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Und jetzt

Die Inszenierung

Ein Stück von Clemens Berger 

Ausrichtung für Sprech- und Tanztheater: Peter Wagner
Uraufführung, 31.12.2008, Offenes Haus Oberwart



Darsteller:
 Tania Golden, 
Christian Graf
TänzerInnen:
 Anna Hein, 
Nora Elberfeld
, Zoltan Dani
, Serkan Bozkurt / Sängerin: 
Eveline Rabold
Choreographie: Anna Hein / 
Bühnenbild: Wolfgang Horwath
 / Musik: Gerald Schönfeldinger

Licht und Produktionsleitung: Alfred Masal / 
Regieassistenz: Robert Koukal

Beratung und Vermittlung: Manfred Biskup

Bauten: Herbert Polzhofer, Mario Horvath
Pressearbeit: Wolfgang Spitzmüller

Büro: Monika Lehrl


Inszenierung: Peter Wagner
Eine Produktion des Offenen Hauses Oberwart im Rahmen der Projektreihe zone38

Aufzeichnung auf Vimeo (103 min) >>

Wir dürfen uns nicht sicher sein, vor allem nicht in unserer eigenen moralischen Disposition. Der Riss geht durch jede Person, nichts ist so eindeutig, wie es scheint. Das ist die fundamentale Botschaft des Stücks, über das ja Clemens Berger gleich am Anfang seiner Notizen sagt: Ich tue mir schwer mit der organisierten Gedenkpolitik. Er hat gut daran getan, den Stoff überhaupt von allem, was geschichtlich gesichert ist (oder auch nicht), wegzutragen. Und ihn in die persönliche Befindlichkeit zweier fiktiver Individuen hinein zu stellen. Die Beziehungskiste, die die beiden symptomatisch zum Stillstand bringt, steht bei ihm wesentlich und stellvertretend für das Drama der Welt, das die Projektion für die Wahrheit hält: ablesbar im Großen, präziser überprüfbar aber – das ist der Text! – im Privaten, der notorisch unterschätzen politischen Parallelwelt.
Wir lassen die Protagonisten die Bühne wechseln, die Ebenen ihrer Befindlichkeit. So wie auch die Schattentänzer das Terrain des „Theaters“ betreten und zu gestaltenden Akteuren des Stücks werden. Da wird dann die Tiefenbühne im Rücken der Vorderbühne zur Kulisse der Vorderbühne, ganz so als würden wir die Hinterbühne von vorne betrachten. Nichts ist wahr – und beides lebendig! So leben Gegenwart und Vergangenheit in uns. Transportiert wird dabei nicht, was (geschichtlich) wahr oder falsch ist, sondern die Ambivalenz unserer Empfindung auf all das, was die Katastrophe ausmacht. Es ist das Drama der Spiegelung, das nur der Mensch kennt.
Peter Wagner

Während für die, die hören und sehen wollen, die Kriegsgeschehnisse, den Massenmord in den Vernichtungslagern und den Mut der verschiedenen Widerstandsgruppen in aller Ausführlichkeit hören und sehen können – was von allen einigermaßen vernünftigen Menschen auch ähnlich gehört und gesehen wird –, ist die Frage dach dem Raub jüdischen Eigentums noch immer so drängend, weil sie noch nicht hinreichend geklärt ist. Die sogenannten Wirtschaftswunder Westdeutschlands und Österreichs waren ja zu einem nicht unerheblichen Teil überhaupt erst möglich, weil soviel geraubter Besitz und soviele gestohlene Betriebe von privaten und staatlichen Nutznießern der Vertreibung und Ausrottung so günstig benutzt werden konnten.
Clemens Berger

