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Wächter über Oberwart

Die sechs Friedhöfe und drei Totengedenkstätten als kosmopolitische Erzählung der Provinz
Ausstellung im Stadtpark Oberwart
, 23. Juni bis 26. Oktober 2013

Erstkonzept und Projektleitung: Peter Wagner

Wissenschaftliches Konzept, Recherche und Ausführung: Gert Tschögl / Burgenländische Forschungsgesellschaft


Optische Gestaltung: Eveline Rabold
, Fotografie: Christian Ringbauer


Konzept Künstlerbeiträge: Martin Breindl
; Beteiligte KünstlerInnen: Elisa Andessner (A), Anne Kneubühl (CH)
Recherche und Texte zu vorgestellten Biografien (sofern nicht persönlich als Verfasser genannt): Dr. Werner Gangoly, Christian Krutzler, Mag. Gert Polster, Mag.a Judith Schuster-Gyenge, Katharina Tiwald, Peter Wagner


Weitere Mitarbeit: Pfr. Mag. László Gúthy (Listen der reformierten Totenbücher), Stefan Horvath, Christian Krutzler (Listen der katholischen und evangelischen Totenbücher, Liste der Totenbücher des Armenfriedhofs), Pfr. Mag.a Sieglinde Pfänder, Maria Racz, Mag. Franz Stangl (Summaries), Katharina Tiwald (Summaries), Juliane Tölly


Lektorat: Dr. Bernhard Berger

Übersetzungen: Mag.a Judith Schuster-Gyenge, Emmerich Gärtner-Horvath, Josef Schmid, Dr. Tirza Lemberger, Mag.a Franceska Liebmann


Organisatorische Leitung: Alfred Masal (OHO)

Pläne und Bauten: Alfred Masal, Georg Müllner, Herbert Polzhofer
; Büro: Bettina Benedek


Website "Wächter über Oberwart" >>

Das Offenes Haus Oberwart (OHO) widmet sich in einer Ausstellung der erstaunlichen Tatsache, dass ein Ort an der österreichischen Periphere mit gerade einmal 7000 Einwohnern über nicht weniger als sechs Friedhöfe und drei weitere Totengedenkstätten verfügt, und sieht darin eine kosmopolitische Erzählung der Provinz.

Ein Dank an folgende Personen und Institutionen für Auskünfte und div. weitere Hilfeleistungen: Bezirkshauptmannschaft Oberwart, Viktor Blaskovics, Herbert Brettl, Geza Brunner-Szabo, Theresia und Peter Fuith, Gemeinde Oberwart, Geschichte(n)haus in Bildein, OAR Werner Gilschwert, Gisela Lapornik, Josef Hanel, Horst Horvath, Gerald Jezerniczky, Helene Kurz, Andreas Lehner, Dr. Ursula Mindler, Mag.a Rita Münzer, Roland Poiger, Dr. Ludwig Popper, Altbürgermeister Michael Racz, Mag. Johannes Reiss, Susi Samer, OAR Berthold Schlaffer, Tillfried Schober, Julius Seper, Dieter Szorger, Bgm. Christian Vlasich (Lockenhaus), Elfi Wertner, Otto Wölfel, Kerstin Zsifkovits Eine Produktion des Offenen Hauses Oberwart 2013/14

