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HugoHugo
Oder das Auge der Götter

Das Märchen der Musik op. 0
Musik: Jan Sokol / Ausstattung und Kostüm: Henryk Rys Mossler
Kamera: Koloman Watzek / Schnitt: Wolfgang F. Svatek
Ein Film von Peter Wagner

HugoHugo ist eines von mehreren Gespenstern in der überkommen Welt einer alten Geisterbahn. Eines Tages findet er eine gläserne Murmel – das „Auge der Götter“ – die durch die Leuchtkraft ihrer Farben eine brennende Neugierde in ihm verursacht. Er bricht aus der alten Welt der Geisterbahn aus, um die Welt der Menschen kennen zu lernen. Auf dieser Reise begegnet er den verschiedensten Figuren und Typen, allesamt der Spezies „Mensch“ zugehörig und doch sich selbst und den anderen die präziseren, schlüssigeren und besseren Gespenster – bis HugoHugo gezwungen ist zu erkennen, dass auch er dereinst solch ein Mensch gewesen war …

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Inhalt

Die Geisterbahn, in die wir zu Beginn geführt werden, hat nichts mit der Geisterbahn im Wiener Prater zu tun. Sie ist das Sinnbild für eine längst überholte Welt, die einen Schrecken bietet, der den Vergnügungssüchtigen von heute eher zu Spott und Hähme verhilft denn zu einem schaurigen Gruseln.

