden Bettler aneinander vorbei und gehen mit Rilke-Paraphrasen oder Biermann-Refrains hausieren. Der Preis solcher Stilisierung ist ein Verlust an Tristesse und gesellschaftspolitischer Brisanz, auch wenn das heitere Uraufführungs-Happening mit einer Leiche endet.

Zusammengehalten wird der kurzweilige Abend durch exzellente Musikarrangements von Primus Sitter, die vom spielfreudigen Ensemble rund um Gerhard Lehner und Oliver Vollmann kongenial in Szene gesetzt werden. Lachnummer des Abends ist die ergreifende Trauerrede des Bürgermeisters auf den "namenlosen Helden der Straße", die sinngemäß mit den Worten endet: "Wir sind alle nur Gast auf dieser Welt. Besonders schön ist es aber, in Klagenfurt Gast gewesen zu sein".

Dem aus Berlin angereisten Autor hat es sichtlich gefallen.


Erwin Hirtenfelder, Kleine Zeitung, 3. Oktober 2014

Penner-Weisheit aus Minimundus
Nimmermüd preist der Bürgermeister die Stadt in den simpelsten Floskeln. Noch am offenen Grab eines Penners lobt er die vielen vorhandenen Restaurants, die Modellwelt Minimundus und "den Europapark am Fuße des Wörthersees".
Der Penner hat sich zu Tode gesoffen, dahinter schaut eine Gesellschaftsfratze hervor: Dieser Mann, der von den Almosen lebte, hat die Erinnerung an einen gleichwertigen Anfang vergebens gesucht. Ihm ist, als ob es tausend Autos gäbe, und hinter tausend Autos keine Welt. Da war nicht einmal mehr das Bild von der eigenen Mutter.

Der Stoff, aus dem Sucht und Ordnung, die "Fett Blanche Farce" des aus Schleswig-Holstein stammenden Autors und vormaligen Klagenfurter Stadtschreibers Karsten Krampitz ist, ist durchaus ernst. Peter Wagner hat als Regisseur der Uraufführung am Klagenfurter Ensemble auch nicht gerade ein Übermaß an Lachern eingebaut. Was so unschuldsweiß als etwas zähe Revue beginnt, verdichtet sich bald zu einer durchaus bannenden Bildfolge, einer Kehrseite unserer glänzenden Konsumwelt.
Oliver Vollmann als alkoholkranker Penner und Peter Raab als sein Kumpel vermeiden allen Sozialkitsch, indem sie beide den Typus des philosophierenden Clochards verkörpern, eines galgenhumorigen Gegenpols zum Kapitalismus. An Klagenfurter Stadtkolorit ist nur so viel beigemischt, dass ein ortskundiges Publikum manches Faktotum erkennt. Trotzdem bleibt klar, die Minimundus-Stadt ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält.
Vielleicht die komischste Probe in ganz Österreich, weil die hiesige Bettlerverordnung mit der ausdrücklichen Ausnahme von Geldsammlungen im Rahmen von Brauchtumsveranstaltungen sich so grotesk liest. Man möchte der Produktion trotzdem wünschen, dass sie über das Netz der Theaterallianz auch den Weg in andere Bundesländer findet.
elce, DER STANDARD, 3. Oktober 2014