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Gespräch zwischen Peter Wagner und Eduard Erne zum Film „Totschweigen“

Das Gespräch entstand anlässlich der Uraufführung des Filmes „Totschweigen“ von Margareta Heinrich und Eduard Erne in Rechnitz.

Peter Wagners eigene Auseinandersetzung mit dem Massenmord an jüdischen Zwangsarbeitern >> Stücke „März. Der 24.“

Beschreibung des Filmverleih

Rechnitz ist ein kleiner Ort im Burgenland, direkt an der ungarischen Grenze. Im Sommer 1990, ein halbes nach dem Fall der Berliner Mauer und des Eiser­nen Vorhangs, begann die Arbeit an dem Film "TOTSCHWEIGEN", sie sollte sich über fast vier Jahre erstrecken. Was als Dokumentarfilmprojekt begann, änderte sich im Verlauf der ersten Drehphase im November 1990. Die Filmemacher traten aus ihrer Rolle der voyeuristischen Betrachtung der Suche nach dem Rechnitzer Massengrab. Sie beteiligten sich an der Suche, an der Recherche, in Zusammenarbeit mit der Israelitischen Kultusgemeinde Wiens.

Erst in der Phase des Schnitts kehrten sie zurück in die Rolle des Betrachters, des Dokumentaristen, und erzählen in dem Film die Geschichte dieser Suche.

Zehn Tage, bevor die Rote Armee Rechnitz eroberte, wurden am Ortsrand 180 jüdische Zwangsarbeiter erschossen. Nach dem Massengrab, in dem die Opfer jener Nacht verscharrt wurden, sucht die Israelitische Kultusgemeinde seit Jahren. Die Opfer sollen exhumiert und nach jüdischen Ritus bestattet werden. Initiator dieser Suche ist Isidor Sandorffy. Sein Motiv ist ein religiöses. Und - er vermutet, dass Freunde, Bekannte oder Verwandte in diesem Massengrab verscharrt sein könnten.

Isidor Sandorffy hat an vielen Orten im Burgenland Opfer der Zwangsarbeit, die beim Bau des Südostwalls ums Leben gekommen sind, gefunden und exhumiert. Meistens durch Hinweise der dortigen Bevölkerung. In Rechnitz stößt er auf hartnäckiges Schweigen. Nicht über die Tat als solches, aber über den Ort des Massengrabes sind keine Hinweise zu erhalten. Dennoch wird gesucht und gegraben, die Erde aufgewühlt, wo längst Gras über die Geschehnisse gewachsen ist.

Der Film begleitet die Suche, erzählt von dieser Vergegenwärtigung von Ver­gangenheit. Er beschreibt das Verhältnis der Rechnitzer Einwohner zu den Er­eignissen damals vor 50 Jahren, erzählt von ihren Erinnerungen und zeigt die Reaktionen auf die Suche heute. Er beleuchtet den historischen Hintergrund, erzählt von den Opfern, den Hinterbliebenen und Überlebenden. Und er handelt vom Verschwinden von Vergangenheit, vom Umgang und der Konfrontation mit eigener Geschichte heute.

EIN GESPRÄCH ZWISCHEN PETER WAGNER UND EDUARD ERNE ÜBER DEN FILM "TOTSCHWEIGEN"

PW: Margareta Heinrich und Du, Ihr habt den Film "Totschweigen" genannt. Nun sieht man also tatsächlich Fenster, die zugehen auf direkt gestellte Fragen hin. Man sieht und hört Frauen, die von allem nichts gewusst haben wollen, obwohl die Suggestivität des gesamten Filmes uns das Gegenteil bedeutet. Man lässt sich beinahe ängstlich berühren von der Aggressivität eines Mannes, der die Geschichte endlich begraben wissen will und dabei - selbst angstbesetzt - vor der Kamera sogar den Mutigen spielt und gegen die fragenden Eindringlinge aufbegehrt. Aber man sieht auch Menschen, die angesichts der Erinnerung an die Schüsse und Schreie in der Nacht in Tränen ausbrechen. Man erlebt eine Köchin, die beinahe redselig wirkt, und einen Gärtner, der beim Umtopfen von Blumen durchaus nichts dagegen hätte, würde nur endlich auch die Wahrheit sprießen; man folgt fassungslos zwei Menschen, die beim Mittagessen im Altersheim über den Massenmord reden, als wäre er eine Zutat zum Menü - und doch: sie sprechen. Ja man hat gelegentlich das Gefühl, als sehnten sich viele danach, ihr individuelles wie kollektives Gewissen zu erleichtern. Dennoch habt ihr den Film "Totschweigen" genannt.

