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Monolog mit einem Schatten.
Eine Windoper.

Stück und Idee: Peter Wagner / Musik: Wolfgang R. Kubizek
Uraufführung: 15. März 1996 im Konzerthaus, Wien – weitere Vorstellungen im Offenen Haus Oberwart
Ratte: Dominik Glaubitz; Skarabäus: Sibylle Kos;
Goldberg Ensemble; Dirigent: Christoph Cech; Bühne: Wolfgang Horwath; Licht: Alfred Masal; Produktionsleitung: Horst Horvath;
Regie: Michael Sturminger
Alle Rechte für das Stückmanuskript beim Autor.

Textauszug >>
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Zur Inszenierung

Michael Sturminger, REGIE: Mit ihrer Windoper wagen sich Wolfgang R. Kubizek und Peter Wagner in den Bereich zwischen den klassischen Gattungen der Oper und des Schauspiels. Obwohl das Stück in seiner durchkomponierten Partitur den Sprechtext überwiegend rhythmisiert und die Schauspieler auf diese Weise zu Mitgliedern des Orchesters macht, schöpft es alle Möglichkeiten der Konfrontation von Stimme und Musik aus.
Für die Inszenierung ist die Musik der erste und wichtigste Anhaltspunkt. Die Musik fügt dem Text die erste Interpretation hinzu, sie gliedert ihn, sie ist der erste Dramaturg. Doch wie die Musik dem Text nicht sklavisch folgt, ihn nicht bloß zu illustrieren versucht, wird die Inszenierung Musik und Text manchmal in großer Nähe, dann wieder in einer kontrastierenden Distanz begleiten.
Es gibt Anweisungen des Autors, die ich nicht wörtlich, vielmehr assoziativ übersetzen möchte. Eine konkrete Realisierung von fast abstrakten Bildern erscheint mir als Verkleinerung und Banalisierung.
Die beiden Protagonisten werden nicht durch ihre Kostüme oder Bewegungen als Ratte bzw. Skarabäus zu erkennen sein, das Wesen dieser Tiere wird zur Basis ihrer Charaktere. Die Bühne wird nicht ein Gesicht Gottes darstellen, Wind wird sichtbar nichts bewegen. „Offene“ Entsprechungen müssen gefunden werden.
Um die Vergangenheit der Protagonisten in die Handlung aufnehmen zu können, möchte ich mit Hilfe von Projektionen schnelle, klare Ortsveränderungen und Zeitsprünge machen. Auf diese Art hat man die Möglichkeit auf vielen Ebenen zu erzählen und die Einheit von Zeit und Raum, die das Stück vorgibt, immer wieder in Zwischenebenen zu brechen.

Etwa: Ein immer wiederkehrender Block von in Stille projezierten Karteikarten der Namen und Gesichter von in KZ's ermordeten Menschen, Gesichter mit Namen und Adresse. Geburtsdaten und Unterschriften lassen hinter anonymen Millionenzahlen Personen mit ihrem Schicksal hervortreten.
Eine stumme Szenenfolge eines unverfänglich netten Herren, der mit einer Bastelarbeit beschäftigt ist. Sein Sohn begutachtet seine Bastelei, Freunde sparen nicht mit anerkennenden Gesten, seine Tochter bringt Bier. Das Ergebnis bringt der Briefträger: Eine Detonation aus der Vergangenheit – ins Heute.
Wir werden über solche Mittel nachdenken, vielleicht verwerfen, vielleicht durch andere ersetzen. Die Inszenierung soll das Stück jedoch nicht einfach herunterspulen, sie soll es in einen Kontext stellen, der den phantasie- und humorvoll absurden Grundton immer wieder deutlich anklingen lässt.

Pressestimmen

KONZERTHAUS NACHRICHTEN, März 1996: Am 4. Feber 1995 werden vier Mitglieder der Zigeunerkolonie im burgenländischen Oberwart bei einer Bombenexplosion mit offensichtlich rechtsextremistischem Hintergrund ermordet. Peter Wagners „Monolog mit einem Schatten“ entstand vorher und ist folglich keine Auseinandersetzung mit diesen Ereignissen. Trotzdem: Die vom Offenen Haus Oberwart produzierte „Windoper“ trägt die Male jenes 4. Februars – auch sie zeigt einen Aspekt des HÖRGÄNGE-Themas „Ausländer in Österreich“.

Peter Wagner erzählt von einem in Birkenau ermordeten Zigeuner, der nach seinem Tod – zur Ratte mutiert – in einem Kellerloch haust. Nur der Wind stört sein Dasein: Bei starkem Wind packt ihn ein Fieber, das ihn zwingt, Passanten auf der Straße anzufallen. Eines Tages findet er in seinem Keller einen Gehängten: Es ist Gott. Alsbald beginnt die Ratte, gemeinsam mit einem Skarabäus, der in seinem früheren Leben die Geliebte des Zigeuners war, Gott zu verspeisen – aus Rache. Übrig aber bleibt eine tiefe, untilgbare Trauer …

Stefan Jena, ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT, Nr. 5/1996: Fremd ist der Fremde nur in der Fremde – Hörgänge Festival im Wiener Konzerthaus
… Umso positiver war die Überraschung durch die auf die Tragödie von Oberwart bezugnehmende „Windoper – Monolog mit einem Schatten“. Peter Wagners Text (von Dominik Glaubitz kongenial dargestellt) ist eine zynische Farce im Stile George Taboris – und wie bei dem Altmeister des Theaters verzeiht man kurze moralisierende Passagen gerne, weil sie vom makabren Witz des Stückes gleichsam gedeckt sind. Klug verzichtet Wolfgang Kubizeks Musik auf jede plakative Illustration; sie nimmt einen nahezu eigenständigen Verlauf und lenkt so die Aufmerksamkeit umso wirkungsvoller auf den Text.


