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Rede an das Burgenland

von Peter Wagner
gehalten vor dem Landhaus am 10.3.1988
(Ausschnitt, Rest des Manuskriptes verschollen.)

… Nirgendwo so sehr wie hier im Burgenland haben es die einstmaligen Verbündeten des Verrats an Österreich nach dem Krieg so gut verstanden, sich hinter dem Mäntelchen des Verschweigens und geschäftigen Buckelns in jenen Positionen zu halten, die sie auch schon im autoritären, faschistischen System inne hatten. Das Burgenland war und ist eine Oase der kleinen freundschaftlichen, aber tendenziös höchst korrupten Dienste aneinander, der „eine wäscht die andere Hand“-Mentalität. Nirgendwo sind sich aus der alten feudalen Tradition heraus die Machthaber so einig untereinander. Nirgendwo ist die wirkliche Opposition, will heißen der sich in der Öffentlichkeit kaum zurückhaltenden Nomenklatura aller Parteien so gering wie in diesem Land. Die Verfilzung der Macht hat im Burgenland stets ein Ausmaß, das es anderen Tendenzen unmöglich machte, zu einer echten Demokratisierung und Selbstfindung vorzustoßen. Vergangenheitsbewältigung war und ist kein Thema in den Schulen, weil diejenigen, die sie betreiben hätten sollen, jene waren, die am Verrat Österreichs mitgewirkt hatten. Vergangenheitsbewältigung im Sinne schonungsloser Selbstbeschau ist kein Thema in der desaströsen Medienlandschaft des Burgenlandes, das ja bis heute keine parteiunabhängige Tageszeitung besitzt. Die Medien des Burgenlandes – mit Ausnahme des ORF – informieren nicht, sie proklamieren. Es geht dabei nicht um Aufklärung, sondern um Verklärung durch die Brille des jeweiligen Machtapparates. Unsere höchste politische Repräsentanz übernimmt in ihrer Eigenschaft als Landeshauptmann und Landeshauptmannstellvertreter den Ehrenschutz von Großveranstaltungen des Kameradschaftbundes, obwohl dessen weltanschaulicher Hintergrund selbst dem verkümmerten Intellekt eines Regierungsbeamten bekannt sein müsste. Der bis vor einem halben Jahr amtierende Landeshauptmann stieg immerhin im Hotel „Rose“ ab. Sein Besitzer war ausgerechnet einer der radikalen Mentoren und Vollstrecker des Anschlusses Österreichs an Hitlerdeutschland und hat es immerhin bis zum Gauleiterstellvertreter, in seinen Schriften aber noch im Jahr 1966 bis zum theoretischen Massenmörder und in seiner Heimatgemeinde Rechnitz bis heute zum hochangesehenen und verehrten Gemeinderat gebracht. Diese Gemeinde hat es bezeichnender- und beschämenderweise bis heute nicht zustande gebracht, den bei Kriegsende im Kreuzhof grausam hingeschlachteten Juden ein Denkmal zu setzen und damit wenigstens ein beschiedenes Zeichen von Betroffenheit und Trauer zu setzen. …

… Kürzlich erst haben uns die im Landtag vertretenen Parteien, also jene, die von der Verfassung her dazu legitimiert sind, über uns zu regieren, vorgezeigt, wie weit der Demokratisierungsprozess in den Köpfen der politisch verantwortlichen wirklich gereift ist: Bis zu gezinkten Stimmzetteln, Intrige, Meineid, Diskriminierung, Fehme, Bespitzelung, ja Morddrohung. Man kann nicht umhin, die Wurzeln dieser unglaublichen Entwicklung dort suchen, wo wir sie anzusiedeln immer vermeiden wollten. Wodurch wir sie aber, diese Entwicklung nämlich, mitverursacht haben: In der Verdrängung unseres eigenen Beitrags am Faschismus und am Krieg. Jener Faschismus, der aus unseren Köpfen deshalb nicht verschwunden ist, weil wir nie willens waren, die Auseinandersetzung mit ihm zu führen. Tagtäglich erleben Burgenländer Diskriminierung, Beschimpfung, zweit- und drittklassige Behandlung in ihrem eigenen Land aufgrund ihre Sprache, Rasse, Behinderung oder ihres Außenseitertums. Noch immer hat ein Gutteil der Burgenländer weder seinen Kopf noch sein Herz geöffnet für das schöne Recht des Menschen auf seine eigene Sprache, auf seine eigene Kultur, auf seine eigene Rasse, auf sein prinzipielles Anderssein. Nach wie vor durchzieht der Hauch der Intoleranz dieses Land, in dem die Ziele der Menschen fernab von materieller Gewinnsucht und Machtehrgeiz einerseits und nacktem Überlebenskampf andererseits dürftig geworden sind. Ich liebe das Burgenland. Aber ich halte es weiter für gefährdet. Denn das größte Tabu in diesem Land ist noch immer die Wahrheit.

KUKUK (Kunst und Kultur und Kommunikation), 1988