Eines Tages findet HugoHugo eine gläserne Murmel (das sog. „Auge der Götter“), die ihm ein jungfräuliches Wesen zwischen die Füße gelegt hat. Verzaubert von den Farben, die aus dieser Murmel leuchten, beschließt HugoHugo, seine Geisterbahn zu verlassen und die Welt der Menschen kennen zu lernen.
Er trifft zunächst auf den Watschenmann. Dieser prahlt mit den Watschen, die er täglich ins Gesicht bekommt. Nach der naiven Frage HugoHugos, ob denn das nicht weh tue, bekennt er resigniert, dass der Mensch in Wahrheit die „miserabelste Figur“ der Welt sei. HugoHugo lässt sich nicht beirren: er überredet den Watschenmann, mit ihm zu gehen und die wirklichen Menschen kennen zu lernen.
Aber schon die erste Begegnung endet mit einer halben Katastrophe: vor einer Ampel mitten im Wald rätseln die beiden über die Bedeutung der Farben der Ampellichter, die der Watschenmann für die aufgehende Sonne hält. Dabei zwingen sie ein Auto zum abrupten Abbremsen, die nachfolgenden produzieren einen Auffahrunfall. Die Autofahrer denken angesichts der entstandenen Beulen an ihren Autos zunächst an Selbstmord, ehe sich ihre biblische Wut gegen die vermeintlich Hauptschuldigen an dem Unfall, HugoHugo und den Watschenmann, wendet - schon sind sie nahe dran, die beiden zu massakrieren, schon prangen die Parolen an den Wänden ...
Dies wird durch das Einschreiten von Polizistinnen verhindert, die nach den Ausweisen der Schuldigen verlangen. Doch woher sollen HugoHugo und Watschenmann wissen, was ein Ausweis ist? Als schließlich der Watschenmann  ein Stück Papier aus der Hosentasche zieht, zufällig einen Geldschein, sind die Polizistinnen schier verzückt: der „Ausweis“ löst in ihnen die Phantasie von einem glanzvollen Leben in Glamour und Luxus aus. Da HugoHugo keinen solchen „Ausweis“ vor zu weisen hat, wird er abgeführt. Der Watschenmann bleibt mit den Autofahrern zurück, die sich kurzfristig entschließen, den  Schaden an ihren Autos doch nicht für so beträchtlich zu halten ...
HugoHugo wird dem Beamten vorgeführt. Dieser thront an der Spitze eines Turmes, beklagt das Elend, ein Leben in fortgesetztem Stress führen zu müssen, und flüchtet in Träume von einer Insel, wo er sich selbst jeden Tag neu beantragen würde. Währenddessen wird er von seinen Magengeschwüren geplagt, die sich in seinem Inneren überschlagen und ihren wirt mit Spott und Hohn übersähen.
Der Beamte verhört HugoHugo aus der Rechenmaschine heraus. Doch da es einen „HugoHugo“ in keiner Datei der Welt gibt, erleidet der Computer einen „Fatal Error“, einen kapitalen Absturz. Darauf hin löscht der Beamte auch sämtliche soeben gespeicherte Daten von HugoHugo und erklärt ihn zur nicht existenten Person.
HugoHugo ist erstmals ein wenig ratlos. Er findet den Watschenmann wieder, der inzwischen schon eine Menge „Ausweise“ gesammelt hat. Und zwar bei alten Menschen, die auf einer Ablagerungsstätte für rostige Baggerschaufel hausen und alle nur Angst vor dem Straßenkehrer haben. Mit recht, denn der Straßenkehrer klaubt nicht nur Unrat von der Straße auf, sondern auch alte Menschen, die aus Altersschwäche irgendwo umkippen und tot liegen bleiben.
Tatsächlich biegt der Straßenkehrer mit seinen Gehilfen bereits um die Ecke. Während die Alten ängstlich davon laufen, ist einer von ihnen umgekippt und wird in die große Baggerschaufel „introkübeliert“. HugoHugo, wie immer neugierig, erkundigt sich eingehend nach den Pflichten des Straßenkehrers – und bleibt von diesen alles andere als verschont. Denn laut Vorschrift des Straßenkehrers ist HugoHugo nichts anderes als eine Ansammlung von Knochen, und als solche hat er eindeutig als Unrat zu gelten und „introkübeliert“ zu werden. Im großen Verbrennungswerk angekommen eröffnet ihm der Straßenkehrer, dass er nun – so wie aller anderer Unrat – verbrannt und in Energie umgewandelt werde.
Dagegen erhebt nun der Watschenmann Einspruch. Er ist zwar in seiner Eigenschaft als Holzkopf nicht unbedingt mit allzu hoher Intelligenz geschlagen, aber eines hat er jedenfalls kapiert: dass eine genügend hohe Anzahl von „Ausweisen“ so gut wie jedem Problem schnell und unkompliziert Abhilfe schaffen kann. Im Büro des Straßenkehrers wird der Bestechungs-Deal ausgetragen, worauf der Straßenkehrer Anweisung gibt, HugoHugo zu „extrokübelieren“ – der Watschenmann schnappt ihn und beide hauen ab.
Das haben die Alten ihrerseits ganz genau beobachtet! Während sie unter einer Brücke sitzen, beschließen sie, wieder „lebendig“ zu werden und sich an den Straßenkehrern zu rächen. Tatsächlich gelingt ihr Aufstand: sie werfen sich in die alte Rocker-Montur und verhauen die Straßenkehrer.
HugoHugo und der Watschenmann sind indes weiter gewandert und auf einen kleinen Wanderzirkus gestoßen. Dort befindet man sich in großer Trauer: der Clown ist gestorben und liegt aufgebahrt in seinem Zirkuswagen. Die Chefin des „Circus Popcornetti“, Madame LeChef, befürchtet das Ende ihres Unternehmens, weil doch ein Zirkus ohne Clown kein richtiger Zirkus wäre.
HugoHugo bietet sich an, der neue Clown zu werden. Und tatsächlich schreibt Madame LeChef ihrem neuen Star eine Show, wie sie in dieser Form sensationell ist: HugoHugo schlüpft in das Kostüm eines Skeletts und spielt den „Trottel mit der Sense“. Vor der Show verkaufen der Watschenmann und seine Gehilfen echte „Pistolen á la Popcornetti“, mit denen sich das Publikum am Höhepunt der Show gegenseitig erschießt – und das ist nun tatsächlich die heisseste Show, die man sich nur vorstellen kann!
Allerdings wird HugoHugo angesichts der vielen Leichen nicht mehr wirklich froh. Selbst die Hirnwäsche der Patriarchin, die als eine Art Todesengel über die Leichen der Zuschauer steigt, verfehlt zunehmend ihre Wirkung. - Im Gegensatz zu HugoHugo hat der Watschenmann nicht das geringste moralische Bedenken, im Gegenteil: höchst lustvoll stapelt er die Geldscheinbündel im Tresor seines Büros.
HugoHugo denkt an ein Entkommen aus seinem goldenen Käfig. Der Erzähler weist ihm schließlich einen Weg: er müsse nur so tun, als würde er sterben. Man würde ihn begraben und er könnte sich aus seinem Grab davon stehlen und wieder frei sein.
Tatsächlich wird HugoHugo unter großem Geheule begraben. Doch er ist nicht alleine in seinem Grab, unweit von seinem Sarg hat sich ein Melancholiker eingenistet. Enttäuscht von der Welt hat er sich in die Unterwelt zurück gezogen hat, um nur ja nicht wieder irgend einen Kontakt zu den Menschen haben zu müssen. Zunächst erschrickt er, als er eine Stimme aus dem Sarg HugoHugos hört, dann aber öffnet er ihn – und hält HugoHugo prompt für seinen eigenen Tod, der nun gekommen sei, um ihn endgültig zu holen. Doch freiwillig will er nicht aus dem Leben scheiden und beginnt mit HugoHugo einen Kampf. Als er ihn bereits bezwungen hat, erkennt er, dass ja in der Gestalt des HugoHugo auch einmal ein Mensch gesteckt haben müsse. HugoHugo hört dies mit Erstaunen und Erschrecken: er, HugoHugo, soll also auch einmal ein wirklicher Mensch gewesen sein?