Sie residieren

an den Hängen der beiden sich landschaftlich sanft erhebenden Hügelketten, zwischen denen die Wart eingebettet ist. Sie sehen von dort herunter auf all das in den Jahrhunderten Gewachsene, auf den Verkehr, auf die Geschäftigkeit des Alltags, auf die großen und kleinen Hoffnungen der Menschen und deren stets unwägbares Geschick. Die Rede ist von den sechs Friedhöfen der Stadt Oberwart – vier davon an der östlichen Erhebung, zwei an der westlichen gelegen – und den in ihnen Begrabenen. 
Für eine Gemeinde von knapp über 7000 Einwohnern ist solch eine Anzahl von Friedhöfen erstaunlich! Sie dürfte in der österreichischen Provinz jedenfalls einmalig sein und legt Zeugnis ab nicht nur von der Bewegtheit des Ortes selbst, sondern mehr noch von der Tatsache, dass es den Menschen hierzulande über Jahrhunderte gelungen ist, mit ihren unterschiedlichen Glaubensbekenntnissen ein gedeihliches Zusammenleben zu führen: Katholische, Evangelische, Reformierte und Juden – auch wenn dieses, zumindest was die Juden betrifft, im Jahr 1938 ein schreckliches Ende gefunden hat. Zu den Friedhöfen dieser vier Konfessionen gesellen sich der Gemeindefriedhof (auch „Gemeindearmenfriedhof“ oder nur „Armenfriedenhof“ genannt), der Friedhof der Sowjetarmee (auch „Russenfriedhof „genannt), sowie drei weitere Totengedenkstätten, die den Gefallenen der Weltkriege, den Widerstandskämpfern und den Opfern des Bombenattentats von 1995 gewidmet sind. 
All diese Liege- und Gedenkstätten sind vollgepackt mit Erzählungen, die in der Tat nur das Leben selbst schreiben kann. Ziel dieser Ausstellung ist es, Teile dieser Erzählungen für uns Nachkommende wieder erfahrbar zu machen. Anhand unterschiedlichster Biographien von Menschen, die in diesen Friedhöfen begraben sind, sowie wissenschaftlicher Abrisse zu Vergangenheit und Gegenwart der Oberwarter Glaubensgemeinschaften wird das wechselhafte Geschicks einer äußerst heterogen zusammengesetzten Grenzlandgemeinde aufgerollt. Gerade in einem Ort, der vor mittlerweile 18 Jahren das schlimmste rassistisch motivierte Attentat der Zweiten Republik erleben musste, ist eine Rückbesinnung auf die Möglichkeiten eines friedlichen Zusammenlebens der unterschiedlichen Religionen und Ethnien von nicht unbeträchtlichem faktischen und symbolischen Wert.
Der Besucher findet hier auch Kunstwerke vor, die von drei KünstlerInnen aus dem In- und Ausland explizit zu dieser Ausstellung und ihren Inhalten erarbeitet wurden. Sie beinhalten das Angebot einer Grenzerfahrung, die über die historische Beschreibung hinausreicht und dem individuellen Bewusstsein eine Begegnung mit den vielfältigen Spiegelungen menschlicher Existenz ermöglicht.

Offenes Haus Oberwart, 2013

Pressestimmen

Wächter über das Gewissen


Die Ausstellung "Wächter über Oberwart" zeichnet anhand von sechs Friedhöfen und der Biografien einzelner Verstorbener das historische Zusammenleben der Volksgruppen in der Stadt nach.

Oberwart ist bemerkenswert. Zahlreiche ethnische und religiöse Gruppen leben in der Stadt weitgehend konfliktfrei zusammen, zweisprachige Ortstafeln sind seit mehr als zehn Jahren selbstverständlich - "wir haben es mit den Volksgruppen nicht so brisant wie in Kärnten", sagt Kulturmacher Peter Wagner.Diese Vielfalt, ausgedrückt durch die hohe Zahl von sechs Friedhöfen an den Hängen der Stadt, symbolisiert durch die Biografien der dort Begrabenen, will die wissenschaftlich begleitete Ausstellung "Wächter über Oberwart" (be-)greifbar machen. Ab 23. Juni werden im Stadtpark drei Monate lang acht großformatige, begehbare Dreiecke stehen, außen bedruckt mit Informationen zu den Volksgruppen, innen mit Biografien und Fotos Verstorbener. Dazu arbeiten drei Künstler mit Audiostücken, Fotos und Rasenskulpturen. Getragen wird das Projekt vom Offenen Haus Oberwart (OHO), das seinen Jahresschwerpunkt unter das Motto "Wächter über Oberwart" gestellt hat (siehe rechts).


Konsens
 – Oberwart zeichne der Versuch des Konsenses zwischen den Ethnien aus, findet OHO-Geschäftsführer Alfed Masal. "Diesem Bemühen wollen wir neues Futter geben." Alle Texte der Schau werden auf Deutsch, Ungarisch, Kroatisch, Hebräisch und Romanes zu lesen sein, sagt Projektleiter Peter Wagner.

Doch nicht zu jeder Stunde war das Zusammenleben gut, erinnert Gert Tschögl, der das wissenschaftliche Konzept erarbeitet hat. "Man denke nur an die Reformationszeit. Von der NS-Ära ganz zu schweigen." Auch dunkle Epochen werden daher thematisiert, sagt er. Die Biografien der Verstorbenen seien heute die Wächter des Gewissens.
Finster war der 5. Februar 1995, als Franz Fuchs vier Roma mit einer Rohrbombe ermordete. Autor Stefan Horvath, der darüber ein Buch geschrieben hat, stellt der Ausstellung seine Expertise zur Verfügung. "Das Projekt ist wichtig. Es macht 200 Jahre Roma-Geschichte in Oberwart sichtbar", freut er sich.

