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Postgebühr Bar Bezahlt

Peter Wagner, am 5.5.1995
Die Rede wurde anlässlich einer CD-Präsentation der burgenländisch-kroatischen Rockgruppe „Bruji“ im kroatischen Akademikerklub in Wien gehalten.

Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Freunde!

Postgebühr bar bezahlt. An einen Haushalt.

Die moderne Satz- und Drucktechnik hat es möglich gemacht, dass heute jeder mit relativ geringem Aufwand etwa eine Zeitung herstellen und regional oder überregional über den Postweg vertreiben kann. Die Ware Information wird kontainerweise über den Informationskunden geschüttet, wobei das Wort Information in die Irre führt: kaum eine Zeitung will informieren unter Abwägung von Argumenten, ja man verzichtet zunehmend sogar auf das Aufrechterhalten zumindest einer Scheinobjektivität. Es geht schlicht und einfach nur noch um das, was man früher viel treffender als Propaganda bezeichnete - wofür es im Dritten Reich in Anwandlung einer seltenen sprachlichen Selbstoffenbarung ein eigenes Ministerium gab, das berüchtigte Propagandaministerium unter seinem nicht weniger berüchtigten Josepf Goebbels. Es diente als Fabrik der dem Volk unterzujubelnden offiziellen Doktrin des Regimes, als Drechselbank der allumfassenden Lüge, auf die das Dritte Reich seine Lebensfundamente aufbaute, als Knetmaschine der Hetze, Diffamierung und verlogenen Euphorien, mit denen ein Volk von seiner eigenen Erwähltheit überzeugt werden sollte - und ja schließlich auch wurde.

Auch wir im Österreich und im Burgenland des Jahres 1995 erleben eine Renaissance der Propaganda in jener düsteren geistigen Tradition eines Joseph Goebbels. Tagtäglich werden wir bombardiert mit einer Flut von Propagandamaterial aus Wirtschaft und Politik, wir ersticken unter dem vielen Papier, das es verdiente, am besten gleich im nächsten Papierkontainer zu verschwinden, damit der geistige Unrat nicht allzu sehr in die Köpfe der Propagandakunden einsickere.

Und doch lohnt es sich bisweilen, einen Blick in die Hochglanzpropagandablätter jener Sekten zu tun, die sich Parteien, neuerdings auch Bewegungen nennen und aufgrund von Wahlen legitimiert und beauftragt sind, die Gestaltungsprozesse unserer demokratischen Gesellschaft zu vollziehen. Da wird, auch für den unbedarften Leser längst sichtbar, ungeniert gehetzt, gelogen, diffamiert und - was zunächst nicht auffällt, aber nicht weniger schlimm ist - verschwiegen. Ich möchte mich aus aktuellem Anlass auf den letzteren Aspekt etwas einlassen, auf das Verschweigen, jener grauen Eminenz der Propaganda, die - weil sie uns einen Teil der Wahrheit bewusst vorenthält - aus der Lüge eine Lüge, aus der Hetze eine Hetze, aus der Diffamierung eine Diffamierung macht.

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Die blaue Postille „Burgenländische Nachrichten“ übertitelt einen Artikel wie folgt: „Wir gedenken der toten Kroaten und Sudetendeutschen“. Darunter heißt es, ich zitiere: „Vor 50 Jahren ist der schrecklichste Krieg der Menschheit zu Ende gegangen. Millionen von Toten waren auf allen Seiten zu beklagen, Opfer und Täter. Wir gedenken aller Opfer dieses Krieges, möchten aber auf jene nicht vergessen, die gerne vom offiziellen Österreich bei den Trauerfeierlichkeiten unerwähnt bleiben. So gedenken wir jener 25.000 Kroaten, die 1945 an Tito-Jugoslawien entgegen dem Völkerrecht ausgeliefert und zu tausenden hingeschlachtet wurden, weiters jener tausender Sudetendeutscher, die nach Ende des Krieges aus ihrer Heimat vertrieben und bestialisch ermordet wurden. Landesvorstand der Freiheitlichen des Burgenlandes.“ Zitat Ende. Mehr ist den Freiheitlichen des Burgenlandes im Gedenken an das Kriegsende nicht eingefallen, könnte man nun sagen. Aber es ist ihnen in der Art, wie sie das meiste verschweigen, doch einiges eingefallen, wie ich sogleich nachzuweisen versuchen werde.