EE: Natürlich hat dieser Titel etwas provokantes. Aber die Frage, die sich durch den ganzen Film zieht, ist doch : "Wo ist dieses Massengrab?" - eine Frage, die sich auf heute, auf jetzt bezieht, und darauf gab es keine Antwort. Der Film ist nur ein Ausschnitt der Realität, die wir in dieser Zeit in Rechnitz erlebt haben. Wir wollten, dass die Menschen erzählen und sich erinnern. Das heißt, es kommen im Film die Leute vor, die reden. Die vielen, die abgewehrt haben, die nicht reden wollten, die tauchen im Film ja kaum auf. Aber unsere Recherche war sehr von Erlebnissen des Schweigens und der Abwehr geprägt. Da wurde die Polizei angerufen, da wurden wir hinausgeschmissen, da wurden immer wieder einfache Fragen mit Beschuldigungen verwechselt. Das alles ist nur zum Teil in den Film eingeflossen. Und noch was anderes: Es gibt Leute in dem Film, die schweigen, die lügen, die abwehren, das Fenster schließen, aber die meisten reden. Man kann auch mit sehr vielen Worten schweigen, indem man die Frage, die immer wieder gestellt wurde, nicht beantwortet, ausweicht und dabei sehr viel redet. Das ist ein Phänomen, das nicht auf Rechnitz begrenzt ist, das gibt es überall, wenn von dieser Zeit die Rede ist. Man erzählt vom eigenen Schicksal, macht sich selbst zum Opfer, was teilweise sogar stimmen mag, aber trotzdem weicht man der Frage, nämlich der Frage, was damals mit den Jüdischen Zwangsarbeitern geschehen ist, und wo sich das Massengrab befindet, aus. Das ist ein geschwätziges Schweigen. Dabei wird die Tatsache ja nicht geleugnet. Alle sagen, ja, das ist passiert. Zum Teil werden fast mythische Geschichten dabei erfunden, nur um der Frage auszuweichen. Was mir in Rechnitz alles erzählt wurde, oftmals im Glauben, ich wäre sowieso auf der "richtigen" Seite (einmal hat mir ganz offen ein Rechnitzer gesagt, jemandem von der anderen Seite würde er das alles nicht erzählen. Und auf meine Nachfrage, wer denn die andere Seite sei, sagte er: "Na, die jüdische."), das war zum Teil abenteuerlich. Da wurde behauptet, die Gräfin Batthany hätte auf einem Schimmel reitend in die Menge der Zwangsarbeiter geschossen, da werden alte Feindschaften aufgewärmt, die Evangelischen wären alle Nazis gewesen, und der katholische Ex-Bürgermeister Oswald sagte wörtlich zu mir, als er noch nicht wusste, warum ich in Rechnitz bin: "Das ist gottgewollt, daß das Grab nicht gefunden wird," eine Wirtin im Nachbarort meinte: "Ned die Knochen, das Gold von den Juden solltet ihr suchen" usw. Und dabei reden sie, sie reden auch über das Phänomen des Schweigens im Ort, immer wieder ganz offen von der Angst, die umgeht. Natürlich gibt's das Massengrab, und irgendwo wird's schon sein. Was ich sagen will, ist, dass das Schweigen inzwischen kultiviert, fast stilisiert wird. Mit vielen Worten. Ein äußerst zynischer Vorgang. Der Besitzer eines Caféhauses sagt auch im Film ganz offen: "Die Juden haben eine Klagemauer, und wir haben eine Schweigemauer." Das ist schon so im Blut, dass die Leute darüber nur noch lachen - sie sind jetzt halt die Schweiger, so wie andere sagen, sie wären Rapidler. - Ich glaube, dass dieses Phänomen, diese nächste Verdrängungsstufe, ganz viel mit der ganzen Waldheim-Diskussion zu tun hat. Man kann und konnte sich wieder gewisse Dinge trauen, man konnte den Jewish World Congress eine Gangsterbande nennen, man konnte durch Lügen Bundespräsident werden, und das mit großer Mehrheit. - Natürlich gibt der Titel des Films noch ein anderes Signal: nämlich das Wort Tod. Nicht nur Schweigen, sondern Totschweigen. Denn worüber geschwiegen wird, das ist ein Ort des Todes, ein Massengrab. Und wenn man diese Mühsal der Suche sieht, dieses unendliche Graben, und versteht, warum diese Suche stattfindet, nämlich einzig und allein aus einer religiösen Verpflichtung heraus, und dann immer wieder sieht, wie diesen Erschossenen so etwas einfaches wie ein Begräbnis in der Tradition ihrer Religion, ein Ort des Gedenkens, ein Stein verwehrt wird, dann ist das fast wie ein zweiter Tod. Diese Verweigerung beinhaltet auch ein großes Stück von heutigem Antisemitismus. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele sich denken, dass sind ja eh nur Juden. Wenn es ein Massengrab mit Soldaten oder SS-lern wäre, hätte man es schon längst gefunden. Und es ist auch eine Metapher für den gesamtösterreichischen Umgang mit dieser Vergangenheit. Da war was, das war nicht schön, aber was geht uns das heute an. Und so konkret wie es bei diesem Massengrab werden könnte, dass da die Vergangenheit buchstäblich ans Tageslicht geholt wird, das wird abgewehrt. Und das ist ja auch ein unglaublicher Vorgang, dass die Vergangenheit konkret werden könnte, dass die Toten zurückkehren, und man alles nicht mehr so leicht abtun kann. Und jetzt gehe ich noch einen Schritt weiter. Sogar bei Leuten, die "das richtige" denken, die - was weiß ich - aufrechte Antifaschisten sind, ist diese Suche oft auf Unverständnis gestoßen. Aber es geht bei dieser Suche nicht um den Nachweis, um den Beweis, dass diese Erschießungen überhaupt stattgefunden haben. Es geht einfach darum, diese Menschen ordentlich zu begraben, so wie sie es sich vielleicht selbst gewünscht hätten. Und es ist so einfach, zu sagen: "6 Millionen sind umgebracht worden, das ist schrecklich". Das zu sagen ist zu wenig. Es geht um einen nächsten Schritt. Nämlich zu überlegen, was waren das für Menschen, was für eine Kultur, was für eine Religion, und was bedeutet Tod und Begraben-werden in dieser Religion. Es geht um die Schlussfolgerung daraus. Um mehr als nur zu sagen: "Das war alles schrecklich." Sicher ist der Titel des Films davon stärker beeinflusst. Margareta und ich hatten einmal die Idee, den Film "An der Grenze zum Vergessen" zu nennen. Denn das ist bei manchen doch spürbar, dass sie erzählen wollen, etwas los werden wollen, bevor diese Erinnerungen verloren gehen. Bei der Frau, die so weint, ist das der Fall. Das hat sie mir auch selber gesagt, dass sie froh darüber ist, das zu erzählen, für den Film, damit es nicht verloren geht. Heute könnte sie es nicht mehr erzählen, denn sie lebt nicht mehr. Ich denke, dass sie den Konflikt, oder das Dilemma, auch wirklich auf den Punkt bringt, indem sie weint, ehrlich, und dabei beschreibt, wie sie sich die Ohren zugehalten hat, damit sie die Schreie, die Todesschreie nicht mehr hören muss. In dieser Sequenz, in der Widersprüchlichkeit dieses Vorgangs, trifft der Film (oder eigentlich ist es sie, wie sie das erzählt, nicht der Film) genau auf den Punkt: Sie weint über das, was damals geschehen ist. Oder weint sie über die Tatsache, dass sie sich die Ohren zugehalten hat, dass sie es nicht hören muss. Sie trauert heute und erzählt, wie sie damals die Fensterläden zugemacht hat. Sie hat es nicht verwunden.

