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Theater macht geil

Peter Wagner kämpft im Burgenland gegen die Windmühlen der Kulturlosigkeit

Von Ditta Rudle

Eine jener Gegenden, wo einander Has’ und Igel gute Nacht sagen, im südlichsten Winkel des Burgenlandes. Keine Idylle. Keine verträumten Bauernhäuser, keine offenen Höfe, kaum Leben auf der schmalen Straße. Die Hühner gackern vor blenden weißen Lattenzäunen, der Hund kläfft hinter schmiedeeisernen Torflügeln, die Altbauern residieren in der Mansarde des Bungalows, und die Enkel fühlen sich als Städter, schließlich schauen sie abends dasselbe Fernsehprogramm wie diese.

Auf der Kuppe des steilen Sträßleins nach Deutsch Kaltenbrunn-Bergen durchbricht ein behäbiges Anwesen die ländliche Würdelosigkeit. Den Ankommenden liegt ein übergroßer Igel im Weg, verschmitzt nach Westen blickend. Beim Abschied, von der anderen Seite betrachtet, wird er zum Löwen, die Gäste nicht beachtend, versonnen an seine Verdauung denkend. Löwe und Igel sind eins, ein nur mit einem Kran bewegbarer Porphyr – Peter Wagner, der Besitzer des Hofes, hat ihn seiner Frau Brigitte zum Geburtstag geschenkt. Er ist kein Bauer, er will keinen Zaun vor seinem Grund, keinen zierlich bepflanzten Steingarten und keine Panoramafenster. Er füttert die lebendigen Igel mit Yoghurt und liebt die Fledermäuse.

Auch jene Fledermäuse, die in seinem Kopf herumschwirren, wenn er nicht schlafen kann und das mächtige Gebälk des alten, schon fast schlossartigen Gebäudes, die festen Mauern des von Arkaden umsäumten Innenhofes ihn bedrohen. Im vergangenen Herbst hat er diese Fledermäuse ausgelassen, hat von der Gemeinde sieben abgestorbene Bäume gekauft, sie im Atrium wieder eingegraben, eine Bretterbühne gebaut, eine schwankende Hängebrücke darüber gespannt, eine bewegliche Riesenspinne geschweißt, alte Kinosessel rundherum aufgestellt und die „Fledermäuse“ als Eigentherapie vor Zuschauern flattern lassen, gewalttätig, erotisch, verwirrend und mit eigener Musik garniert.

Danach hatte er den Kopf wieder frei für die Literatur. Wagner, 1956 geboren im burgenländischen Wolfau, ist Autor und Komponist zugleich, beides mit Erfolg und Preisen belohnt. Schon 1974 wurde sein Hörspiel „Der Bote“ vom ORF und von Magyar Radio aufgeführt und danach jedes Jahr mindestens eine Produktion. Bis er 1983 für das Deutsch Kaltenbrunner Laientheater ein Theaterstück geschrieben hat („Die wollten so einen Bauernschwank spielen, mit Lederhosen und kindischen Liebesszenen, grässlich“): „Das seltsame Sterben des Gustav Staber – ein Mysterienspiel in zwölf Achterln“ – und die Leidenschaft fürs unmittelbare Schauspiel ausgebrochen ist. Seitdem interessiert ihn das durch Technik distanzierte Hörspiel kaum noch. „Damals haben alle mitgespielt, auch die, für die ich gar keine Rollen hatte, die haben sich selbst eine ausgedacht, und es wurde wunderbar.“