Textauszug

Musik: Wolfgang R. Kubizek / Libretto von Peter Wagner

Der düster eingegrenzte nackte Raum wird von einem riesigen Kohlehaufen dominiert.
Auf seiner Spitze hockt zugedeckt von einem riesenhaften Schatten die Ratte. Durch ein zerbrochenes Fenster im Irgendwo pfeift der Wind. Die Ratte wagt den Kopf nicht zu heben, sie blickt verschüchtert rund um sich.

DIE RATTE
Scheißwind!
Alles hier in dieser Finsternis
könnte ich ertragen
Und auch die schwarze Kohle
von der ich fresse
will und kann ich gut ertragen
Auch wenn sie etwas trocken ist
Doch dieser Wind!

Der Wind legt noch etwas zu. / Die Ratte hält sich den Kopf.

DIE RATTE
Ziep, ziiep!
Was macht der Hund aus mir
Alle Dinge verdrehen sich
Ein Schwindel im Hirn
Fieber im Blut
ein Schleier über meinen Augen -
und schon wieder hab ich irgendeine Vision!
Erschrickt selbst vor diesem Wort,
sie ist überhaupt sehr schreckhaft und ängstlich.
Ich sehe Dinge, die es gar nicht gibt
dafür mit einer Echtheit, die mich glauben macht
ich sähe sie tatsächlich!
Wie schön wäre doch das Leben
ohne den verfluchten Wind!

Der Wind legt abermals zu, der Schatten baumelt schon etwas heftiger.

DIE RATTE
Scheißwind! Scheißvisionen!
Ich weiß, dass es nicht sein kann
und dennoch seh ich vis à vis
knapp unterm Kellerfenster
eine riesige Gestalt
Sehr geduckt und ohne in ihre Richtung zu blicken.
Sie baumelt ganz gemächlich hin und her
als wär sie stranguliert
Aufgeknüpft ausgerechnet
an der gelben Gasleitung
Und wie zum Hohn für mein verwirrtes Auge
wirft sie ihren Schatten über mich
Auf dass mir noch das letzte Licht
in meinem ohnehin so finstern Loch
abhanden komme!
Verdammter Schwindel, infames Trugbild!
Ich bin eine Ratte
hab ich mir soviel unerwünschte
windbedingte Einbildung verdient?!
Rennt um den Kohlehaufen.
Ich schließe besser meine Augen
und warte, bis sich der Spuk von selber legt!

Die Ratte hockt sich auf den Kohlehaufen, schließt die Augen und legt die Hände an die Ohren.

DIE RATTE
So hör ich keinen Wind
so seh ich keinen Schatten

Der Wind legt sich etwas.

DIE RATTE
Das bringt überhaupt nichts!
Schließ ich die Augen
wird er nur umso größer
Und schließlich seh ich gar nichts mehr
Kein Wunder, könnte man nun sagen
mit zugemachten Augen sieht man nichts
Nur: ganz so einfach sind die Dinge nicht
Und es wäre keine elegante Lösung
sagte ich: ich hab die Augen zu
und also seh ich nichts!
Nein nein
es liegt ein Schatten über meiner Existenz
das macht mir Angst
das treibt mich in die Raserei
ja vielleicht sogar bis in den Wahnsinn!
Schrecklich: ich mit Schaum vorm Mund
mit verdrehten Augen
Zuckungen an allen Muskeln
und einem diabolisch blödsinnigen Feixen!
Richtet sich nun erstmals auf,
als wollte sie das Irgendwo
hoch über sich beschwören.
Herr, hab Erbarmen
mit Deiner unscheinbaren Kreatur!

Die Ratte zuckt in sich zusammen. / Öffnet nun ängstlich die Augen, sieht sich vorsichtig um, nimmt die Hände von den Ohren.

DIE RATTE
Habe ich "Herr" gesagt?
Ich habe doch hoffentlich nicht "Herr" gesagt!
Ich bin senil! Ich bin hysterisch!
Ich brauche frische Luft

Der Wind pfeift kurzfristig ganz besonders laut. Die Ratte zuckt erneut zusammen.

DIE RATTE
Das ist es:
der Herr wirft seinen Schatten über mich!
Habe ich nicht geschworen
als ich zur Ratte wurde:
nur einem werde ich mich
jemals wieder beugen
nur einer stehe fortan über mir:
Gott, der Herr selbst
und sonst nichts und niemand!
Um Himmels Willen
Und nun hängst der Herr
in meinem Keller
an einem Strick
aufgeknüpft an einer gelben Leitung!

Die Ratte läuft nervös hin und her, doch keine Ecke bietet ihr wirklich Schutz. Schließlich nimmt sie sich den Mut und spricht zum Irgendwo hoch über sich.

DIE RATTE
Zu groß bist Du, Herr, für eine kleine Ratte!

Der Wind klingt nun schon eher bedrohlich, der Schatten kreist in großen Pendelbewegungen über der Ratte, die sich nun am Fuße des Kohlehaufens zu Boden wirft.