Aber was für ein Mensch war er dann? Wer kann ihm Auskunft geben?

Er lässt den Melancholiker alleine in seinem Grab zurück. Dieses Mal hat er jedenfalls ein ganz konkretes Ziel: so schnell wie möglich zurück in die alte Geisterbahn! Die Geister, so spekuliert er, müssten doch etwas wissen von ihm, da sie doch genau so alt und noch älter sein mussten als er.
Aber die Geisterbahn ist nicht mehr so, wie sie einmal war. Der Watschenmann hat sie mit dem Geld, das er im Zirkus als Manager HugoHugos verdient hat, gekauft und in einen High-Tech-Tempel verwandelt, den sog. „Sir LeTschiefs Watschenmann-Saloon“. Die Finte besteht darin, dass die alten Gespenster zu neu lackierten Watschenmänner mutiert sind, mit denen der originale Watschenmann einen Haufen Geld machen will. Denn neue Watschenmänner braucht das Land noch alle mal ...
HugoHugo kommt gerade recht zur Eröffnung des Saloons. Er ist so erzürnt, dass er die alten Gespenster auffordert, sich am originalen Watschenmann für die demütigende Umwandlung in Watschenmannfiguren zu rächen. Sie befolgen HugoHugos Aufforderung, da aber das Verhautwerden für den Watschenmann ein reines Vergnügen wäre, demütigen sie ihn auf andere Weise.
HugoHugos Interesse gilt ausschließlich der Antwort auf seine brennendste Frage: wer bin ich einst in meinem Leben als Mensch gewesen? Die Ernüchterung folgt auf den Fuß: die Gespensterfreunde können ihm nicht antworten, da sie alle nur Schablonen ohne eigene Sprache sind.
HugoHugo ist verzweifelt. In einer traumartigen Vision erscheinen ihm alle Menschen, denen er auf seiner Reise in die Welt begegnet ist, noch einmal, diesmal jedoch als Wesen wie er: sie sind nach der Berührung mit ihm gestorben und nun ebenfalls alle „HugoHugos“, also totenähnliche Geschöpfe.
Also erkennt HugoHugo, dass jeder Traum, das Leben zu leben, irgendwann dort endet, wo jeder Mensch endet – und dass jeder Mensch schon als Lebender das in sich trägt, was er bereits ist: den Tod.
Und dennoch: das Leben ist – auch – ein Märchen. HugoHugo will sich nicht damit abgeben, dass das alles gewesen sein könnte. Er bricht noch einmal auf – dieses Mal, um seinen eigenen Zirkus zu gründen, in dem alles anders sein würde ...

