Skip to main content

Todestag
Ein bäuerliches Schicksalsdrama

Stück von Peter Wagner
Uraufführung: 24.3.1993, Kulturzentrum Eisenstadt
Produktion: Theaterarbeit in den Burgenländischen Kulturzentren
Besetzung: Mutter: Maria Urban; Sissi: Maria Martina; Franz: Ottwald John; Karl: Georg Kusztrich; Pipi: Hans Sokol;
Bühnenbild: Wolfgang Horwath; Kostüme: Ulrike Plichta; Maske: Doris Deixler; Produktionsleitung: Horst Horvath; Regie: Conny Hannes Meyer
Alle Rechte für das Stückmanuskript seit 2004 wieder beim Autor.

Textauszug >>

Regiehinweis

Wenn man die Kurve, die der Schnaps nimmt, gegen die Kurve, die die Sprache nimmt, lehnt, könnte man vielleicht den gotischen Bogen, den sie beide bilden, sichtbar werden lassen. Das aber müsste furchtbar zum Lachen sein.

Gedanken

Conny Hannes Meyer: Seit den Zeiten antiken Theaters erlebte die in Griechenland entwickelte Form der Tragödie oftmals aktuelle Ergänzungen und Adaptionen. In der bekannten österreichischen Dramenliteratur erreichte sie in vielen Theaterstücken der Jahrhundertwende einen stark vom Jugendstil mitgeprägten Höhepunkt.

Wenn nun, in der gänzlich anders gearteten Gesellschaft unserer Tage, ein österreichischer Stückeschreiber diese Form erneut aufgreift, alle inzwischen entwickelten epischen Spielformen bewusst außer acht lässt und sich freiwillig wieder in die strenge Disziplin des aristotelischen Prinzips begibt, dann ist das ganz gewiss nicht nur als literarische Pose zu verstehen.

Peter Wagner hat sich bei seinem TODESTAG überzeugend für die antike Form, also für Einheit der Zeit, des Ortes und der Handlung, entschieden. Die Auseinandersetzung zweier Brüder an der Leiche der gemeinsamen Geliebten ist bei ihm kein harmloser Streit zweier Betrunkener oder ein leicht beizulegender Zwist. Dieses zeremonielle Besäufnis ist der notwendige Anlauf zur gnadenlosen Austragung eines unlösbar gewordenen Konflikts.

In dieser Tragödie steht der Tod am Anfang und am Ende. Die tote Kuh Elsbeth, Metapher für die existenzielle Verwurzelung in uralten Traditionen, für die unlösbare Gebundenheit an die Natur und hassgeliebtes Ersatzobjekt für alles, was ein Leben voll zermürbender Alltagsarbeit genommen hat, ist Anlass zu einer ersten und gleichzeitig letzten prinzipiellen Auseinandersetzung mit tödlichem Ausgang.

Und dennoch sind es nicht die einander bekämpfenden und tötenden Brüder, sondern die zu Tode beleidigten und entwürdigten Frauen, die – um ihre Würde wiederzuerlangen – den Augiasstall ausmisten. Freilich mit Verlust der nicht mehr geliebten und deshalb zum Tode verurteilten Söhne und Gatten.

Das wirkliche Opfer ist ein Zwitterding, ein Mischwesen, ein kleiner Minotaurus, der symbolisch für alles steht, was sich in dieser "Familie" zeit ihres Bestehens unbewältigt angehäuft hat. Er ist durch den Mord an seiner Mutter Elsbeth und durch den Doppeltod seiner Ziehväter Vollwaise geworden und will mit den verbrecherischen Mordanstifterinnen nicht  länger leben. Er bittet um Erlösung, um seinen Tod - der wird ihm gewährt.

Ohne also in ausgetretenen Pfaden überkommener Antikeninterpretation zu gehen, erreicht Peter Wagner gewollt oder ungewollt klassisches Maß. Was bei diesem Schauspiel überzeugt, ist die selbstverständliche Kühnheit, mit der er seine zeitlose Mythe erzählt, der große Entwurf, der sich nicht im Gestrüpp der szenischen Aufbereitung verliert. Und nicht zuletzt ist es die Wiederentdeckung der Rachegöttinnen aus durchaus heutiger Sicht.

In des Autors volksnaher Dramaturgie dampft trotz des gefährlichen literarischen Terrains, auf das er sich mit der Wahl des Schauplatzes begibt, kein dumpfes "Blut-und-Boden-Drama" in hoffnungslosem Fatalismus schicksalsbestimmter Geschöpfe dahin, sondern in Peter Wagners Tragödie ist des Menschen Schicksal der Mensch. Das rückt sie uns nahe und läSSt uns immer noch Raum genug, über sie zu befinden.

Pressestimmen

Dorothe Frank, ORF Ö1, IM RAMPENLICHT, 27. März 1993, 15.05 Uhr:
TODESTAG – Uraufführung

SPRECHER: Im letzten Jahr hat Conny Hannes Meyer die "Theaterarbeit in den Burgenländischen Kulturzentren ins Leben gerufen. Die erste, sehr gut gelungene Produktion ist schon im Herbst gelaufen. Die zweite hatte letzten Mittwoch in Eisenstadt Premiere. TODESTAG, ein bäuerliches Schicksaldrama von Peter Wagner. Auch diesmal hat Conny Hannes Meyer selbst Regie geführt. Dorothee Frank hat das Stück gesehen.

