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Lafnitz.
Ein Stück – O piesa.

Diagnose österreichischer Befindlichkeit inmitten
weltweiter Migrationsbewegungen und Umbrüche

edition lex liszt 12, Oberwart 1992
Übersetzung: Franz Remmel
211 Seiten / Paperback
ISBN 3-9500-1850-6
Preis: EUR 13,50

Künstlern sagt man im Allgemeinen die Eigenschaft nach, in der Art eines Seismographen auf Erschütterungen gesellschaftlicher Natur zu reagieren. Ein Beleg dafür liegt nun in Buchform vor: Peter Wagners Bühnenstück „Lafnitz". GESCHRIEBENSTEIN

Lafnitz

Ein Stück

Künstlern sagt man im allgemeinen die Eigenschaft nach, in der Art eines Seismographen auf Erschütterungen gesellschaftlicher Natur zu reagieren. Ein Beleg für dieses Klischee liegt nun in Buchform vor: Peter Wagners Bühnenstück „Lafnitz“ – im Wiener Ensembletheater mit großem Erfolg uraufgeführt – wurde bei der edition lex liszt 12 in Oberwart verlegt. Bereits im „Revolutionsjahr“ 1989 nahm der Autor mit diesem Stück die Flüchtlingsprobleme vorweg, die unser innenpolitisches Geschehen in diesen Tagen bestimmen.

Wäre „Lafnitz“ nur ein – wenn auch dramaturgisch gut gebautes – Zeitstück aus aktuellem Anlass gewesen, es hätte wohl kaum den Aufwand gelohnt, das Manuskript in Buchform zu gießen. Noch dazu in eine penibel gearbeitete, zweisprachige deutsch/rumänische Ausgabe. So aber weist „Lafnitz“ weit über den aktuellen Bezug hinaus und hat die nötige schöpferische Kraft, um auf der Bühne nicht nur kolportagehaft Wirklichkeit nachzuzeichnen, sondern sie zu gestalten.

Mit der Wahl des Titels und des Schauplatzes für sein Stück beweist der Autor ein Talent für unspektakuläre, dafür tiefe Metaphorik: Die Handlung spielt im Dorf Welten am burgenländisch-oststeirischen Grenzfluss Lafnitz. Dort hat die ländliche Tristess das Gespinst aus dörflerischen Lebenslügen und versagtem Lebensglück über die Jahre hinweg konserviert.

Als im Zuge des Zusammenbruchs im Osten die beiden rumänischen Flüchtlinge Mihai und Christina bei der ortsansässigen Greislerin Greniza einquartiert werden, geraten die Verhältnisse in Bewegung, das mühsam aufrechterhaltene Gleichgewicht des Dorfes ins Rutschen. Selbst durch den Zwang der Ereignisse in Bewegung geraten und über Grenzen gegangen, wirken die beiden Flüchtlinge in Welten wie Katalysatoren, die die unerfüllten Wünsche und Lebensträume der Dörfler zur Reaktion bringen.

Da ist einmal die Greniza: verhärmt durch den frühen Tod des Mannes, der auf der Heimfahrt von seinem Pendlerquartier in Wien gegen einen Baum raste. Nun ist sie mit ihrem Sohn Helmut allein. Der wiederum leidet an der ihm zugedachten, aber für ihn unerfüllbaren Rolle als Ersatz für den Gatten und der gleichzeitig erdrückenden Bevormundung durch eine Mutter, die nicht wahrhaben will, dass er seinen eigenen Weg gehen will. In Helmuts Phantasie erfüllen sich im Schicksal Christinas seine eigenen Wünsche, die sich einfach so zusammenfassen lassen: nichts wie weg von zu Hause.

Dann das Ehepaar Schmeller: Er, ein kreuzbraver und biederer Pendler, für den die neue Wohnzimmereinrichtung den Gipfel menschlichen Glücksstrebens darstellt. Sie, Franziska Schmeller, sitzt unter der Woche zu Hause mit den zwei Kindern, eingesperrt in den Käfig des Häuselbauerglücks. Eine Ahnung von erfülltem Leben erhält sie nur durch ihre platonische (aber für sie als Verheiratete unstatthafte) Beziehung zum jungen Greniza. Als dieser sich aber nun für Christina mehr interessiert und keine Lust mehr zeigt, für Franziska unter der Woche den Pausenclown zu machen, beginnen sich die Dinge zuzuspitzen. Und am Ende werden drei Leichen überbleiben.