Pressestimmen

Gefesselt im Tanztheater

Ein Nazi-Stück zu Silvester? Eines, bei dem man über den Holocaust nachdenken soll? In einer Nacht, in der – wenn´s schon Kultur sein soll – man sich lieber im Kabarett Lachtränen entlocken lässt? Hinter vorgehaltener Hand hatten selbst an der Produktion Beteiligte vor leeren Sesseln gezittert.
Die gab es bei der Premiere von Clemens Bergers Stück „Und jetzt“ im Offenen Haus Oberwart nicht. Im Gegenteil. Man musste einige auf andere Aufführungstermine vertrösten. Und die, die kamen, spendeten Applaus, bis die Handflächen kribbelten. 
Berger hatte das Schicksal der jüdischen Opfer so nahe wie möglich geholt. Nämlich in die Gegenwart. Zum Auslöser einer Ehekrise wird die geerbte und vermutlich arisierte Wohnung in Oberwart. Ein jüdischer Veterinärmediziner soll in der Silvesternacht 1938 ebendort den Sohn und sich selbst erschossen haben. Während sie (Tania Golden) in der Wohnung keine Ruhe mehr findet, will er (Christian Graf) die Vergangenheit ruhen lassen. Die gibt in Peter Wagners Inszenierung aber keine Ruhe. Die Vertriebenen und Getöteten kehren mit Koffern und in ausgebleichten Mänteln (Bühne, Kostüme: Wolfgang Horwath) zurück. Als tanzende Gespenster – auf der Bühne, auf der Leinwand und dahinter als Schatten. Und wie oder wo Anna Hein (Choreographie), Nora Elberfeld, Zoltán Dani und Serkan Bozkurt auch zu sehen sind, ihre wortlose Darbietung fellt das Publikum. Und dann sind da noch Eveline Rabold und eine großartige Stimme, die man im Land eigentlich viel zu selten hört.
Regisseur Wagner und seinem Team gelang es, zu berühren, zum Nachdenken anzuregen, ohne dass es dem Publikum danach zum Trauern, zum nach Hause Laufen zumute war.

Viktoria Kery-Erdélyi, Kurier, 3. 1. 2009

Pressestimmen

Als Doktor Palló zur Waffe griff

Theaterpremiere - Zu Silvester tötete ein Mediziner den Sohn und sich selbst. 70 Jahre später basiert darauf eine OHO-Eigenproduktion


Die Brücke in die Gegenwart soll eine stabile sein. Das historische Ufer ist 70 Jahre alt. Die Geschichte dürfe nicht abgeschlossen, nicht vergessen werden, sind sich der Autor Clemens Berger und der Regisseur Peter Wagner einig. Es geht um 1938, um das Anschlussjahr an Hitler-Deutschland. Und darum, dass bis heute Menschen unter den Gräueltaten der Nazis leiden und viele doch lieber schweigen. Bergers Theaterstück "Und jetzt" spielt im Jahr 2008. Und seine Brücke bröckelt nicht. Das (Ehe)Drama kann real sein. Nicht nur in Österreich.
Handlung
Das Glück in der "neuen" Oberwarter Wohnung währt nicht lange. Die Ehefrau glaubt, ein dunkles Geheimnis entdeckt zu haben: Die vom Opa des Mannes geerbte Wohnung soll eine arisierte sein. Sie soll einer jüdischen Familie gehört haben, die brutal zerrissen wurde. Mutter und Tochter flüchteten, der Vater, ein Tierarzt, erschoss in der Silvesternacht 1938/39 den Sohn und sich selbst. Eine wahre Tragödie, die plötzlich zwischen dem Ehepaar steht. Und die Frage nach der Rolle des Großvaters.
Das Publikum erlebt das Drama nicht nur im Spiel und im Dialog der Schauspieler (Tanja Golden, Christian Graf). Als gespensterhafte Tänzer lässt Wagner die Familie in die Wohnung zurückkehren. Für die Choreografie zeichnet Anna Hein verantwortlich, mit ihr tanzen Nora Elberfeld, Zoltán Dani, Serkan Bozkurt.
Der Literat Berger, 29, aus Oberwart flocht eine weitere Ebene in seine Geschichte. Denn während sich das Ehepaar voneinander entfernt, lernt das Publikum das Duo von einer anderen Seite kennen: den Schauspieler und die Schauspielerin, die einander näher kommen.
Das Bühnenbild, das das Spiel mit Schatten ermöglicht, stammt vom burgenländischen Künstler Wolfgang Horwath, die Musik von Gerald Schönfeldinger.
Gänsehaut vermag bereits das Premierendatum zu erzeugen: "Und jetzt" wird exakt 70 Jahre nach dem Suizid des Veterinärmediziners Dr. Palló in der Silvesternacht uraufgeführt. Im Anschluss daran verspricht das Offene Haus Oberwart eine etwas andere Silvesterparty .
Premiere: 31. Dez., 20 Uhr, Offenes Haus Oberwart, Lisztg. 12, weitere Termine: 2., 3., 9., 10. Jänner (19.30 Uhr) & 11. Jänner um 11 Uhr; 10-18 €; Anmeldung für Schulvorstellungen; 03352/38555 oder www.oho.at