FRANZ (O-Ton): Die Beine, die Schenkel, das breite Becken, der Bauch ... wie habe ich den wundervoll geschwungenen Mund geliebt ... und ihre Ohren ... und ihre Seele ... und ihre Mütterlichkeit ... wie fürsorglich sie zu ihm war, fast zwölf Jahre lang ... und dann ihr Stillhalten, ihre Hingabe, und dann den Kopf zurückgedreht, die Sanftmut ihres Blickes, darin die ganze Welt lag, Karl, und nicht weniger als das, die ganze Welt ...

SPRECHERIN: Auf dem Totenbett eine Kuh. Die Brüder Franz und Karl beweinen ihr urplötzlich dahingerafftes Rindvieh, ihr Ein und Alles, Elsbeth. Da fließt der Schnaps in Strömen. Umsonst mahnen die alte Mutter und Karls nun endlich schwangere Gattin Sissi zur Besonnenheit. Die Rivalität der Brüder um die geliebte Kuh bricht auf, Bösartigkeiten kommen ans Licht. Der hinterhältige Komplexler Franz und der um sein Glück betrogene Karl bringen einander auf die gräßlichste Weise um. Wie die beiden hinterbliebenen Frauen reagieren werden, das hat man sich nicht bei der Lektüre des Textes, wohl aber durch Conny Hannes Meyers Inszenierung schon ausrechnen können.

MUTTER (O-Ton): Wir hätten dem Treiben schon viel früher ein Ende setzen sollen. Ich begreife nicht, daß sie immer glauben, sie könnten mit uns machen, was sie wollen.

SPRECHERIN: Die beiden haben das ganze geschickt eingefädelt. Ein in Gift getränktes Stück Zucker und später beim Count-Down der Stamperln Alkoholnachschub, immer rechtzeitig und diskret, mehr hats nicht gebraucht. Und den Minotaurus, den Elsbeth mit Franz oder auch mit Karl gezeugt hat, den wird man auch noch beseitigen.

PETER WAGNER (O-Ton): Die sehr wesentlichen Spurenelemente des Matriarchats in einer patriarchalen Gesellschaft.

SPRECHERIN: ... sagt Peter Wagner. Natürlich ist TODESTAG kein Stück über Perversion. Die Sache mit der Kuh dient einesteils als Metapher für das Sterben des Bauernstandes, andererseits als theatralischer Kunstgriff, ein Augenzwinkern, das die ganze blutrünstige Klischeetragödie von vorne herein ins Absurde kippen läßt.

PETER WAGNER (O-Ton): Dieses Stück ist sehr sehr rasch entstanden, in drei Nächten. Ich habe selbst unglaublich viel gelacht dabei, bei der ganzen Geschichte. Daß jetzt etwas sehr Artifizielles entstanden ist, das nehm ich mal so, das akzeptiere ich auch - in gewisser Weise. Wir haben gestritten miteinander. Das, was ich aus der Sprache gerne herausgeholt hätte, das kam leider nicht, das wurde nicht erreicht, sondern eher stilisiert, und dadurch ist die Groteske lückenhaft.

SPRECHERIN: Conny Hannes Meyer hat das absichtlich übersteigerte Tragödienpathos des Textes durchaus ernst genommen.

CONNY HANNES MEYER (O-Ton): Ich hab den Vorwurf Wagners, der ja einer antiken Tragödie entspricht, nämlich der Einheit der Zeit, des Ortes und der Handlung, und die Verknüpfung der Geschicke der Personen, die da handeln -  das sind eigentlich ganz antike Grundkonstellationen. Und das hat mich zu reizen begonnen, das so zu machen. Der Spaß, der sich ... würde zu Klamauk  verführt haben, vor allem, weil da Trunkenheit dauernd zu spielen ist, und dann glaubt man, man lacht über zwei Bsoffene, aber das ist nicht das Thema. Die Trunkenheit und der Kampf mit dem Schnaps als Waffe, das ist ja der Krieg,  das ist der Kampf der Männer gegeneinander und möglicherweise auch gegen die Frauen.

SPRECHERIN: Schon Wagners witzige dramatische Idee, eben die Konstellation mit der Kuh, krankt an ihrer grobgezimmerten und psychologisch nicht in allem schlüssigen Ausführung. Meyers Auffassung gibt diesem Todestag dann den Todesstoß. Maria Urban, die die kleine Rolle der Mutter gibt, ist die einzige, die ihre Figur kraft ihrer Sprech- und Charakerisierungskunst aus der Diskrepanz zwischen Stück und Inszenierung zu retten vermag. Georg Kusztrich reagiert auf diese Diskrepanz beinahe unbeholfen. Auch Maria Martina wirkt unter solchen Umständen fast hohl. Eine Produktion, die dem schönen Bühnenbild von Wolfgang Horvath die starke Athmospäre schuldig bleibt.