So sicher, dass alles wunderbar wird, ist das bei Peter Wanger nicht. Er ist ein Querkopf, organisiert am Hauptplatz von Oberwart das „Erste burgenländische Fernsehwettschauen“, setzt am Fischteich eine Aktion mit zwei Schlagzeugen und dichtet die burgenländische Landeshymne um, mit „Pendlerfron und Arsch der Welt“. Die wollte dann doch niemand haben, obwohl Satirisches bestellt war: „Wenn’s sein muss, ist er auch ganz seriös, gründet mit Freunden („Im Südburgenland findet sich ein ungemein kreatives Potential, Maler, Komponisten, Schauspieler – alles Menschen, die es in der Großstadt nicht aushalten, sich nicht ein- und unterordnen wollen“) das OHO (Offenes Haus Oberwart), engagiert sich für Kulturarbeit am Land, schreibt für das Theater der Jugend ein Jazz-Musical („Die F.F.-Company & Co“, gemeinsam mit Christoph Cech und Christian Mühlbacher, auch als LP erhältlich) und wartet nun gelassen auf die Uraufführung seines jüngsten Theaterstückes im Wiener Ensemble Theater am Petersplatz.

„Lafnitz“ heißt das Drama, das mit der Ankunft zweier Rumänienflüchtlinge seinen Anfang nimmt und mit drei Toten endet. Die Grenze ist nicht weit von Deutsch Kaltenbrunn entfernt, vielleicht zwanzig Kilometer. Seit vergangenem Sommer müssen sich die Landsleute Wagners mit dem stetig an- und abschwellenden Flüchtlingsstrom auseinandersetzen, müssen ihre vor dem Fernsehgerät aufkeimende Sentimentalität von echter Mildtätigkeit trennen, Mitleid in Taten, oder doch wenigstens in Geduld umsetzen. Wagner weiß, wovon er erzählt.

Und doch sind der unablässig auf seiner Bratsche kratzende Mihaj und die junge, hübsche Christina, die da für kurze Zeit im Dorf unterschlüpfen, nur die Auslöser für das alltägliche Drama von Lüge und Eifersucht, unerfüllten Sehnsüchten, nie eingestandenen Ängsten und schließlich von Morden. Einfach hat’s sich Wagner nicht gemacht. Sorgfältig hat er jegliches Klischee umgangen, um die Geschichte nicht auf ein Flüchtlingsschicksal zu reduzieren. Mihaj und Christina bringen nur an die Oberfläche, was im Dorf schon lange gärt und was Peter Wanger schonlang im Kopf hat. „Zuerst war es mehr ein Umweltstück, darum auch der Titel, die Lafnitz fließt ja da unten, ganz zubetoniert, abgestorben, aber dann sind mir die Menschen immer wichtiger geworden.“ Wagner mag weder als Rufer durch die Umweltwüste wandeln – „Schließlich trägt eh jeder sein eigenes Ozonloch mit sich herum“ – noch als Sammler für Mitleidsspendende.

Für das Theater schreiben bedeutet, Verantwortung für die dort auftretenden Menschen zu übernehmen, dazu muss man sie wirklich kennen“. In Wien, meint er, ginge das nicht. „Diese ganze Beiselkultur, fürchterlich, ich bin froh, dass es da heroben nur ein Wirtshaus gibt, und in dem bin ich nur selten“. Die Dörfler an der „Lafnitz“ dafür umso öfter, auch die drei Frauen, die für Wagner die Hauptpersonen des Stückes sind: Christina, die noch ich verblühte Greißlerswitwe Greniza und Franziska, Mutter zweier Kinder, Ehemann Pendler. Den beiden Kindern ist eine besondere Rolle zugedacht: Sie führen die Zuschauer durch das Geschehen im Dorf Welten und wissen von Anbeginn an, dass es sie am Ende nicht mehr geben wird. Als allwissende Geister können sie so auch jene Gedanken verbalisieren, die die Weltener und die Zugereisten selbst nicht laut auszusprechen wagen. Böse und Gute sind in Welten allerdings kaum auseinander zu halten. Da ist keine/keiner wirklich unsympathisch, Verständnis verdienen sie alle, und die Identifikation fällt dem Publikum leicht. „Man muss Erbarmen mit den Menschen haben, sonst rutscht man ins Klischee. Ich hab’ zu allen meine Figuren ein erotisches Verhältnis, tatsächlich, sonst wären sie ja nur Papierfiguren.“