Judith Schuster-Gyenge, die einzelne Biografien recherchiert hat, sieht den Geist des Zusammenlebens im Vordergrund. "Es funktioniert. Das ist ein Faktum." Das Attentat auf die Roma habe seine Wurzeln nicht in der Stadt.

Eröffnung: Sonntag, dem 23. Juni, um 17 Uhr im Stadtpark.
Kurier, 8.6.2013

Pressestimmen

Wächter über Oberwart


Das Offenes Haus Oberwart (OHO) widmet sich in einer Ausstellung der erstaunlichen Tatsache, dass ein Ort an der österreichischen Periphere mit gerade einmal 7000 Einwohnern über nicht weniger als sechs Friedhöfe und drei weitere Totengedenkstätten verfügt, und sieht darin eine kosmopolitische Erzählung der Provinz.


Willkommen in Oberwart
 – Sie residieren an den Hängen der beiden sich landschaftlich sanft erhebenden Hügelketten, zwischen denen die Wart eingebettet ist. Sie sehen hinunter auf einen Ort, der beim ersten Hinsehen nicht viel mehr zu bieten hat als eine Erektion in Form eines Hochhauses, das aus seiner Mitte ragt und die drei Kirchtürme zu Randerscheinungen degradiert. Sie aber sind es selbst, die diesen ersten Eindruck Lügen strafen: Die Rede ist von den sechs Friedhöfen der Stadt Oberwart und den in ihnen Begrabenen. 
Für eine Gemeinde von knapp über 7000 Einwohnern ist solch eine Anzahl von Friedhöfen erstaunlich! Sie dürfte in der österreichischen Provinz jedenfalls einmalig sein und legt Zeugnis ab nicht nur von der historischen Bewegtheit des Ortes selbst, sondern mehr noch von der Tatsache, dass es den Menschen hierzulande über Jahrhunderte offenbar gelungen ist, trotz ihrer unterschiedlichen Glaubensbekenntnisse ein gedeihliches Zusammenleben zu führen: Katholische, Evangelische, Reformierte und Juden – auch wenn dieses, zumindest was die Juden betrifft, im Jahr 1938 nach dem Einmarsch der Nazis ein abruptes Ende gefunden hat. 
Zu den Friedhöfen der vier Konfessionen gesellen sich der Gemeindefriedhof (auch „Spitalsfriedhof“, „Gemeindearmenfriedhof“ oder nur „Armenfriedenhof“ genannt), der Friedhof der Sowjetarmee (auch „Russenfriedhof“ genannt), sowie drei weitere Totengedenkstätten, die den Gefallenen der Weltkriege, den Widerstandskämpfern und den Opfern des Bombenattentats von 1995 gewidmet sind.

Gerade in einem Ort, der das schlimmste rassistisch motivierte Attentat der Zweiten Republik gewärtigen musste, ist eine Rückbesinnung auf die Möglichkeiten eines friedlichen Zusammenlebens der unterschiedlichen Religionen und Ethnien von nicht unbeträchtlichem faktischen und symbolischen Wert.


Wächter
 – Die Wächterfigur ist die verteidigende Form des Kriegers und weltweit in Form von Schutzgöttern (auch weiblich) an den Toren des Paradieses, an Wegkreuzungen, Gräbern und als Mittler zwischen Mensch und göttlicher Instanz zu finden. Das Wappen der Stadt Oberwart/Felsöör zeigt einen Wächter in Uniform, und das hat seinen tief in das Mittelalter hineinreichenden Grund:

Bei der Gründung des ungarischen Königreichs 1001 stellte das heutige Gebiet des österreichischen Bundeslandes Burgenland die Westgrenze zum Heiligen Römischen Reich dar. Um die Grenze auch militärisch zu sichern, wurden zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert Grenzwächter angesiedelt. Adelsbriefe hoben die Bewohner dieser ungarischen Grenzwächtersiedlungen in den Stand von Kleinadeligen – die sie bis zum Jahr 1848 auch geblieben sind. 