PW: Am Anfang des Filmes wird der für mich wesentliche Rahmen festgelegt: Rechnitz, der historische wie geographische Grenzort, glich hinter dem Zaun des Nachbarn be­ginnt Asien. Dass es dem Film gelingt, über den Reichtum an Schuld, über den Rechnitz verfügt - ich formuliere das bewusst provokant! -, über den Kreuzstadel als überregionales Markenzeichen des Ortes, diesen zugleich auch zu einem metaphysi­schen Grenzort zu machen, das ist für mich das Thema. Denn in der Tatsache, dass Menschen aus Schuld und Angst schweigen, fände ich noch keine sehr aufregende Er­kenntnis. Das ist wohl eher das Normale, und das Normale hat nach dem Krieg im Verdrängen und Vergessen bestanden. Der Film hat einen traurigen, einen wehmüti­gen, ja einen melancholischen Grundzug, der mir zum Erlebnis geraten ist: die Fremde und das Fremdsein hat auf Euch Filmemacher übergegriffen, Ihr seid als Fremdlinge eingedrungen - Ihr habt es zumindest versucht - , und seid als Fremde wieder abgezo­gen, auch wenn Du, wie ich gehört habe, Rechnitz immer wieder aufgesucht hast und dort gewiss auch ein bekanntes, vielleicht sogar vertrautes Gesicht geworden bist. Was mich jedenfalls davon überzeugt, dass es Dir nicht um einen schnellen Voyeurismus gegangen ist, auch nicht um eine journalistische Ausbeutung, die für mich eine mo­derne Form des Raubzuges darstellt.