Wie kommen nun Geisterbahn und Watschenmann vom Wiener Prater nach Güssing?


Peter Wagner, PROJEKTBESCHREIBUNG: Es gibt zwei Gründe für die Übersiedelung. Der erste besteht in der Gesamtdidaktik des Filmprojektes "HugoHugo”, wie in den voran gegangenen Punkten beschrieben. Der zweite leitet sich vom ersten ab, auch wenn das auf den ersten Blick nicht erkennbar sein mag: es geht um die Auslagerung eines Klischees in den Mikrokosmos einer real existierenden Welt, die sich wesentlich aus einer mächtigen Vergangenheit und einer prosperierenden Gegenwart zusammen setzt.
Güssing avanciert im Film "HugoHugo” zur Welt schlechthin. Nicht New York, nicht Bombay, nicht Wien: ein Ort in der Pampa namens Güssing! Die Absurdität des Unwirklichen entscheidet die Suggestivität des Films und seine Poesie, die das Terrain der anderen, inneren Wahrheit ist.
Wir verlegen die Geisterbahn in den Fundus der Geschichte, die im Keller einer Burgruine lagert. HugoHugo bricht aus einer Vergangenheit aus, in der er über die Jahrhunderte verstaut war: der monarchistische Doppeladler, der Menschenfreund (Produkt der Französischen Revolution), der Vampir und die schwierige Beziehung der Märchenfiguren Rotkäppchen und Wolf lagern in diesem Fundus, der eine Welt repräsentiert, die sich in völliger Unschuld angesichts ihrer lange vergangenen, gruseligen Vergangenheit selbst genügt.
Dieser Ausbruch Hugos ist zwar ein Abschütteln seiner alten Identität, zwangsweise aber noch nicht unbedingt auch schon das Annehmen einer neuen. Denn die neue Identität, das Erforschen der gegenwärtigen Welt, erfordert ein Kennenlernen der neuen Prämissen unter der Voraussetzung der alten, was naturgemäß nicht ohne Reibung passiert. Die neue Welt liegt der alten - nicht nur im Falle Güssings! - zu Füßen und das hat seine Heimtücke: denn die alte Welt existiert nur noch als Denkmal. Je höher sie aus der Gegenwart herausragt, um soweniger wird sie von dieser registriert. Die Gegenwart weiß, daß es etwas gegeben hat, woran man sich erinnern kann, und nennt es Vergangenheit. Aber sie kennt in Wahrheit nur sich selbst. Und selbst damit hat sie Schwierigkeiten. Legt sie es überhaupt darauf an, sich selbst zu kennen, oder leistet sie nicht viel lieber der Notwendigkeit ihres Funktionierens genüge, um sich selbst erst gar nicht kennen oder kennen lernen zu müssen? In diesem Getriebe (Blechskulpturen, Beamter, Straßenkehrer, der Zirkus als Unterhaltungsindustrie) wirkt der naiv Fragende HugoHugo tatsächlich wie ein Fremdkörper aus einer überhaupt anderen Welt, aber auf unheimlich Weise: denn er verkörpert diese andere Welt schlußendlich ja auch wirklich, er ist - ohne es zu wissen oder zu wollen - jener Endpunkt, den jedes menschliche Wesen ereilt. Je wütender sich die menschlichen Individuen ins Funktionieren ihrer Welt verbeissen, umso tiefer wird der Abgrund, in den sie sich schließlich stürzen wie die Lemminge: die große Unterhaltungsshow bietet als ekstatischen Höhepunkt die Selbsterschießung aller.
Dabei ist es völlig egal, ob wir uns in Las Vegas oder Güssing befinden! Es entfacht im Gegenteil eine makabre Ironie, daß dieser kultische Zivilisationsakt sich nicht im Rahmen einer monetär definierten Dekadenz inmitten einer menschlichen Wüste ereignet, sondern innerhalb der bürgerlich-bigotten Betäfelung eines provinzlerischen Kulturzentrums.
Damit aber der Ironie noch nicht genug! Daß ausgerechnet der z.Z. modernste Diskotempel Österreich, das P2 (Sir Le Tschiefs Watschenmannsaloon) ausgerechnet in der Provinz, keine halbe Stunde Fahrzeit von Güssing steht, mag wohl auch daran liegen, daß die Krake "Globalisierung” ihre Arme überall hin streckt - insgeheim ist es aber wohl auch ein poetisches Indiz dafür, daß Las Vegas und die Provinz näher bei einander liegen als man das gemeinhin für möglich hält:
Die Welt ist weiter, als der einzelne dies in seiner seelischen Provinz ertragen kann. Die Welt ist immer weiter.