Es ist schon bemerkenswert, was man in einigen Sätzen alles unerwähnt bleiben lassen kann! Als wäre „der schrecklichste Krieg der Menschheit“ nichts weiter gewesen als eine Naturkatastrophe des Zwanzigsten Jahrhunderts, als hätte er nicht seine genau benennbaren Initiatoren und Betreiber gehabt. Aber die angeblichen Demokraten tun sich noch immer schwer damit, ein von „ordentlicher Beschäftigungspolitik“ geprägtes Terrorregime zu verurteilen, und verschweigen uns daher die Täter - die sie dann, eine Zeile weiter, gemeinsam mit den Opfern beklagen. „Millionen von Toten waren auf allen Seiten zu beklagen, Opfer und Täter.“ Da sind den blitzgescheiten Wortattentätern gleich einige Freudsche Fehler gleichzeitig passiert. Denn dass man Täter beklagt, könnte auf ein spätes Schuldbekenntnis schließen lassen - man muss es in der Tat beklagen, dass Ihr Deutschen und wir Österreicher zu Tätern geworden sind, und zu welchen noch dazu! Dann aber wäre es nur umso infamer, Opfer und Täter in ein- und denselben Zusammenhang zu stellen, womit offenbar ganz bewusst das Opfer des Opfers und die Tat des Täters gleichgesetzt und relativiert werden sollen. Solcher Umgang mit Geschichte ist nur als zynisch zu bezeichnen.

Schließlich jedoch versucht man doch noch eine Kurve zu kratzen: „Wir gedenken aller Opfer dieses Krieges, möchten aber auf jene nicht vergessen, die gerne vom offiziellen Österreich bei den Trauerfeierlichkeiten unerwähnt bleiben.“ Übersetzt in die Sprache des Verstehenden lautet dieser Satz: Wir verschweigen die Millionen Juden, Zigeuner, politisch Verfolgten, Homosexuellen, Unbotmäßigen, getöteten und psychisch deformierten Soldaten, die der Vernichtungsmaschine der Nazis anheim gefallen sind, mit dem vordergründigen Argument, dass das offizielle Österreich sie ohnehin genug beweinen würde.

Unterschwellig erfahren wir, dass die wahren Verbrecher im Tito-Jugoslawien beheimatet sind und dass wir keinen Grund haben, uns über Millionen von den Nazis Vertriebenen und bestialisch Ermordeten nicht gar so aufzuregen, wo doch auch Tausende von Sudetendeutschen aus ihrer Heimat vertrieben und bestialisch ermordet wurden. Unter bewusster Missachtung des Gesetzes von Ursache und Wirkung wird - fünfzig Jahre nach Kriegsende noch immer! - eine Propaganda der Verharmlosung und Verdrehung betrieben. Freilich so subtil, noch so subtil, daß der oberflächlich Lesende durchaus mit Zustimmung reagieren wird. Joseph Goebbels hätte seine Freude daran gehabt.

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„Unser Bezirk Oberwart“, Medieninhaber, Herausgeber und Verleger: Österreichische Volkspartei, Bezirksparteileitung. März 1995, einige Wochen nach dem Mord an den vier Roma in Oberwart. Schlagzeilen der einzelnen Artikel, Zitat: „ÖVP setzt Impulse für die Region“, „100 Jahre und sehr weise - Ehrungen für Direktor Alexander Luif“, „Eine widerliche Hetzkampagne“, „Bezirksmodell Oberwart“, „Arbeitsstiftung Süd läßt hoffen“, „Budget: Startschuss für neue Aufgaben“, „FPÖ-Rauter: Der Blaue als Millionär“,  „Burgenland braucht seine Bauern“, „Auf dem Weg nach Europa“, „Nebenbahnen für das Südburgenland“, „1.000 ÖS für Ihre alte Uhr“, „Gastronomie unterstützen!“, „Das Stimmrecht nützen, doch Vorsicht bei Blau!“, „Treffpunkt Wirtschaft“, „Aktivität ist gefragt“, „Der Bezirk Oberwart: Naturraum - Geschichte - Gegenwart“, „Mit der ÖVP gewinnen“, „Das Thema: Österreich wohin?“, „Aktion Mitmensch: Jahrestreffen“, „Baummord sorgt für erhitzte Gemüter“, „Maschinenring Oberwart Süd“, „Schuldnerberatung: Großer Nachholbedarf im Burgenland“, „Eu-Förderung gerecht verteilen!“, „1945-1995, Eine gute Zeit, Volkspartei“. Zitat Ende.