EE: Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, den Du ansprichst. Das war nicht immer so. Aber der Film hat seine eigene Geschichte. Als wir angefangen haben, wussten wir nicht sehr viel. Da war der Voyeurismus der Filmemacher. Da wird ein Massengrab gesucht, wie reagiert ein Ort darauf. Wenn exhumiert wird, wenn die Bestattung auf dem Jüdischen Friedhof geschieht. Mich hat auch dieser Vorgang interessiert, wenn wirklich die Gebeine gefunden werden - also alles sehr oberflächlich. Und als wir auf diesem Acker beim Kreuzstadel standen und klar war, dass diese Grube nicht das Massengrab ist, da ist etwas passiert. Da haben wir erst kapiert, was hinter diesem Vorgang steht. Und viel viel später - als ich mit Margareta darüber gesprochen habe, wie wir das drehen wollen, falls die Gebeine, die Leichen gefunden werden - war es klar, dass dies nur aus einer großen Distanz, mit Respekt geschehen kann. Wir wollten es nicht mehr zeigen. Wir wollten die Metapher des Grabens, und wir wollten, dass es gefunden wird. Das war am Anfang nicht so. Dazwischen hat sich der Film anders entwickelt. Das hat mit drei Dingen zu tun. Einmal haben wir damals im November 90 kapiert, wie sehr Isidor Sandorffy, der als Suchender im Mittelpunkt steht, dieses Massengrab finden will. Das hat so viel für ihn bedeutet, er hat immer gesagt, er stirbt erst dann, wenn er es gefunden hat. Und besonders zwischen Margareta und ihm hat sich eine Freundschaft entwickelt. Das zweite war, dass wir als Filmemacher aus unserer Betrachterrolle ausgestiegen sind, und uns aktiv an der Suche beteiligt haben. Über drei Jahre lang haben wir recherchiert und gemeinsam mit der Israelitischen Kultusgemeinde versucht, den Ort ausfindig zu machen und das Grab zu finden. Manches davon ist natürlich auch in den Film eingeflossen, aber nur zu einem geringen Teil. Das heißt, es gab keinen reißerischen Zugang zu diesem Thema mehr. Die Suche war auch unsere Suche geworden. Und das dritte, und ich glaube, dass das auch aus dem anderen resultiert ist, wir wollten verstehen, was damals passiert ist, und warum sich der Ort Rechnitz, die Menschen heute so verhalten. Ich hab da auch viel erfahren und gelernt. Das kann man aber nur, wenn man nicht einfach den Stab über etwas bricht. Wenn ich daran denke, wie viel Filmmaterial wir in den Interviews verwendet haben, wie sehr wir mit den Leuten auch über den Krieg, die Russen, die Zeit vor 1938 geredet haben. Es wäre ja so leicht, Rechnitz einfach ins braune Eck zu stellen. Mit dem Altnazi Portschy, der dort lebt, und dann ist eh schon alles klar. Dieser Film hat es uns verboten. Wir wollten es auch nie akzeptieren, dass die Ursache des Schweigens ein Altnazi ist, das wäre zu billig. Da muss noch was anderes sein. Diese Angst, von der dauernd die Rede ist. Die Angst vor den Leuten, die in die Mordaktion verwickelt waren und vielleicht heute noch leben, und die andere Angst, die viel unbewusster vorhanden ist. Dass die Vergangenheit zurückkehrt und sich gegen sie wendet. Dazu kommt, daß wir beide gespürt haben, dass dieser Film wahrscheinlich die letzte Chance für uns ist, über diese Zeit etwas zu erfahren. Für Margareta sicher noch mehr, denn sie kommt ja aus dem Burgenland. Wir haben gespürt, dieser Film, dieses Thema ist eine Chance für uns, noch etwas zu erfahren über diesen Wahnsinn, der damals passiert ist, und zwar von Leuten, die das erlebt haben, und mit einem Bezug, der in unsere Gegenwart reicht. Heute könnten wir den Film nicht mehr beginnen. Und irgendwo hab ich auch die Grenze gespürt, wie weit die Vorstellung reicht, das verstehen Wollen. Ich hör noch immer die Frau, die weint, wie sie auf meine Frage: "Können sie diese Nacht beschreiben?" sagt: "Das kann man nicht beschreiben, das muss man erleben."