Als Autor hat Peter Wagner einen liebevoll, ironischen aber deswegen um nichts weniger scharfen Blick auf dieses anfangs scheinbar so idyllischen Dorf und seine Bewohner geworfen. Und er hat nachgezeichnet, wie aus der eigenen Misere der Hass auf das Fremde entsteht, wenn plötzlich das kleine, gewohnte (und darum erträgliche) Unglück noch immer mehr Glücksverheißung, oder besser gesagt, mehr Glücksersatz verspricht, als jegliche Änderung der äußeren und inneren Umstände.

-chz-, UHUDLA

Der Mensch ist die hysterische Fehlkonstruktion der Natur

Autor Peter Wagner im Gespräch über sein zweisprachiges Werk „Lafnitz“

„Lafnitz“ ist das erste Stück überhaupt, das ich zu schreiben begonnen habe. Ursprünglich die Idee, ein Porträt, eine Art Studie eines südburgenländischen Dorfes an der Lafnitz zu verfassen. Es fehlten mir nur noch zwei Figuren. Ich habe dann in Deutsch Kaltenbrunn bald jene Typen herausfiltern können, die für das Porträt in Frage kämen, die es aber in jedem Dorf gibt. Das war mir zu klischeehaft. Der dramaturgische Faden fehlte. Als es dann im ehemaligen Osten zu rumoren begann, habe ich diese 2 Figuren gefunden, habe sie aus Rumänien quasi importiert, ins Dorf gesetzt, was für mich die Lösung des dramatischen und dramaturgischen Rätsels bedeutete. Urplötzlich.

Im Herbst 1989 habe ich das Stück unglaublich schnell verfasst und in der jetzigen Form niedergeschrieben. Am 12. Dezember ’89 beendete ich die Arbeit, schickte sie sofort an den Verlag. Genau 1 Woche später, 19. Dezember, fielen in Temesvar die ersten Schüsse. Das Rumänische Volk begann, sich von einem Diktator zu befreien, um sich vielleicht nur dem nächsten hinzuwerfen, ich weiß nicht. Kurz nach Weihnachten hat es der erste Theaterregisseur gelesen (Haspel), hat sofort zugegriffen und im April inszeniert. Für mich unglücklich war, dass mit Kaisersteinbruch und der ganzen entflammenden Hysterie das Stück, kurz vor der Premiere, an Aktualität gewonnen hat. Die Presse hat sich d’raufgeschmissen, und hinter der Aktualität ist der literarische, menschliche Aspekt verlorengegangen. Das hat sich auf die Inszenierung ausgewirkt. Das Stück war, wie fast alle meine Stücke, zu lang (3,5 Stunden). Ganze Passagen, auch Hauptfiguren und Szenen (Kreislerin, die toten Kinder, die zum Publikum sprechen) wurden gestrichen. Der Regisseur hatte Probleme mit Kindern am Theater überhaupt, aber ich habe bei der „Zeitmaschine“ gelernt, was mit Kindern möglich ist. Ich war unglücklich mit der Inszenierung, weil sie ultrarealistisch angelegt war, wie Haspel eben inszeniert. Dann kam aus Gründen derselben verfluchten Aktualität das Fernsehen – Aufzeichnungen, klar, zu lang, Sendezeit …, obwohl’s um 22 Uhr gelaufen ist. Die verbliebenen poetischen Stellen wurden wieder stark gekürzt, von 3,5 Stunden blieben nicht einmal 2 über. Spekulationen, „Lafnitz“ auch als Buch erscheinen zu lassen, gab es schon immer. Das Stück in kompletter Körperlichkeit der Sprache als Buch. Auch für mich war es mit dem gesamten Text ein neues Stück. Die Lafnitz ist zuerst einmal ein Fluss. Jeder Fluss ist aber gleichzeitig eine Grenze. Wieder die Aktualität, das Buch muss jedoch ohnehin andere Auseinandersetzungen suchen als Theater und/oder TV. Eine Grenze zwischen den Welten, nicht nur geographisch, auch zwischen zwei Menschen, geht man auf ihn zu oder ist der Fluss zu breit. Hier die rumänischen Flüchtlinge, hier das südburgenländische Dorf. Die Flüchtlinge bringen nicht nur Hoffnung, sondern auch Ängste mit. Die in hoffnungslos verlogenen und starren Dorfstrukturen lebenden Menschen werden wachgerüttelt. Plötzlich etwas Fremdes, Exotisches, nicht Vertrautes. Eigene Ängste erscheinen wieder oder tauchen auf. Der Zweisprachigkeit bin ich etwas schuldig. Ich habe als Kind meine eigene zweite Sprache, ungarisch, brutal verloren. Mit der F&F-Company und mit Josko Vlasich habe ich mit großem Vergnügen in deutsch und kroatisch gearbeitet. Jeder Mensch trägt mehrere Sprachen, kann sich aber oft nur einer bedienen. Die „Lafnitz“ als Buch stellt rumänisch und deutsch simultan gegenüber. Für mich ein nicht unwichtiger Spannungspunkt, von dem ich hoffe, dass er sich doch entfaltet. Denn Irritationen für den Leser sind möglich.