Doch Theaterstücke schreiben allein ist Peter Wagner zu wenig. Er will immer wieder Theater produzieren, wenn auch nicht mehr im eigenen Hof – „Ich brauch’ meinen Raum“. Sein jüngstes Werk wird er wieder selbst inszenieren, im OHO. „Theater zu produzieren macht geil. Das ist ein eigner Körper, der lebt, eine Kreatur, die wächst, mit Eitelkeiten und Streit, Solidarität und Furcht und vor allem dem Wissen, dass jeder jeden braucht.“ Von Teamarbeit hält er wenig, „Demokratie kann es in der Kunst nicht geben, das ist wie beim Kochen, viele Köche … das möchte’ ich nicht kosten. Kunst ist Entäußerung eines Schöpferwillens, Kunst muss radikal sein, wenn da hineingepantscht wird, wird alles nivelliert, dann gibt es nur vertretbares Mittelmaß.“ Von dem hält er wenig, das hat er sowohl mit seinen „Fledermäusen“ gezeigt als auch in der Theaterarbeit mit behinderten Kindern (Brigitte ist Sonderschullehrerin) und mit seinen Schallplatten – angenehme Frühstücksmusik sind weder „Paganinis Kinder – Paganinis Finger“ noch sein „Mensch …“ (auch die Musik zu „Fledermäuse“ gibt es als LP, alle im Vertrieb Extraplatte). Das Schreiben nennt er seinen Beruf, die Musik seine Leidenschaft. Beides betreibt er mit demselben Einsatz, ohne Kompromisse.

Das Einpersonenstück, das Wagner im April mit dem Schauspieler Johann Ivancsits (der burgenländische Kroate lebt in einem bunt bemalten Wohnwagen, nennt sich Direktor eines Zauber-Zigeuner-Schauspiels und spielt sowohl für Kinder als auch für Sandler und Ausgestoßene, zum Beispiel unter der Salztorbrücke am Wiener Donaukanal) verwirklichen wird, ist ein letzter Gruß an den Hörspielautor und Wanger-Lehrer Jan Rys. Rys, 1931 in Mährisch-Ostrau geboren, hat sich nach langer Irrfahrt im burgenländischen Unterrabnitz eingenistet, wo er 1986 an Krebs verstorben ist. Wagner hat sein 1960 uraufgeführtes Hörspiel „Grenzgänger“ bearbeitet und in einen neuen, aktuellen Zusammenhang gestellt. „Grenzgänger – Das lange Sterben des Hörspielautors Jan Rys aus Unterrabnitz im Burgenland“ heißt das Bühnenstück jetzt und zeigt das Verschwimmen der Grenzen zwischen Realität und Fiktion, das Verschwinden der Grenze zwischen dem erfundenen Stück und dem Leben des Autors. Für das Bühnenbild ließ sich Wagner von einem romantisch verfallenen Dom an der burgenländisch-ungarischen Grenze inspirieren. „Leider dürfen wir dort wegen der Baufälligkeit nicht spielen, obwohl der Stacheldraht jetzt weg ist, aber ich lass’ einen Teil des Kirchenschiffs in Oberwart von Wolfgang Horvath nachbauen. Die Musik wird der Geiger und Komponist Wolfgang R. Kubizek beisteuern. Die Proben hat der Allroundkünstler bereits mit Vehemenz begonnen, vielleicht um sich vom Geschehen in Wien, wo Dieter Haspel inszeniert, abzulenken. „Hinfahren, einmischen, das kommt nicht in Frage, das Stück gehört jetzt dem Regisseur, von mir ist es abgenabelt.“

„Lafnitz“ von Peter Wagner, Premiere am 4. April, 19.45 Uhr im Ensemble Theater am Petersplatz. Bis 19. Mai, täglich außer Sonntag, 19.45 Uhr.

„Grenzgänger – Das lange Sterben des Hörspielautors Jan Rys aus Unterrabnitz im Burgenland“, von Peter Wagner, vom 27. April bis 6. Mai im Offenen Haus Oberwart, 20 Uhr