PRESSESTIMMEN


Heike Kroemer, KURIER: Eine anspruchsvolle Sensation – "HugoHugo oder das Auge der Götter" feierte in Güssing seine Premiere

Eine Sensation - wenn auch keine leicht verdauliche. So kann man "HugoHugo oder das Auge der Götter" bezeichnen. Der erste burgenländische Kinofilm hatte Donnerstagabend in Güssing Premiere. Die Gäste, unter ihnen Landeschef Hans Niessl, die Landesräte Helmut Bieler und Verena Dunst und Güssing-Intendant Frank Hoffmann, waren begeistert.

Die von Autor und Regisseur Peter Wagner inszenierte Rockoper entführt den Zuschauer zwei Stunden lang in eine Welt mit unzähligen Wirklichkeiten. Und es sind vor allem zwei Dinge, die den Kinobesucher in ihren Bann ziehen: Die Musik von Jan Sokol und die Bilder von Koloman Watzek. Denn der profilierte Kameramann aus Schützen am Gebirge hat das Kunststück vollbracht, diese anspruchsvolle Geschichte bildlich so umzusetzen, dass sie einen nicht mehr los lässt. "Für mich und mein Team war es ein Erlebnis. Mit HugoHugo konnten wir zeigen, was wir können. Wir haben bewiesen, dass es auch im Burgenland möglich ist, Kino zu machen", schwärmt Watzek. Überragend auch die Leistung von Hauptdarsteller und Komponist Jan Sokol, der das Geisterbahn-Gespenst HugoHugo verkörpert.

DIE STORY Groß und stark und zugleich naiv wie ein Kind versucht HugoHugo, in die Welt der Menschen vorzudringen - oder besser, in sie zurückzukehren. Diesen Traum verfolgt er mit aller Konsequenz, bewegt sich stets am Abgrund und zieht den Zuschauer so tief ins Geschehen hinein, dass dieser selbst versucht, HugoHugo vor der sich anbahnenden Katastrophe zu retten. Denn die Welt der Menschen ist korrupt, unbarmherzig, kalt, stressig. Dies alles wird einem mit eindrucksvollen Bildern vor Augen geführt. An Gesellschaftskritik wird nicht gespart. Letztendlich erkennt HugoHugo, dass auch er einst aus dieser Welt kam.

Neben Sokol brillieren Kurt Resetarits als Watschenmann und Eveline Rabold als Madame Le Chef. Doch überhaupt gebührt allen Mitwirkenden, die hauptsächlich Laien sind, ein Lob für ihre Leistung. Denn die Rockoper wurde im Spätsommer des vergangenen Jahres in nur 22 Tagen in Güssing gedreht. Die Leute waren oft bis zu 16 Stunden im Einsatz.