Es war die Idee Erich Schnellers, der in Rumänien liebe Freunde und Bekannte hat, mich mit dem Schriftsteller und Journalisten Franz Remmer bekanntzumachen. Ein netter älterer Herr, eloquent, 62 Jahre alt, der viel in seinem Leben gesehen und durchgemacht hat. Übrigens auch oberster Zigeuner-Experte der deutschen Minderheit. Ich hoffe, ihn bei der Präsentation in Wien wiederzusehen. Der Rest ging sehr schnell. Auf 1, 2, 3 habe ich bei meinen beiden Rumänienreisen auch einige Freunde gefunden, bemerkte schnell, welch ein Gewinn die Übersetzung für mich war, und ich war dankbar, dass ich in so ein Land eindringen und es besser kennenlernen konnte. Ich will noch mehr sehen. Bei der Krönung eines Zigeunerkönigs waren wir dabei. Das war schön.

Der Verfall. In Rumänien kann man ihn studieren. Für mich ist er eine genauso wichtige und bezeichnende kulturelle Größe wie der Aufbau. Wir sind, da bin ich überzeugt, in einer spätzivilisatorischen Phase des Unterganges. Wie alle großen Kulturen aller Zeiten in der Welt. Wir sind allerdings die erste Zivilisation, die es geschafft hat, sich und die ganze Welt an den Rand des Abgrundes zu bringen. So weh das auch tut, so schmerzhaft es ist, so traurig es macht, so sehr spürt man auch diese mörderische Kraft des Menschen, der sich immer mit Gott gleichzusetzen versucht hat – Gott zwar geehrt hat, aber im Grunde sein Werk übernommen hat. Ich glaube, dass der Mensch die hysterische Fehlkonstruktion der Natur ist, durch die sich die Natur letztlich vielleicht auch in sich etwas korrigiert. Dieser Gedanke ist noch nicht ganz zu Ende geführt, ich wittere im Untergang den ganz logischen Mord an uns selbst. Ganze Volksgruppen verschwinden, ganze Kulturen versinken in sich selbst. Wir können ein Gefühl dafür bekommen, auf welchen Stelzen von Illusionen wir in unserem Leben dahinstaksen, welchen Illusionen vom Überleben wir uns hingeben. Ich war im Sommer längere Zeit in Mittel- und Südamerika. Aber dann, beim zweiten Mal in Rumänien bekam ich den „karpatischen Schock“. Der Verfall ist furchtbar. Kälte, feuchte Häuser, ein Sozialsystem, das völlig vor die Hunde geht, geistig und körperlich Behinderte und Krüppel auf Bahnhöfen und in den Straßen. Das Land wird nicht bepflügt. Fatalismus ist spürbar. Die Menschen hoffen, dass es nicht schlechter wird, wissen aber, dass es nicht besser wird.

Thomas Vlassits, GESCHRIEBENSTEIN