Keine Schlagzeile: „Die Österreichische Volkspartei fühlt mit den Angehörigen der Opfer und dem Verletzten der feigen Attentate von Oberwart und Stinatz“. Keine Schlagzeile: „Wir haben Versäumnisse einzugestehen“. Keine Schlagzeile: „Lernen wir doch aus der Geschichte! Das Schreckliche darf sich nicht mehr wiederholen!“

Für die Bezirksparteileitung der ÖVP existiert, einige Wochen nach dem Ereignis, das Ereignis nicht mehr. Wir sagten 1945: Niemals vergessen. Hier lernen wir zu begreifen, dass Vergessen keine Frage von Jahren, von Jahrzehnten, von Jahrhunderten ist. Es ist eine Frage von Tagen und Wochen. Was immer auch die Gründe für dieses Vergessen sein mögen!

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„Oberwart aktuell. Zeitung der SPÖ Oberwart und St. Martin“, Nr. 1/1995, erschienen im April. Zitat: „Die Stadtorganisation Oberwart, alle Mitglieder des Gemeinderates und alle Mitarbeiter von „Oberwart Aktuell“ wünschen Ihnen Frohe Ostern“, „1. Vizebürgermeister: Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger von Oberwart und St. Martin in der Wart! An den Anfang meiner Ausführungen möchte ich wieder einen Überblick über die budgetäre Situation stellen.“ ... und weiter: „Auch auf kulturellem Sektor ist Nachholbedarf gegeben, wie etwa ... „ ... und weiter: „Kurz noch zum Thema Verkehr ...“, und abschließend: „Über die terminliche Abstimmung der Einführung der Parkraumbewirtschaftung ... hoffe ich in Kürze Neues berichten zu können und wünsche Ihnen nun noch ein gesegnetes Osterfest. Ihr ...“. Und weiter: „Wir erlauben uns, Sie und Ihre werte Familie zum Frühlingsball der SPÖ Oberwart, am Samstag, dem 22. April 1995, in den Räumen des Gasthofes Drobits in Oberwart herzlichst einzuladen. Beginn: 20 Uhr, Eintritt: S 80,- / Paare S 150.-. Musik: ´Topsound´“. Und weiter: „Wir laden recht herzlich ein zur Muttertagsfahrt am Samstag, dem 29. April 1995, nach Lutzmannsburg - Raiding.“ Zitat Ende.

Keine Schlagzeile: „Die Sozialdemokratische Partei Österreichs fühlt mit den Angehörigen der Opfer und dem Verletzten der feigen Attentate von Oberwart und Stinatz“. Keine Schlagzeile: „Wir haben Versäumnisse einzugestehen“. Keine Schlagzeile: „Lernen wir doch aus der Geschichte! Das Schreckliche darf sich nicht mehr wiederholen!“

Für die SPÖ-Oberwart existiert, einige Wochen nach dem Ereignis, das Ereignis nicht mehr. Wir sagten 1945: Niemals vergessen. Hier lernen wir zu begreifen, dass Vergessen keine Frage von Jahren, von Jahrzehnten, von Jahrhunderten ist. Es ist eine Frage von Tagen und Wochen. Was immer auch die Gründe für dieses Vergessen sein mögen!

Verehrte Damen und Herren, liebe Freunde! Ich wollte Euch etwas über die Rockgruppe Bruji erzählen. Manche von Ihnen mögen es nicht gehört haben - aber ich habe Euch etwas über die Rockgruppe Bruji erzählt. Wie gut, dass es Bruji gibt - auch und gerade unter den Aspekten des vorhin gesagten!