PW: Der Film ist unzweifelhaft poetisch, und er ist - das unterstelle ich - von Euch auch bewusst so angelegt. Dutzende Male fällt der Blick quasi von den Wolken herunter auf den Kreuzstadel, der sein Gesicht mit den Jahreszeiten wechselt und doch immer wie­der dieses auch im metaphysischen und religiösen Sinne uns bedrängende Kreuz bleibt, das uns umso mehr bedrängt, je weniger es möglicherweise von uns will. Denn es ist und bleibt sein Schicksal, dass es uns sein Geheimnis nie wirklich und vollends preisgeben darf. Durch die Bilder zieht sich ein malerischer Grundtenor, stark leuch­tende Farben wechseln mit zartem Pastell, immer wieder Erde, Erde in jeder Form, auch in der letzten Bestimmung des Menschen. Die Wehmut vergehender Jahreszeiten und vergehenden Lebens begleitet den Traktor, der von rechts nach links hinter dem Kreuzstadel seine Furche durch das abgeerntete Stoppelfeld zieht, ja durch die Bagger­schaufel, die in die anscheinend so schlüssig in sich ruhende Erde hineingreift, als täte sie etwas Verbotenes. Selbst dieses gewaltige Werkzeug erscheint als ästhetisches Element, das keinen lauten Aufschrei verursacht, wenn auf dem Greifarm des Baggers plötzlich die Firmenaufschrift "Mengele" durchs Bild wandert, sondern einen präzisen, inneren, den Zuseher selbst beschämenden Schmerz, den nur die Poesie zu erzeugen imstande ist. Woran liegt es, dass uns die Poesie so viel mehr über die menschliche Barbarei erzählt als die vermeintlich knallharte Aufdeckungsarbeit?

EE: Schwierig. Es gibt in diesem Film, in dieser Geschichte Dinge und Bilder, die könnte man ja gar nicht inszenieren. Dass der Bagger, der nach dem Massengrab sucht ausgerechnet ein Mengele-Bagger ist, dass ist ja unglaublich. Diese Grenze, die neuen Fremden im Ort, die Flüchtlinge, die getrennten Friedhöfe, das sind alles einzelne Elemente, die merkwürdig aufeinander wirken. Das hat nichts mit Aufdeckungsarbeit zu tun, sondern mit Beobachtung. Und ich denke, es muss so etwas wie eine Wahrheit geben, die nicht in Facts liegt, sondern im Dazwischen. Im Ausschnitt, im Fragment. in der Andeutung. Wenn man etwas ausspricht, verliert es sein Geheimnis. Das ist in der Sprache so, das ist in Bildern so. Ich hoffe, dass dieser Film beides tut. Dass er einerseits Facts erzählt und dieses Dazwischen. Die Menschen, die in diesem Film sich erinnern, lassen ja auch einen Raum offen mit dem, was sie sagen. Den Raum, den man mit seinen eigenen Bildern dann füllen kann. Das hat mich an der Sprache der Rechnitzer auch immer fasziniert. Natürlich ist das auch oft entlarvend, wenn zum Beispiel eine Frau sagen will: "...den Menschen", sich aber bei der Silbe "Men-" unterbricht, und sich korrigiert, indem sie sagt: "...den Juden." Aber das ist was anderes, da ist es offensichtlich, was aus ihr spricht.