Das heutige Burgenland ist in dem Jahrtausend seit der Ansiedelung der Magyaren ein archetypisches Grenzland geblieben. „Demgemäß“, schreibt Franz Werfel 1938, „wird es auch von einem bunten Völkergemisch bewohnt, von ungarischen Gutsbesitzern, österreichischen Bauern, slowakischen Erntearbeitern, jüdischen Handelsleuten, kroatischen Handwerkern, Zigeunern und schließlich von dem undefinierbaren Stamm der Kumanen, die durch die türkische Invasion des siebzehnten Jahrhunderts nach Westen gespült wurden.“

Dieses „bunte Völkergemisch“ findet seinen Niederschlag nicht nur in einer bis zum heutigen Tag lebendig gebliebene Sprachenvielfalt – neben Deutsch wird im Burgenland nach wie vor Ungarisch, Kroatisch und Roman gesprochen –, sondern auch in einer nicht zu übersehenden Buntheit der Glaubensbekenntnisse. Und dies drückt sich, speziell in Oberwart, u.a. eben auch in der Anzahl seiner Friedhöfe aus, die ihrerseits wiederum auf eine Unzahl weiterer Kuriositäten verweist. So hatte beispielsweise, noch bevor der Begriff allgemeine Bedeutung erlangte, die Ökumene in Oberwart bereits ihre Bedeutung. Bis in die Dreißigerjahre trafen einander monatlich einmal die Pfarrer der drei christlichen Konfessionen Oberwarts und der Rabbiner zu einem Nachtmahl. Heute geben die drei verbliebenen Konfessionen gemeinsam eine Kirchenzeitung heraus. 


Erzählungen
 – Wäre die historische Aufarbeitung von der Ansiedelung der Grenzwächter über Reformation und Gegenreformation sowie die Entwicklung des Grenzlandgefüges bis hin zu den mannigfachen Veränderungen durch den Fall des Eisernen Vorhanges schon die Ausstellung im Oberwarter Stadtpark wert, so erinnert ihr zweiter Schwerpunkt daran, dass all die Liege- und Gedenkstätten vollgepackt sind mit Erzählungen von Menschen, die in der Tat nur das Leben selbst schreiben kann.

Die älteste in der Ausstellung „Wächter über Oberwart“ porträtierte Figur ist jene der Zsuszanna Szondy, Gräfin Castiglione, gest. 1753. Nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes, der die Funktion eines Oberkurators der Reformierten – damals die herrschende Glaubensrichtung – ausgeübt hatte, wurde sie im Zuge der Gegenreformation zur Zeit Maria Theresias gezwungen, im Alter von über 60 Jahren den katholischen Aristokraten Graf Eudomio Castiglione zu heiraten. Das hielt sie freilich nicht davon ab, reformierten Einrichtungen große Geldbeträge zukommen zu lassen, u.a. schuf sie damit die finanzielle Grundlage für die Errichtung des reformierten Kirchengebäudes in Oberwart.

Die Ausstellung hält sich aber nicht nur an exponierte Persönlichkeiten der unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften, sondern hebt gerade den Anteil der sog. „einfachen Leute“ am Erhalt einer kleinstädtischen Sozietät hervor. Ob es sich dabei um den Initiator des Baus der Oberwarter Synagoge, der zur ihrer Finanzierung eine Bausteinaktion durchführte, oder den katholischen Mesner handelt, der zwischen den Feldarbeiten den täglichen, rituellen Kirchenablauf regelte; ob eine Grabstelle für Aborte und Fehlgeburten am evangelischen Friedhof vorgestellt wird oder die Lebensgeschichte eines Mannes, der als SS-Soldat an Kriegsverbrechen beteiligt war und nach seiner abenteuerlichen Flucht aus einem sibirischen Gefangenenlager ausgerechnet mit einer KZ-überlebenden Romni in der 2. Roma-Siedlung am Rande Oberwarts lebte; ob man von einer sowjetischen Funkerin liest, die kurz nach dem Eindringen der Roten Armee in das Gebiet des heutigen Burgenlandes Selbstmord begangen hat und neben hunderten anderer SoldatInnen im Friedhof der Sowjetarmee verscharrt liegt, oder anhand des letzten Kleinrichters Oberwarts erfährt, dass auch die ungarische Volksgruppe unter der Verfolgung durch die Nazis zu leiden hatte; ob von einer Wirtin erzählt wird, die den Ungarnflüchtlingen von 1956 Gulasch kochte, oder von einer Schlossergattin, die Anfang der Siebzigerjahre noch mit 65 den Führerschein machte; ob an das Schicksal einfacher Soldaten der beiden Weltkriege, eines Widerstandskämpfers oder der vier Toten des Attentats von Oberwart erinnert wird: Alle sind sie keine Helden im vermeintlich heldenhaften Sinne, doch aber Menschen, deren Geschichte eine seltsam direkte Begegnung mit der großen Weltgeschichte, die hier freilich im Kleinen stattfindet, möglich macht.
Augustin, September 2013