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Fetischisierung des Abgründigen

– oder was sich für den Bekümmerten aus einem Studiogespräch über das anstehende Dokudrama „Franz Fuchs – Ein Patriot“ heraushören lässt.

von Peter Wagner
Ungekürzte Version des Kommentars in Der Standard vom 29. September 2007

Fein. Da sitze ich also am späten Montagabend vor dem Kastl und schaue einer Stadler und einer Scharang und einem Malkovics zu, wie sie sich über den Helden eines sog. Dokudramas ergehen (2. Oktober, 20.15 Uhr in ORF, FS 2). Und ich denke, na hoffentlich sieht das keiner von den zweihundert Roma in der Siedlung draußen in Oberwart, dieses unerträgliche und demütigende Gemauschel über eine österreichischen Täterseele, die – no na! – auch nichts anderes war als eine Opferseele.
Dann aber denke ich mir, die Roma werden das schon irgendwie hinnehmen, so wie sie alles im Zuge dieses wahnwitzigen Attentates hingenommen haben, auch das, was an medialer und politischer, polizeilicher und verdauungstechnischer Folgeattacke dann noch nachgeschwappt war. Und wer zählt schon die Blasen und Abschürfungen und anderen Verbrennungen einer Volksgruppe, die zwar folkloristisch geduldet ist und auch hin und wieder ihre Sendungen kriegt, aber eigentlich noch immer keine Lobby hat, nicht in der Volksgruppenpolitik und auch nicht im ORF.
Sonst würde in der Online-Ankündigung für das Dokudrama „Franz Fuchs – Ein Patriot“ wohl kaum der Satz zu finden sein: „ Der Briefbomber Franz Fuchs sah seine Verbrechen als Dienst an der Gemeinschaft. Das faszinierende Psychogramm eines widersprüchlichen Menschen, der vor allem eines sein wollte - ein Patriot.“
Zilk ein Patriot. Stoisits eine Patriotin. Die Roma Patrioten. Franz Fuchs ein hervorgehobener Patriot, weil ein faszinierendes Psychogramm und ein widersprüchlicher Mensch noch dazu.
Jetzt endlich weiß ich, warum mir schlecht ist. Nicht weil ich das möglicherweise Faszinierende an einem mörderischen Psychogramm in Abrede stelle, sondern weil ich für die Roma und die anderen Opfer denke. Das kann gefährlich sein. Oder bare Notwendigkeit.

Es sei eigentlich gar nicht ihre Absicht oder gar ihr Anliegen gewesen, einen Film über Franz Fuchs zu drehen, sagt die Regisseurin. Vielmehr sei sie vom Produzenten darum gebeten worden. Zuerst habe sie gedacht, man würde ihr den Unterweger geben, aber dann beim Fuchs habe sie zunächst Zweifel gehabt, über den wisse man ohnehin schon alles. Erst das Studium der Vernehmungsprotokolle habe die weitere Neugierde angefacht usw.
Und bei all dem Studium authentischen Materials – der Schauspieler durfte auch eine polizeiliche Videokassette, auf der Fuchs beim Lokalaugenschein im Elternhaus zu sehen ist, nutzen - ist man dann offenbar sehr schnell beim Opfer gewesen, das ein Täter war: der starke Dialekt des Jugendlichen, das Zurückgewiesenwerden, die anderen Demütigungen, die Flucht ins Ausland, wo er sogar Türken geholfen habe.
Am Ende war er dann wieder zu Hause, einsam, zurückgezogen, verkannt, in all seiner Auffälligkeit als Bombenbauer auffällig unfassbar und scheinbegrifflich und jedenfalls unauffindbar, nachdem er einige Menschen durch Briefbomben verletzt, wenn nicht sogar verstümmelt und vier Roma überhaupt gleich umgebracht hatte, allesamt österreichische Patrioten, sicher aber keine Inder und Türken.
Der Schauspieler, das prominente Mitbringsel der Regisseurin und Gelegenheitsredner, kann und will dann nicht erklären – und es soll um Himmels Willen auch das Geheimnis seiner Profession bleiben! -, wie und warum die Grenze zwischen ihm und der Figur, die er darstellte, so derartig verschwimmen konnte, dass da letztlich ein menschliches Wesen greifbar wird, wie es die Regisseurin ausdrückt.
Nein, ich spreche dem Versuch, sich einer Täterseele zu nähern, mitnichten die Legitimation ab, und Komplexität im Zerreißvorgang der menschlichen Seele ist mir kein Fremdwort, im Gegenteil. Allerdings wird es dort obszön, wo man den Täter Franz Fuchs zum Fetisch des österreichischen Abgrundes stilisiert, verhätschelt und mit soviel fasziniertem Verständnis einsalbt, dass schon die Ankündigung des spektakulären Filmereignisses eher zur Verharmlosung seiner menschlichen Verkümmerung gerät als zu deren vertiefender Betrachtung. Wir dürfen uns auf ein faszinierendes Fernsehpsychogramm gefasst machen, vielleicht sogar auf diese und jene Betroffenheit, warum denn auch nicht? Und gewiss auf eine schauspielerische Glanzleistung.