Als ich das erste Mal nach Rechnitz fuhr, wusste ich, was dort passiert war, also die Facts, und ich hatte das Bedürfnis, die Orte zu sehen. Und da spielt sich im Kopf was anderes ab, wenn ich den Hauptplatz, den Bahnhof, den Kreuzstadel sehe und gleichzeitig weiß, was dort passiert ist. Es sind dieselben Orte, aber sie sind nicht dieselben. Es ist Zeit vergangen. Und trotzdem erzählen sie etwas von ihrer Vergangenheit. Natürlich ist die Kreuzform dieser Kreuzstadel-Ruine unglaublich symbolisch. Man glaubt es ja kaum, wenn man das sieht. Das ist fast schon zu viel - das Kreuz und der Mord an den Juden. Es wäre si­cher falsch, wenn wir mit Bildern die Geschichte illustrieren würden. Wir haben den Film fast 50 Jahre später gedreht und nicht damals. Und das Grauen lässt sich nicht einfach bebildern. Über diese Frage gab es auch Konflikte zwischen Margareta und mir. Schlussendlich ist es eine Gratwanderung. Ich mussß auch dem Kameramann Hermann Dunzendorfer ein riesiges Kompliment für seinen Zugang zu der Geschichte und zu diesem Ort machen. Er hat auf die Stim­mung, auf die Zeitlosigkeit, auf Vergänglichkeit reagiert, in Bilder umgesetzt. Ich glaube auch, dass man mit Facts eine Geschichte erschlagen kann. Im Grunde ist es ja unvorstellbar heute, trotz aller Tatsachen, trotz aller histori­schen Bewertung, trotz allem, was man weiß. Es bleibt ein Rest, den man nie verstehen wird, und trotzdem muss man es versuchen. Da wird ein Fest gefeiert, und dann geht man weg von dem Fest, erschießt 180 Menschen, und geht wieder zurück um weiterzufeiern. Das ist äußerlich beschreibbar. Durch die Erinnerungen der Menschen, so genau wie möglich. Aber ob man es dann versteht? Man kann sich nur immer mehr annähern und Räume schaffen, in denen die Erinnerungen weiter klingen. Auch wenn man das Dilemma dabei nicht löst. Diese Zwischenräume haben etwas Poetisches an sich. Man kann diese Poesie aber nicht erzeugen, mit Absicht und Kunst.

PW: Noch eine Frage zu der Zusammenarbeit zwischen Dir und Margareta Heinrich. Oder anders formuliert: kannst Du etwas über das weibliche und das männliche Element dieses Filmes erzählen, das ich selbst sehr stark empfunden habe - nämlich ausnahms­weise als ein identisches.

EE: Das ist die schwierigste Frage. Weil sie natürlich überschattet ist von Margare­tas Tod. Und weil wir diese Frage nur gemeinsam beantworten könnten. Aber das geht nicht mehr, was mich aus sehr bedrückt. Ich kann über das weibliche und das männliche Element dieses Filmes nichts sagen. Ich weiß, das wir sehr verschiedene Herangehensweisen hatten. Wir haben auch zum Teil getrennt gearbeitet, getrennt recherchiert, auch gedreht, es gab aber immer einen Grundkonsens. Bei der Auswertung der Interviews zum Beispiel kamen wir immer auf dieselben Stellen, die wir wichtig fanden. In der letzten Phase, im Schnitt, haben wir eigentlich fast immer gemeinsam gearbeitet. Da gab es auch Konflikte. Natürlich kann man jetzt sagen, die weibliche Seite, das Ge­fühl, die männliche Seite die Facts, aber das ist doch zu einfach. Was ich si­cher weiß, ist, dass es sehr gut war, wenn wir gemeinsam, beide mit Leuten gesprochen, also ein Interview gedreht haben. Das war ein Wechselspiel und ein schönes Gefühl, dass der andere da war, und wir uns ablösten und abwechselten. Margareta hat den Film so fertig, wie er jetzt vorliegt, nicht mehr gesehen. Das ist schrecklich und belastet mich sehr. Weil ich weiß, dass wir dann geredet hätten über vieles, und dieses Gespräch wird nie mehr sein. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Sie fehlt.