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Roma-Schauen ohne Romantik

Die Roma begleiten Peter Wagner schon ein ganzes Schriftsteller- leben lang. Im Vorjahr besuchte er mit einer Reisegruppe der Volkshochschule der burgenländischen Roma das bulgarische Sliva. Der Film über die Reise wurde auch zu einem Dokument über die Merkwürdigkeiten des Roma-Schauens.

Oberwart - Peter Wagner, der störrische pannonische Dichter, ist ein hartnäckiger Zeitgenosse, der von vielen als unangenehm empfunden wird, weil er es als seine Aufgabe ansieht, keine Ruhe zu geben und immer dann das Wort zu ergreifen, wenn andere das Schweigen als den gangbareren Weg betrachten. Im Feber 1995 zum Beispiel: Da haben er und seine Freunde so schnell so laut geschrien, dass weder Oberwart noch die übrige Republik dem ersten Reflex des Stummbleibens nachgeben konnten, und weil die Gemeinde nicht gleich mit einer schwarzen Fahne zur Hand war, schnitten sie Teile der schwarzen Bühnendekoration für ein Peter-Wagner-Stück in Streifen, um die Ortstafeln mit Trauerflor zu versehen. Vier Roma sind tot, und ganz Oberwart trauert. Nein, forscher: hat zu trauern.

Die Volksgruppe der Roma hat den in Unterwart aufgewachsenen Peter Wagner sein ganzes Schriftstellerleben hindurch beschäftigt. Ganz am Anfang, 1974, setzte er dem exaltierten Purdy Pista, der dem Buben stets auch ein bisschen Angst eingejagt hatte, ein Hörspieldenkmal. Als 13-Jähriger fing er an, den alten Rom zu besuchen, und seither sind die Roma ein unabdingbarer Teil seiner literarischen Arbeit.

"Experte bin ich aber keiner", hält er fest, zornig fast, denn das Expertentum insgesamt gehe ihm ziemlich auf die Nerven. "Ich erkläre nicht, ich habe keine pädagogische Absicht, ich habe kein Programm, ich weiß nicht, was zu tun wäre." Aber Peter Wagner ist ein Horcher und Schauer, ein Hinhorcher und Hinschauer, und als solcher erzählt er, was er hört und was er sieht, ganz ohne ideologisches oder gar romantisches Drumherum, wie es im Fall der Roma beinahe zur schon eingespielten Gewohnheit zählt. Da kommt nicht immer Angenehmes dabei heraus.

Im Vorjahr reiste er mit einer Gruppe der Volkshochschule der burgenländischen Roma ins bulgarische Sliva, um in der dortigen Romagemeinde ein großes Musikfest mitzuerleben. Wagner nahm seine Kamera mit, immerhin hat sich sein kreativer Elan mittlerweile aufs Filmemachen konzentriert. Was als Dokumentation der südosteuropäischen Romakultur projektiert war, entpuppte sich freilich bald als Bericht über die peinliche Situation, in die Mitteleuropäer - auch mitteleuropäische Roma - geraten können, wenn sie sich aufmachen, die Exotik der Roma zu bestaunen, um dann aber selbst zum Schauobjekt zu werden. "Die Romaschauer" wurde so auch zu einer Geschichte des Betroffenheitsreflexes, des Sozialarbeiterimpulses.

Der Film ist unlängst erst in Wien präsentiert worden. Im Jänner folgt der nächste. "Stefan Horvath, Zigeuner aus Oberwart" ist das stille Porträt des Vaters eines der Ermordeten von 1995, der sich voriges Jahr mit dem Buch "Ich war nicht in Auschwitz" das Leid vom Buckel geschrieben hat.

Ein Leid, das immer noch die ganze, gegen das Vergessen ringende Volksgruppe umfasst. Im nächsten Jahr drohen der Republik multiple Gedenkfeiern. Eine fehlt noch, um die will sich Peter Wagner kümmern: Zehn Jahre Morde in Oberwart. Diesbezüglich habe man offiziell, sagt Wagner, ein "stilles Gedenken" im Auge. Das aber wäre Peter Wagners Sache nicht. Er will es laut. Und deutlich.

Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, 2004