Dennoch: Ist es wirklich legitim, den Täter Franz Fuchs, der untrennbar mit dem Menschen Fuchs verbunden ist und nur als Täter zu Geltung gelangen konnte, als Opfer zu sehen und zu verhandeln, wie dies im Vorspann am Montag passiert ist? Nimmt man ihm nicht gar noch etwas weg bei all den kulinarisch tiefenpsychologischen Versuchen einer österreichischen Befindlichkeitsbeschau: nämlich sein – auch! - selbst gewähltes Außenseitertum, in dem er bewusst jenseits der Grenze gesellschaftlicher und ethischer Vereinbarung Aufstellung nahm? Nimmt man ihm also nicht sein freies Handeln, das ihn zum Mörder machte, indem man es mit selten nonchalanter Leichtigkeit auf die allzu logische Folgerichtigkeit von erlittener Demütigung und praktiziertem Gewaltausgleich hintrimmt?
Ich unterstelle Franz Fuchs freies Handeln, als er sich zum Mörder machte, so wie ich allen Terroristen freies Handeln unterstelle, Indoktrination hin oder her. Nur so lässt sich am Ende Rechenschaft verstehen, die nichts mit bloßer Abrechnung zu tun hat. Und nur so verstehe ich auch die geglückten Versuche dieses österreichischen Helden, der fälligen Begegnung mit den Angehörigen seiner Opfer durch Brüllen im Verhandlungssaal und einen gefügigen Richter auszuweichen: Er war zu feige, sich der Rechenschaft zu stellen, der eigentlichen. Der nur zwanghaft Handelnde hätte sich nicht so ausweichlerisch um Flucht bemüht. Vom endgültigen Entzug durch Selbstmord will ich erst gar nicht reden.

Wieso habe ich schon nach den ersten beiden Sätzen der Moderatorin gewusst, dass das gesamte folgende Studiogespräch kein Wort über die Befindlichkeit der Opfer verlieren würde, für die ja der 1. Oktober genauso der zehnte Jahrestag der Festnahme ist wie für den steirischen Ort Gralla und die Polizei und die Öffentlichkeit? Wieso habe ich gewusst oder doch befürchtet, dass da nichts als die trivialpsychologische Ausweidung einer Täterseele passieren würde? Ach Gott, diese Echtheit des Malkovics, erkennbar an wenigen ausgesuchten Ausschnitten! Ist das die Kunst eines genialen Schauspielers oder doch nur eines kongenialen Pathologiekopierers, die da als Einstiegshilfe in das vermeintliche Erkennen des Täters und seiner höheren österreichischen Seelenpathologie missverstanden wird?
Oder handelt es sich tatsächlich um das faszinierende Psychogramm eines faszinierenden Losers, also nicht nur eines Patrioten, sondern ein tragisch Leidenden, eines hyperintelligenten Verkannten, eines Zermalmten, eines Mörders aus Notwehr, eines, ja doch: Helden?
Gewiss, das angekündigte Dokudrama ist ein Versuch über den Täter, nicht über die Opfer, ganz bewusst, und man wird vermutlich auch Opfer zu Wort kommen lassen, um den Täter noch einmal zu fassen. Und doch ist die Gewichtung auf den Täter symptomatisch. Das Faszinosum ist der Täter, der Grenzüberschreiter, der Fetisch. Die Frage nach den Opfern, auch und gerade am 10. Jahrestag der Festnahme des Täters, wäre für den Produzenten von vermeintlich bescheidenem Wert gewesen.
Aber warum eigentlich?