"Es waren ein paar Wahnsinnige zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort", bringt Koloman Watzek den unermüdlichen Einsatz aller Beteiligten auf den Punkt.

Philosophie der filmschen Umsetzung


Im wesentlichen folgt der Film - bedingt durch den klaren, das Gesamtstück durchdringenden musikalischen Aufbau - der Dramaturgie des ursprünglichen Bühnenstücks, beansprucht jedoch eine gänzlich neue, filmästhetische Auflösung. Das, was am Theater die "äußere" Szene repräsentiert, also das im Rahmen der Bühne stattfindende manifeste Geschehen, mutiert im Film vom reinen Handlungsträger zur Psychologie einer "inneren" Szenerie, also zur Genesis einer Befindlichkeit.
HugoHugo, das totenartige Gespenst in der Geisterbahn, hat einen Traum: er will in die Welt der Menschen vordringen - in Wahrkeit: zurückkehren, denn erst allmählich wird ihm bewußt, selbst einmal ein menschliches Wesen gewesen zu sein. Dieser Traum hat Konsequenzen für einen, der zwar aus einem naiven Antrieb heraus agiert, sein Ziel aber mit aller Konsequenz und makabren Folgerichtigkeit zu erreichen versucht: er wandelt in Permanenz vor einem Abgrund, erahnt oder erkennt dies erst allmählich und vor allem dann, als es (fast) schon zu spät ist und der Zuschauer selbst schon (fast) alles weiß und nur noch einem "Verirrten" zuzusehen meint, den man - innerlich - vor der herauf dräuenden Katastrophe zu retten versucht.
Dies ist der eigentliche, sentimentale Spannungspunkt des Films, der uns die Möglichkeit geradezu aufzwingt, uns näher, ja ganz nahe an den Protagonisten heran zu bewegen - diese Möglichkeit hat das Theater nicht oder nicht in dieser schamlos klaren Annäherung.
Folgerichtig werden den Szenen und Sequenzen andere und teilweise neue Wertigkeiten ihrer psychologischen Rückbezüglichkeit auf den tragikomischen Helden zugeordnet: dort wo er im Stück dem Geschehen der Welt als einer eingespielten Maschinerie aus distanzierter Sicht beiwohnt, wird die Maschinerie nun Teil seiner selbst, sie wird quasi in ihn hinein übersetzt. Aus seinem Traum, in die Welt hineinzugehen, wird der Albtraum, sie in sich zu tragen. Dies zieht allerdings auch die - positive - Notwendigkeit mit sich, Haltungen, Gegenstrategien und Fantasien zu entwickeln, die speziell aus der bildersprachlichen Potenz des Filmes abzuleiten sind: Traum und Wirklichkeit gehen ineinander über, wir lesen aus dem surrealen Bilderangebot einen Teil an Wirklichkeit heraus, wir identifizieren die Wirklichkeit als Teil des Nichtrealen.
Anders gesagt: der Film HugoHugo arbeitet in einem seelischen Untergrund, der von der beabsichtigten Widersprüchlichkeit von sprachlich und gesanglich vorgegebener Wirklichkeit zu dem angebotenen Bildmaterial lebt, beides vereint in der einzigen und ausschließliche Identifikationsfigur HugoHugo.