Silvesterprogramm im Offenen Haus
 – Und wenn das Stück noch so sehr unter die Haut gehen könnte, das Feiern zu Silvester sollte man deswegen nicht vom Programm streichen, fand man im OHO. Deswegen engagierte man eine Combo, die thematisch passende und gleichzeitig temperamentvolle Musik verspricht: Die "Freylekhs Kapelye" aus dem Südburgenland will Klezmermusik servieren - fürs Zwerchfell, fürs Herz und für die Beine. Verköstigt wird man nach der Premiere außerdem am Buffet. Und da auch das gesamte Theater- und Tanzensemble vor Ort sein werden, bleibt ebenso Gelegenheit für den Austausch über das Stück "Und jetzt", die Geschichte oder die Zukunft.
Viktória Kery-Erdélyi, Kurier, 28. 12. 2008

Damals "Und jetzt" 

Ein junges Paar erbt. Eine Wohnung. In Oberwart. Einen Tatort. Geschichte.


Eine Frau findet heraus – oder glaubt zumindest herauszufinden – dass sie mit ihrem Partner in einer sogenannten arisierten Wohnung lebt. „Da steckt also eine Vergangenheit, die so wenig vergangen ist wie die der Vertreibung, des Blitzkrieges oder desVolksstaates. Aber während man diese leicht moralisch verachten kann, stellt jene denen, die sich in ihr wieder finden, eine sehr unangenehme Frage: Was tun?“ so Clemens Berger, der Autor des Stückes „Und Jetzt“, das am 31. Dezember im OHO uraufgeführt wird.
Bevor sie uns abschlachten
Das Premierendatum ist nicht zufällig gewählt. In der Silvesternacht 1939 erschoss sich in Oberwart der jüdische Tierarzt Dr. Palló gemeinsam mit seinem Sohn. Selbsttötung als letzter Ausweg. Nach dem „Anschluss“ alles andere als ein Einzelfall. Und ebenso wie bei deportierten Familien wurde auch die Wohnung des Oberwarter Tierarztes geraubt. „Alles andere spukt in den Köpfen der jungen Menschen, die heute vielleicht in der Wohnung leben, in der einer nicht mehr leben wollte, bevor er es nicht mehr gekonnt hätte“, so Berger.
Die Geschichten satt haben
Peter Wagner beschreibt die Produktion als „ein Stück im Stück“, in dem unser eigener Bezug zum Gedenken als solches hinterfragt wird. So versucht nicht nur das junge Paar im Stück mit der Situation umzugehen, sondern auch die Schauspieler selbst reflektieren über ihre Arbeit. Über das neuerliche Annehmen einer Rolle in einer „Nazigeschichte“, obwohl sie diese doch so satt haben – und dennoch spielen sie. „Jeder selbst hat Widerstände zu überwinden“, erklärt Wagner. Vor allem auch, weil es für Nachgeborene oft nicht leicht ist, die Vergangenheit zu sehen. „Sehen in die Vergangenheit ist mit Brüchen verbunden“, so Wagner, der auch diesem Umstand in seiner Inszenierung Rechnung zollt. „Das Besondere an der Inszenierung ist die Verzahlung von Sprech- und Tanztheater“, erzählt Wagner, der zu Bergers Stücke eine Ebene für Tänzer geschaffen hat. Einerseits treten diese als Schatten auf, andererseits werden sie auch in durch vier Kameras eingefangene Projektionen sichtbar. „Für den ständigen Bruch des Sehens.“
Ein raffiniertes Stück. Spannende Inszenierung. Erfahrene Schauspieler. Ein Muss.

Gabi Tremmel, BF, 19. Dezember 2008