Ich kann mich der Erleichterung unter den oberwarter Roma erinnern, als sie von der Festnahme des Attentäters erfuhren. Er hatte die meisten über Jahre hinaus bis in den nächtlichen Nachhauseweg verfolgt und noch mehr in die Träume hinein. Er hatte sie bisweilen entzweit, er hatte sie wieder geeint, er hatte einen Teil ihres Lebens bestimmt, bei vielen nachhaltiger, als wir uns das vorstellen können, denn einige Junge gingen irre, erstickten in Drogen und Selbstzerstörung. Er hatte sich also ein Recht über eine ganze Volksgruppe ausbedungen. Die Roma-Kinder wurden ihres Schulweges beraubt und all der Geheimnisse, die ein Schulweg birgt, weil die verängstigten Eltern nur noch die Fahrt mit dem Bus zuließen. Und heute erzählen die zum Zeitpunkt des Attentates noch gar nicht Geborenen von Fuchs als einem Phantom, das um die Häuser schleicht und Steine auf sie wirft.
Ja, da war echte Erleichterung, dass dieser Mann gefasst war, auch wenn keiner glauben wollte, dass er der alleinige Täter gewesen sei. Zu viele Täter hatte man zu viele Jahrzehnte lang gesehen, als dass einer ausgereicht hätte. Da war nicht Freude, nur Erleichterung. Und Genugtuung, auch das.
Die abgerissenen Hände waren unter den Roma ein großes Thema, ein mythologisches, ein makaber zupackendes. Die abgerissenen Hände, das war die Strafe, das war die Gerechtigkeit, das war gerechter als sein Tod es sein hätte können.
Manch eine oder einer fürchtete sich vor dem Zusammentreffen mit dem Monster im Gerichtssaal, manch einer hatte ein brennendes Verlangen danach. Und manch eine oder einer sah ihn dann sogar, den Fuchs, eine Sekunde lang, höchstens, draußen auf dem Gang, als er vorgeführt wurde, denn der Richter hatte eine direkte Begegnung zwischen dem Mörder und den Angehörigen der Opfer unterbunden. Genau um diese Begegnung aber fühlen sich einige bis heute betrogen.
Und da ist auch der Vater eines Mordopfers, der ein ganzes Buch lang um das Verstehen eines Hasses ringt und am Ende als Angehöriger der Opfergruppe sogar in die Haut des Attentäters schlüpft, um ihm nahe zu sein und das Unfassbare für sich fassbar zu machen. (Stefan Horvath: Katzenstreu; edition lex liszt 12, Oberwart 2006)
Alles kein Thema für den Produzenten? Alles nachrangig im Kulturauftragsselbstverständnis des ORF, des Co-Produzenten? Oder gar zu wenig patriotisch?

Ich möchte betonen, dass ich den Film „Franz Fuchs – Ein Patriot“ noch nicht gesehen habe und er also auch nicht Anlass meiner hier wiedergegebenen Bekümmerung ist. Ich beziehe mich ausschließlich auf eine Kultursendung im ORF, die den Charakter der Promotion hatte. In Zeiten, in denen diese oft wichtiger ist als das beworbene Produkt selbst, fällt ihr das Attribut zu, die allererste ideologische Auslage eines Produktes zu sein. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich musste einfach eruieren, warum mir kurz mal schlecht war.
Sollte der Film meine Befürchtungen als eitle Vorausverurteilung entlarven, so darf ich mich jetzt schon dafür entschuldigen.