Der Musikfilm und seine poetische Durchdringung


Jan Sokol war in seiner aktiven musikalischen Laufbahn sowohl Gitarrist und Sänger mehrerer Rockgruppen als auch Mitglied des Arnold-Schönberg Chors, der eines seiner Chorwerke zur Uraufführung brachte. Er kombiniert folgerichtig in der Gespensteroper "klassische” Rockmusik mit klassischem Chorgesang und erweist damit zweierlei Angeboten der Güssinger Dilettanten seine Reverenz: dem Faible für das an der Rockmusik orientierte Musical der Sechziger, Siebziger und Achtziger Jahre einerseites, sowie der rührigen Chortradition der Stadt andererseits, die bis zum heutigen Tag im örtlichen Kulturkalender und im Lehrplan der Schulen überproportional vertreten ist.
Die zwei Seiten des Jan Sokol sind für ihn selbst seine schwierigste Hypothek. Anders als andere Künstler, die aus ihrer Zwiespältigkeit den Vulkan ihrer Kreativität speisen und unablässig am Köcheln halten, braucht er die Reinheit und Eindeutigkeit eines künstlerischen Empfindens, fern aller Irritationen des Alltags, um es in Form und Ausdruck zu bringen. Musik ist für ihn die Ahnung der ersehnten - und oftmals verstellten oder gar vorenthaltenen - Harmonie in sich selbst. In den glücklichen Momenten innerer Stimmigkeit gibt er dieser einen Namen, oder besser eine Linie: die der Melodie, jenes Flusses, der die melancholische Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit darstellt und zugleich aufhebt.
Niemals kommt sie alleine aus seinem Kopf, wo der Zweifel angesiedelt ist. Selten aus dem Bauch, in dem die Zerstörung wohnt. Meist entspringt sie jenem jungfräulichen Dazwischen, in dem sich der heillose Traum nach einer intakten, (er)lebbaren, kindlichen Welt erhalten hat, die immer wieder zur Quelle der Melodie wird: eine so traurige wie aufatmende Erinnerung an das Leben.
Tatsächlich also ist die Geschichte des naiven Suchenden HugoHugo auch der Stoff des Jan Sokol, in dem sich seine musikalische Energie am überzeugendsten und schlüssigsten bündeln konnte. Nebst aller euphorischen und todessüchtigen Opulenz, die der Rockmusik eigen ist, wurde daher in diesem Fall aus der Musik auch ein sehr intimer künstlerischer Ausdruck, der weit über die bloße akustische Bebilderung einer szenischen Handlungsfolge hinaus geht. Sie "erzählt” - ganz in dem oben beschriebenen Sinne einer Verinnerlichung des Hugo-Stoffes durch den Film - die Figuren anhand des musikalischen Musters als Struktur ihrer eigenen Psychologie, als die Wirklichkeit hinter den sich äußerlich darbietenden Schemata, ohne uns das penetrant wissen lassen zu müssen.
Das eingangs verwendete Zitat von Umberto Eco "Die Stärke der Gespenster liegt gerade in ihrer Unwirklichkeit” trifft nicht nur auf sämtliche Figuren des Films zu, sondern in besonderer Weise auf die absurde Wirklichkeit - oder Unwirklichkeit! - des Genres Musikfilm selbst. Musik ist Markt, Musik ist Industrie - Musik ist aber auch: Sehnsucht, (Lebens)Rhythmus, Elexier, Ekstase, Hoffnung, bejahende Trauer, Trost. Musik selbst ist jenes Unwirkliche, an das sich so viele Menschen, so viele alte und noch mehr junge Menschen klammern als dem Strohhalm, der für den Augenblick das Leben lebbar und erfahrbar macht. Ohne es zu wissen, begeben wir uns in den Raum der Poesie, sobald wir uns den Kopfhörer aufsetzen oder uns in den bequemen Kinositz setzen.
Gerade der Musikfilm zieht uns in diesen großen Raum des Unwirklichen hinein, der der Raum der Poesie ist, weil er sich Realität einzig in unserer Fantasie verschafft, während unsere Beine noch immer auf der Erdoberfläche stehen. Und doch unterscheidet sich der Musikfilm, soferne er nicht ein bloß mit Musik als suggestiver Verstärkerformel unterlegter Film ist, in einem wesentlichen Punkt vom Fantasy-Film, der ebenfalls einem Wegtauchen aus der unmittelbaren Wirklichkeit des Zusehers dient: er bleibt in Sprache (Gesang) und Duktus (Tanz, Choreographie - aber auch: Kameraführung, Schnitt, Szenen- und Bilderrhythmus) ein dialektischer Partner und in hohem Maße das Produkt der Musik - und nicht umgekehrt. Dabei hat er auf grund seiner großen Dramaturgie als durchgehende Erzählung eine andere, dem Erleben des Zuschauers verpflichteten Disziplin zu bewahren als etwa der Video-Clip, der in drei Minuten ein unbegrenztes Bildertoben entfachen kann (und damit letztlich sehr begrenzt ist). Der Musikfilm muß dem Zuseher eine emotionale Entwicklung im Sinne eines miterlebenden Auf und Ab ermöglichen, wie dies jeder atmende Film tut, dennoch darf der Zuseher niemals von der Musik heruntersteigen oder auf grund eines ihn langweilenden oder überfordernden optischen Angebots seine Mitbeteiligung aufkündigen. Der Musikfilm muß es - theoretisch! - schaffen, auch jemandem, dem Rockmusik fremd oder gar verhaßt ist, das Gesehene so weit emotional plausibel zu machen, daß er sich innerlich beteiligt und seinen Widerstand gegen das ihm Fremde oder Verhaßte aufgibt - nicht weil er dazu vergewaltigt wird, sondern weil er sich eben nicht dazu vergewaltigt fühlt.)
Die Kunst des Musikfilm besteht somit darin, den Zuseher fortwährend und ungebrochen in den Sog des Unwirklichen zu ziehen, ohne ihn dabei schon nach fünf Minuten mit einer Überflutung an akustischen und optischen Reizen zu erschlagen und ihn wie ein Kind im dahin fahrenden Auto einzuschläfern. Das gefährlichste ist das Überangebot des Gutgemeinten, das vernichtendste die Langeweile des Unattraktiven oder Belanglosen.

