Skip to main content

... werden wir uns schon wieder alles aufbauen.

Von Peter Wagner
Der Artikel erschien als „Kommentar der anderen“ unter dem Titel „Denkmalpflege im Ortsgebiet“ in der Tageszeitung „Der Standard“ am 30. April 2005.

Ja gut, ich gestehe, auch ich werde den Druck einer Träne im linken Auge verspürt haben, als der Bundespräsident in seiner Fernsehansprache am 26.4.2005 "dankbar jener Männer und Frauen, die Widerstand gegen das NS-System geleistet haben, die für die Wiedergeburt unseres Landes gekämpft haben und dies oft mit ihrem Leben bezahlen mussten", gedachte und ich werde gemurmelt haben: „Na endlich, sechzig Jahre zu spät, aber immerhin!“ Schon der nächste Gedanke freilich warf mich zurück auf meine übliche, grimmige Hilflosigkeit.

„Ich stehe oft vor dem Fenster und tu mit mir selbst ratschlagen, was ich machen soll, wenn ich wüßte, daß es gelingt, würde ich keine Minute zögern, denn ich möchte gerne in Eurer Nähe sein, wenn unsere Heimat zum Kriegsschausplatz wird, denn ich glaube kaum, daß die früher nachgeben (die Nazis, Anm.), als bis sich die Kämpfe auf deutschem Boden abspielen. Wenn es so weit kommt, dann schaut nur, daß Ihr Euer Leben erhaltet, wenn auch das übrige alles kaputt wird, wenn wir leben nach diesem Krieg, werden wir uns schon wiederum alles aufbauen.“

Diese Worte schrieb der Widerstandskämpfer Georg Wurm jun. aus der Zelle in Straubing, mit sich selbst ratschlagend bezüglich der ewigen und ewig emphatischen Energie der Menschen, das in Schutt und Asche Gefallene der Wandlung in Aufbau und Neubeginn zu unterwerfen. Er selbst sollte es freilich nicht erleben: er wurde wegen Anschuldigung zum Hochverrat wenige Wochen nach diesem aus dem Gefängnis geschmuggelten Brief hingerichtet.

Georg Wurm jun. stammt, so wie sechs weitere im Widerstand gegen das Nazi-Regime zu Tode gebrachten Männer, aus der burgenländischen Gemeinde Gols, die für ihren Wein bekannt ist. Weniger bekannt ist, dass sich der sozialdemokratisch dominierte Gemeinderat bis zum heutigen Tag weigert, diesen Männern ein Zeichen des Gedenkens zu setzen. Bis zuletzt scheiterten sämtliche, teilweise sogar von der eigenen Parteijugend betriebenen Versuche, die Platzierung einer Gedenktafel in der Gemeinde zu erwirken. Vorläufig ist ein vom Künstler Hans Wetzelsdorfer gestaltetes Objekt der Erinnerung im Offenen Haus Oberwart quasi zwischengeparkt. Die Inschrift klebt auf mehreren Schichten von Glas, eine Schichte unter der anderen: sichtbar und doch versteckt. Ein fast optimistischer Ansatz, zumindest was die Sichtbarkeit betrifft.

Denn nach wie vor gibt es im Burgenland über 30 Gemeinden, die jegliches sichtbare Zeichen eines Gedenkens an jene Mitbürger, die laut Definition des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes dem Widerstand zugerechnet werden, verweigern. Dagegen steht lediglich ein Dutzend Gemeinden, die sich in den letzten 20 Jahren zur Anbringung einer Gedenktafel entschließen konnten. Der überwiegende Teil der Gemeinden bleibt also nach wie vor resistent.

Am 27. September 1995 schreiben der Bischof von Eisenstadt, Paul Iby, und die damalige Landessuperintendentin, Mag. Gertraud Knoll, an „Alle BürgermeisterInnen und Damen und Herren der Gemeinderäte im Burgenland ... es gibt auch bis heute Namenlose, die auf keinem Denkmal aufscheinen, derer niemand gedenkt, deren Beispiel untergegangen ist, obwohl sie mitten unter uns gelebt haben. Menschen, die mutig ihr Zeugnis ablegten und mit dem Tod bezahlen mußten. ... Wir nehmen das heurige Gedenkjahr ´50-Jahre Wiedererrichtung des Burgenlandes´ zum Anlaß, an diese Zeugen zu erinnern und anzuregen, daß auch ihre Namen unter uns sichtbar werden. In Dankbarkeit und Mahnung. Am Kriegerdenkmal. Oder auf einer eigenen Tafel: IM WIDERSTAND GEGEN DIKTATUR UND TERROR GABEN IHR LEBEN FÜR FREIHEIT RECHT UND MENSCHENWÜRDE ...“

Die Ausbeute dieses Briefes ist ebenso niederschmetternd wie die eines jeden anderen Versuchs davor und danach. Und deren gab es einige, manche sogar unterzeichnet von (sozialdemokratischen) Landhauptmännern und (christlichsozialen) Vizelandeshauptmännern. Am prägnantesten und so wunderbar unbedarft in seiner apodiktischen Begründung wird die Ablehnung vom Bürgermeister einer südburgenländischen Gemeinde formuliert:

„Mariasdorf, am 20.8.1993. Sehr geehrter Herr Billes (Landesrat a.D., Bund SPÖ-Widerstandskämpfer, Anm.) Der Gemeinderat der Marktgemeinde Mariasdorf hat sich in der Sitzung am 13.8.1993 mit der Errichtung einer Gedenktafel für den hingerichteten Widerstandskämpfer Ludwig Fabian befaßt und ist zur Ansicht gekommen, eine derartige Tafel nicht zu errichten. Mit freundlichen Grüßen Der Bürgermeister.“

Noch 2001 unternimmt der Burgenländische Landtag in einem Entschließungsantrag den Versuch, per Appell und Brief ein Umdenken in den Gemeindestuben zu erwirken. Etliche Abgeordnete des Landtags sind zugleich Bürgermeister betroffener Gemeinden. Ergebnis landesweit: Null.

Es ist schon so eine Sache mit den Gedenktafeln, diesen meist ohnehin nicht  beachteten, irgendwo in einer Ecke z.B. eines burgenländischen Landhauses deponierten Querverweisen aus Nirosta, Messing oder Bronze. Wo die österreichische Öffentlichkeit schon einmal eine lauwarme Debatte über einen möglicherweise uneinsichtigen oder verfälschenden Umgang Österreichs mit seiner jüngeren Geschichte riskiert - dieser Tage erneut und erneut irgendwie, gurgelnd im Jubelgeschrei der diversen Geburtstagsfeste -, da kann es sich kaum ein Bürgermeister im östlichsten österreichischen Bundesland wirklich leisten, das Thema Widerstand in seiner Ortsbevölkerung überhaupt aufs Tapet zu bringen. Zu sehr unterliegt es gerade in den kleineren Ortschaften, in denen jeder jeden kennt und daher auch jeder die Geschichte der Vorfahren eines jeden, sowohl fortwährender Emotionalisierung als auch konsequenter Tabuisierung. Es lohnt sich allerdings, das Spezifikum Burgenland besonderer Aufmerksamkeit zu würdigen: noch in den Siebzigerjahren sollen Frauen im Seewinkel dem damaligen, sozialdemokratischen Landesfürsten Theodor Kery die Hand geküsst haben. Am Rande erwähnt: Kery war ausgewiesener Verehrer Otto Mühls, den er hin und wieder am Friedrichshof besuchte.

Gerade in einem traditionell obrigkeitshörigen Land wie dem Burgenland scheint nicht nur der offene Widerstand selbst sondern schon eine Haltung, die sich kritisch gegenüber der etablierten Macht äußert, mit unverhältnismäßig großer Angst besetzt zu sein. Der im Individuellen genauso wie im Kollektiv verinnerlichte Angstreflex führt dazu, dass Menschen, die ihre Angst überwinden, nicht als couragiert sondern als Verräter gelten. In einer Tiefenschicht des provinziellen Gemeinschaftsgefüges wird Widerstand als besondere Heimtücke empfunden - auch noch mehr als ein halbes Jahrhundert danach.

Und es trifft ja auch nicht nur den politischen Widerstand: die Juden, einst nicht unwichtiger kultureller Faktor in einem multiethnischen Grenzlandstrich wie dem Burgenland, waren und sind nach 1945 völlig aus dem Burgenland verschwunden, ohne dass diese Tatsache einer besonderen öffentlichen Präsenz – wenn schon nicht einer ehrlich bekundeter Reue – für würdig befunden worden wäre. Und erst im letzten Jahr hat der sozialdemokratisch dominierte Gemeinderat der südburgenländischen Gemeinde Kemeten zum zweiten Mal die Anbringung einer Gedenktafel für jene rund zweihundert Mitbürger abgelehnt, die nach dem Anschluss deportiert und in den KZs umgebracht wurden, weil sie der Volksgruppe der Roma angehörten.

Angst vor der (eigenen) Wahrheit. Angst. Sichtbarkeit der Angst in der Unsichtbarmachung der Wahrheit. Die Wahrheit, ihrem Schicksal als Archivleiche anheim gefallen. Trocken. Unprätentiös. Und doch ein lauerndes Geschwür:

„Der Oberstaatsanwalt München I. An den Herrn Reichsminister der Justiz Berlin. Betrifft: Die Strafsache gegen Georg Wurm. Die Vollstreckung des Todesurteils hat am 19. Mai 1944 im Strafgefängnis München Stadelheim stattgefunden. Der Hinrichtungsvorgang dauerte vom Verlassen der Zelle an gerechnet 1 Minute 13 Sekunden, von der Übergabe an den Scharfrichter bis zum Falle des Beils 13 Sekunden. Zwischenfälle oder sonstige Vorkommnisse von Bedeutung sind nicht zu berichten.“