NEUE KRONENZEITUNG: „Todestag“ sorgt für Aufregung
Unterschiedlich ist die Reaktion des Publikums auf das Stück „Todestag“ des Burgenländers Peter Wagner. Begeistert bis entsetzt reagierten die Besucher in Eisenstadt und Güssing. Der Künstler bietet mit seinem Werk, einem einstündigen Schicksalsdrama, auch keine leichte Kost: Mit einem düsteren Bühnenbild als Hintergrund entspinnt sich ein Bruderzwist um eine geliebte Kuh (!) – eine Parabel auf das traditionelle Erbrecht auf dem Land.

BF: Wagners „Todestag“
… Schrieb Peter Wagner wirklich ein „bäuerliches“ Schicksalsdrama oder will er uns nur in die Irre und vielmehr vor Augen führen, wie Menschen sind und sein können – dereinst, jetzt und immerdar, ob auf einem Bauernhof oder anderswo? Deshalb die gehobene Sprache? … Kein leichtes Stück, und tröstlich ist es auch nicht …


Textauszug

(Karl hebt mit einer letzten Kraftanstrengung die Pistole und feuert einen Schuss ab. Franz ist in das Geschlechtsteil getroffen und geht ebenfalls in die Knie, die Augen quellen aus seinem Gesicht.)

FRANZ: Hier, hier an dieser Stelle … wirft einen Blick auf sein zerfetztes Geschlecht … o Himmel, hier war ich dir überlegen, auch wenn das alles jetzt hin ist! Jahrelang habe ich zugesehen, wie deine Frau mehr und mehr in sich verfiel, als Folgeprodukt meiner schändlichen Tat. Und jahrelang habe ich geduldig auf den Augenblick gewartet. Vor ein paar Wochen hatte ich sie endlich so weit. Ihr Widerstand ist zusammengekracht wie eine Kathedrale. Du hattest gerade Nachtdienst. Und du hattest dann noch einige Male Nachtdienst. Da wir Brüder sind, würde man ohnedies schwerlich erkennen können, dass das Kind gar nicht von dir ist! … Nur musste sie dich wenigstens glauben machen, es wäre dein Kind. … So bin ich auf die Idee gekommen,… sie solle dir vorspielen, sie wäre eine Kuh, muh, muh, muh …

(Karl sinkt endgültig zu Boden, feuert noch einen Schuss ab. Beide verröcheln und verbleichen. Die Mutter und Sissi kommen herein. Stehen vor den Leichen.)

MUTTER: War skeptisch, das muss ich zugeben.

SISSI: Ich habe immer gewusst, es funktioniert. Ich habe ihm gesagt, ein Stück Würfelzucker, in Gift getränkt, und die Kuh ist hin. Sollte es ihm wirklich ernst damit sein, ein neues Leben anzufangen. (Sie umarmen einander und drehen sich beschwingt.)

MUTTER: Wir hätten dem Treiben schon viel früher ein Ende setzen sollen. Ich versteh nicht, dass sie sich noch immer einbilden, sie könnten uns für blöd verkaufen.

SISSI: Und jetzt?

MUTTER: Jetzt müssen wir noch was mit Pipi tun. Der stinkt schon wieder, ich rieche es bis hierher.

SISSI (konfus) Mir fällt heute nichts mehr ein. Mein Phantasiekapital hat sich für heute erschöpft. Aber es war ein guter Tag, finden Sie nicht, Mutter?

(Die Mutter zerrt Pipi aus dem Verschlag. Er hat einen Kalbskopf auf einem menschlichen Körper, geht aber auf allen vieren und grunzt. Um den Hals trägt er einen Strick als Leine.)

MUTTER: Komm, Pipi, du gehst jetzt zu Mama. Die will dich abschlecken, und trinken musst du ja auch noch. Mama steht draußen am Teich, wo der große Friede ist. (Zu Sissi.) Du gehst zum Teich mit ihm, hängst einen Stein an den Strick ... und dann einen kräftigen Schubs. Ich verständige die Rettung und den Arzt. Und dass du dir ja ein paar Tränen rausquetschst! Ab jetzt bist du die trauernde Witwe, kapiert? Und ich die leidende Mutter. Ein perfektes Gespann! Und selbstverständlich haben wir von nichts etwas gewusst. Und würden es niemals glauben!

SISSI (küsst der Mutter die Hand): Ach Mutter, ich verehre Sie so!

MUTTER: Es war hoch an der Zeit, hier endlich auszumisten. Kein Mensch soll es wagen, uns jemals wieder für dumm zu verkaufen.

SISSI: Kein Mensch! (Geht kichernd mit Pipi ab.) Komm, Pipi, Mama steht draußen am Teich, wo der große Friede ist. Komm, Pipilein, gehen wir Frieden suchen!

MUTTER (alleine, ganz Schicksalsgöttin, über den Leichen ihrer Söhne thronend): Habe ich nicht gesagt: Gott sieht alles!

(Blackout.)