Der Drehort Güssing und die Provinz


In der Bruchzone zwischen den Alpen und der Ungarischen Tiefebene erhebt sich das Unwahrscheinliche, weil Unerwartete und nirgendwo in der Architektur der Landschaft Angekündigte: ein erloschener Vulkankegel. Seine Exponiertheit hat bereits im frühen Mittelalter die Begierlichkeit der ungarischen Herrschaftsgeschlechter geweckt, im 12. Jahrhundert wurde zunächst eine Holzburg errichtet, später eine riesige Burganlage, die mit dem Kegel zu einer architektonische Gemeinschaft verschmolz, die jedenfalls Respekt gebietend bis zum heutigen Tag als das Wahrzeichen der gesamten Region über dem Städtchen Güssing thront.
Die güssinger Herrschaftsgeschlechter waren speziell im ausgehenden Mittelalter ob ihrer taktilen Politik und skrupellosen Ausführung mehr gefürchtet als respektiert. Es ist davon auszugehen, daß die umliegende Bevölkerung mit eiserner Hand unterdrückt und ausbeutet wurde. Ein wirkliches Bürgertum konnte sich in diesem Klima erst sehr spät entwickeln - ein Phänomen, das für das gesamte Burgenland und seine im umkämpften Grenzland gewachsene Mentalität von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist.
Die Stadt Güssing windet sich am Fuße des Kegels wie ein Kranz um diesen herum, anders gesagt: der Burgkegel fährt aus einem Nest heraus und hoch in den Himmel hinauf. Beides vermittelt Stabilität und Fragilität zugleich und bietet in seiner symbiotischen Symbolik fast physisch spürbar ein Abbild von Macht und Verfall, Demut und Trotz, Abhängigkeit und Leid.
Die Burg jedenfalls wurde nach der Dachsteuerverordnung Maria Theresias aufgegeben, das Städchen Güssing hat heute 4500 Einwohner und beherbergt nicht weniger als 5 regional und überregional relevante EU-Projekte.