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Die verhinderte Konfrontation

Von Peter Wagner, 4. Feber 1999
Der Artikel ist als „Kommentar der anderen“ in der Tageszeitung „Der Standard“ erschienen.

Der Prozess Franz Fuchs und die Roma von Oberwart

Die Prozessdramaturgie des Angeklagten war darauf ausgerichtet, den Angehörigen der Opfer des Attentats von Oberwart im Gerichtssaal nicht begegnen zu müssen. Während er seine Tiraden losließ, warteten die als Zeugen geladenen Roma in einem Gang vor dem Gerichtssaal, der aber wiederum streng abgeschirmt war von jenem Gang, durch den man Franz Fuchs heranbrachte und wieder wegführte. 

Sie hätte ihn ursprünglich ohnehin nicht sehen wollen, sagt die Frau mit dem gefärbten roten Haar. Jetzt aber, da sie ihn ganz kurz durch einen Spalt der Türe erspäht habe, hätte sie das Gefühl, etwas versäumt zu haben. Sie hätte versäumt, ihm zuzuschreien: „Du bist der Mörder!“ Es wäre ihr leichter jetzt ...

Die Frau, Witwe eines der Toten von Oberwart und Mutter von fünf Kindern, ist erst gegen halb zehn am Abend des gleichen Tages zur kleinen Runde gestoßen, die um einen Küchentisch in der Oberwarter Romasiedlung sitzt und Cola aus der Plastikflasche trinkt. In den Tagen vor dem Prozess hatte sie unter Angstzuständen und Schlaflosigkeit gelitten. Sie hatte sich mit Valium voll gestopft, um dort in Graz überhaupt auftreten zu können. Im übrigen wolle sie nichts als ihre Ruhe, sagt die Frau und zündet sich die nächste Zigarette an.

Rückkehr zu einem normalen Leben: schon in der Äußerung dieser Utopie manifestiert sich die ganze Resignation der noch relativ jungen Frau. Das normale Leben hieße demnach auch nichts anderes als die Verdrängung des Geschehenen. Das mag das heimliche Ziel vieler anderer Roma von Oberwart sein, gleichwohl wissen die meisten nur zu genau, dass es unrealistisch ist. „Wir wärmen die Geschichte wie eine Suppe immer wieder auf“, sagt der eine Mann, „aber dir ist zum Kotzen, wenn du immer die gleiche Suppe frisst.“

„Wir können mit niemandem darüber reden, was in uns drinnen los ist“, sagt seine Frau.

„Das Attentat ist ein Tabu in Oberwart“, sagt der Bürgermeister in einem TV-Interview.

Am Tisch herrscht beredte Ratlosigkeit angesichts der Performance des Angeklagten. Aber auch angesichts der Performance der Medien. Da wird diesem Mann mit den Armstümpfen und der erschreckenden Ähnlichkeit mit Hitler auf sämtlichen TV-Bühnen eine Präsenz verschafft, die die Opfer und ihre Hinterbliebenen zur vernachlässigbaren Randerscheinung degradiert.

Wie kann es sein, fragt sich die eine Zeugin aus der Siedlung, dass aus ihrer Aussage heute Vormittag vor Gericht ein „Punkt für  („für“ bitte kursiv setzen, Anm.) die Verteidigung“ werden konnte - so verlautbarte es der ORF am Nachmittag mehrmals -, da sie doch nichts anderes gesagt hätte, als dass der Weg, auf dem die Bombe detoniert sei, fast ausschließlich von Roma benutzt würde. „Unsere Kinder haben dort immer gespielt.“

Je lauter die Erregung am Küchentisch wird, umso konsterniertere Formen nimmt sie an. Da bricht sich so vieles gleichzeitig und unkontrolliert Bahn:

Den Angehörigen in Gralla hätte man sofort nach Bekanntwerden der Verhaftung des mutmaßlichen Bombenlegers psychologische Hilfestellung angeboten. Ein Angebot dieser Art gab es bei ihnen, den Roma, wie selbstverständlich nicht. Obwohl es einige dringend gebraucht hätten.

Auch haben es die Roma von Oberwart noch immer nicht verwunden - und wer wird es ihnen verdenken! -, dass die Sicherheitskräfte unmittelbar nach dem Auffinden der vier Toten, als deren Angehörige das Unbegreifliche überhaupt noch nicht erfasst hatten, ohne jede Scham und mit der größtmöglichen Pietätlosigkeit in die Häuser der Siedlung eingedrungen waren und dort ein Bild der Verwüstung hinterlassen hatten.

Die Roma, diese mitunter so schüchternen und verängstigten, in sich zurückgezogenen Menschen, aus denen jederzeit Verschmitztheit und bare Heiterkeit angesichts des kleinsten Zeichens von Vertrauen hervorbrechen können, wären mit einer einfachen Entschuldigung zufrieden gewesen. Diese kam freilich bis zum heutigen Tag nicht.

Was wäre das für ein Zeichen gewesen, sich bei Roma zu entschuldigen - und möglicherweise nicht nur für einen polizeilichen Vandalenakt! Da ist die Reise des damaligen Bundeskanzlers nach Jerusalem ein vergleichsweise abgesichertes Unternehmen. Der burgenländische Landeshauptmann hatte schon wenige Wochen nach dem Attentat das „Thema Roma“ auf Druck seines sozialdemokratischen Funktionärskaders von der Tagesordnung gestrichen. Er zieht es seitdem vor, bei Jahrestagen des Attentates, denen so oder so nur eine bescheidene Öffentlichkeit beschieden ist, seinen Stolz darüber zu bekunden - und man darf annehmen: wider besseres Wissen -, wie gut „wir Burgenländer“ und überhaupt das ganze „demokratische Österreich“ mit diesem „unmenschlichen Verbrechen“ zurande gekommen wären.

Die Roma von Oberwart sind es jedenfalls nicht. Aber danach fragt keiner.

Ihre Ohnmachtsgefühle begründen sich denn auch zu einem erheblichen Teil in diesem fortgesetzten, massiven Verschleuderungsakt an Worten, der seinerseits wiederum nur die Ohnmacht der Politik und ihre Angst vor der Konfrontation mit dem Common sense signalisiert. Hier trifft die Mentalität der österreichischen Politik auf die Mentalität des österreichischen Terroristen Franz Fuchs: dieser versucht sich mit Wort- und Hasstiraden vor Gericht aus seiner Verantwortung hinauszukatapultieren - die Politik tut es mit schönen Versprechungen und leerem Euphemismus, um von der ihr immanenten Beziehungslosigkeit zu jeglichem (politischen) Opfer abzulenken. Feige ist beides in gleichem Maße.

Fast hat es den Anschein, als hätte der opportunistische Herr Karl seine manifeste, weniger kulinarische Kehrseite gefunden, die sich mit ihm in eine monströse Symbiose des Österreichischen verdichtet: den Gewalttäter aus Angst, der seine schreiende innere Schwäche in Selbstgerechtigkeit bis hin zum Akt des Terrors erstickt, um angesichts seiner Verantwortung wieder in sich zusammenzubrechen und fortan nach dem verschlagenen Umweg vor der fälligen Konfrontation mit seiner Tat zu suchen. Nicht deinmal den eigenen Eltern konnte er sich stellen. Oder aber: denen schon gar nicht!

Die Gründe, warum der Richter und die öffentliche Meinung (täglich alles: „Ins Irrenhaus mit ihm!“) den angeklagten Herrn Franz zum Psychisch Abnormen Rechtsbrecher verdrehen wollen, liegen, wenn schon nicht auf („auf“ bitte kursiv setzen, Anm.) der Hand, so doch unter der Hand: soviel übersteigerte Normalität des Österreichischen, wie sie Franz Fuchs repräsentiert, darf vor einem österreichischen Gericht nun doch nicht verhandelt werden. Es stünde Österreich selbst vor Gericht - wer würde das schon verkraften, der nicht gewohnt ist, im eigenen Arsch zu forschen?

Es steht zu befürchten, dass gerade aus diesem Grund ein erklecklicher Prozentsatz von Österreichern eine unbewusste Komplizenschaft mit Franz Fuchs einzugehen bereit ist – so ferne er es nicht schon getan hat.

Die Roma von Oberwart werden umso mehr mit sich alleine bleiben.

Die Unbeschwertheit der Kinder sei weg, sagt die andere Frau, sie bringe ihre beiden Kinder jeden Tag selbst in die Schule und hole sie von dort ab. Man treibe in der Siedlung immer weiter in die Isolation. Jeder fühle sich beobachtet. Man rede nicht mehr wie früher miteinander. Es herrsche sehr viel Misstrauen. Die Kinder fürchteten sich vor dem Einschlafen.

Man ist sich einig: keinesfalls ist dieser Fuchs ein Einzeltäter! „Wer weiß, wie viele da draußen noch herumschleichen“, sagt der Mann.

So ist es, wenn die Angst sich in die hohle Hand rollt und von dort den ganzen Körper erfasst.

Sie habe am ganzen Körper gezittert, als sie heute Vormittag in den Zeugenstand getreten sei, sagt die Frau. Und fügt hinzu: „Ich bin ja noch nie als Angeklagter vor Gericht gestanden.“

Sie bemerkt den Versprecher nicht. So wenig wie die anderen am Tisch.