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Der schlechte Ruf, der gute Ruf

Überlegungen angestellt zum Jubiläum „25 Jahre Jugendhaus und OHO“

Von Peter Wagner
Die Rede wurde vom Autor am 16.12.2005 in leider nicht ganz nüchternem Zustand gehalten, ist aber hier unter Garantie nüchtern und in vollständiger Länge deponiert.

Wer, um Gottes Willen, hat den Ruf des Hauses Nr. 12 in der Lisztgasse in 7400 Oberwart derartig früh und derartig gründlich ruiniert, dass man sich von der Etikette des schlechten Rufes bis zum 16. 12. 2005 noch immer nicht befreit hat, zumindest nicht restlos? Man müsste ihm oder ihr oder allen zusammen, den vielen, die sich um den schlechten Ruf dieses Hauses bemühten, einen Orden umhängen, denn der größte kreative Output, den dieses Haus in seiner Eigenschaft als Gesamtkunstwerk jemals hervorgebracht hat, ist sein schlechter Ruf. Das ist nicht blasphemisch gemeint, im Gegenteil. Dieses Kunstwerk hat, über den Zeitraum eines Vierteljahrhunderts gerechnet, nur dieses Haus geschafft. (Schade, ich hatte an dieser Stelle mit Applaus gerechnet, also noch einmal:) Und dafür möchte ich Dir, Haus Nr. 12 in der Lisztgasse, heute und hier mit dem größten Nachdruck danken.

Es gab ein Jugendhaus. Aber bevor es ein Jugendhaus gab, gab es schon den schlechten Ruf desselben. Wie können solche Phänomene entstehen, wie entwickelt sich der Tornado des Bösen über den in ihrer Bürgerlichkeit wohl eingepackten Häusern unbedarfter Provinzmenschen, denen die Kirche heilig und das Leben hold ist? Versuchen wir einen Ansatz.

Der schlechte Ruf ist eine Art Markenartikel, der nur den wirklich Begabten mit auf den Lebensweg gegeben ist. Der wirklich Begabte versteht Leben als Herausforderung und Kampf, als Widerspruch und Rausch, als Hingabe an die herausfordernde Qualität des Todes. Jesus Christus z.B. hatte einen schlechten Ruf, sonst wäre er nicht gekreuzigt worden. Er musste u.a. deshalb sterben, weil die römische Kolonialmacht sich eines Rebellen erwehren musste. Der schlechte Rufe der heutigen Kirche, auch eine Art Markenartikel, begründet sich allerdings darin, das gute Vermächtnis des schlechten Rufes ihres Gottes so grauenhaft diffamierend zu verwalten, dass daraus nur ein böses Gemisch entstehen kann: die Kirche selbst. Und das erhält die Kirche am Leben – wenn Sie wissen, was ich meine.

Der gute Ruf hat diesbezüglich leider ein Problem, denn er erstreckt sich nur auf Dilettanten und Halbbegabte. Er kann sozusagen „nicht mit halten“. Einen guten Ruf hat sofort, wer zwei Blumen schlecht abmalen kann und dann auch noch die Nettigkeit besitzt, sie in der Raiffeisenbank auszustellen. Einen guten Rufen hat sofort, wer gut Besuchtes kultiviert: gute, mittelgute, halbgute, jedenfalls irgendwie ziemlich gutschlechte Kabarettisten, ob sie aus der Politik, der Wirtschaft, der lokalen Prominenz oder dem tatsächlichen Kabarett stammen und die sich gut besuchen lassen, weil sie nur den freiwilligen oder unfreiwilligen Lach-Erfolgen dienen, den Speerspitzen psychischer Genügsamkeitsprotokolle, der Überhöhung des wirklich Banalen zur Selbstzufriedenheit mit dem Gelächter über die eigene Dummheit. Das ist guter Ruf: die permanente Selbstzufriedenheit mit kleinen netten Strickmustern eines Gelingens -ohne Herausforderung.

Einen guten Ruf hat aber auch sofort, wer gut gemeinte Verbrüderungsrituale über die Volksgruppen austrägt und den Menschen das gibt, wonach sie gieren: Harmonie und Kitsch, aufgelöst in angeblich pannonischer Vielstimmigkeit, gut gemeint und nett gedacht und opulent aufgemotzt über der Dürre seiner Sicht.

Also in der Tat: der gute Ruf ist überall und führt eine tragische Existenz, weil er absolut uninteressant ist und höchsten als halbgute Berichterstattung für vollschlechte Events taugt.

Wohingegen der schlechte Ruf eine Persönlichkeit ist, eine wirkliche und unumgängliche und manisch herausragende Bedeutung besitzt. Freunde, lasst uns ein Credo auf den schlechten Ruf posaunen, denn er, und nur er, wird dieses Gutrufland retten!

Wollen wir also zur Frage zurück kommen, warum ein Jugendhaus in Oberwart und in dessen Nachfolge ein Offenes Haus Oberwart schon einen schlechten Ruf hatte, noch bevor es existierte. Erinnern wir uns: 1978 ließ einer der letzten intelligenten Politiker des Staates das Volk befragen, ob es Atomkraft, zu der er sich persönlich bekannte, wolle oder nicht. Einer der nicht unletzten unintelligenten Politiker der prioritär unintelligenten aber damals noch gedemütigten bürgerlichen Oppositionspartei gab – aus rein opportunistisch gefärbten Motiven – die Parole aus, gegen die Atomkraft zu stimmen. Den Sieg fuhr nicht Alois Mock, der opportunistische Anbiederer und Ablehner, sondern Bruno Kreisky, der leidenschaftliche Befürworter, ein: nämlich nicht mit einem Sieg, sondern mit einer Niederlage. Seitdem gibt es keine Atomenergie in Österreich, pardon: kein Atomkraftwerk. Als ich Jahre später das Vergnügen hatte, eine gute Stunde mit Bruno Kreisky zu schwätzen, nämlich buchstäblich zu schwätzen über Amerika und Europa und Palästina und Israel, da saß ein großer alter Mann vor mir, der groß und alt durch seine Niederlagen war: nicht durch seine Siege. Siege sind Blendungen, Niederlagen sind Siege!

Damals, im August 1978 stand ich mit einem zweiten Einsamen vor dem Informgelände in Oberwart an einem Stand, an dem Anti-Atomkraft-Broschüren und Sticker aufgelegt waren. Mindestens zwei oder drei mal mussten wir uns vor aggressiven Fortschrittsaposteln retten, nämlich wirklich laufender Weise, weil diese uns an den Kragen, ja eigentlich ans Leben wollten. Zwei Jahre später, als wir die „ausnahmsweise oberwart“ initiierten, hörte ich öfter das Wort: ihr gehört aufgehängt, öffentlich vor dem Rathaus.

Damals, im Jahr 1980, standen folgende Themen auf dem Programm: vor dem Kriegerdenkmal von Oberwart wird die Attrappe eines Denkmals aufgestellt, das an den Holocaust an den Roma, u.a. auch von Oberwart erinnert. Noch in der ersten Nacht wurde das Denkmal mit weißer Farbe überschüttet. Ich erstattete damals Anzeige gegen Unbekannt. In Wirklichkeit wusste jeder Gendarme, wer die Täter waren, denn diese befeierten ihre Aktion auch lauthals in einem oberwarter Lokal. Selbstverständlich wurden sie nie ausgeforscht.

Im katholischen Kontaktzentrum sorgte in der Zwischenzeit eine Ausstellung mit dem Titel „Subjekt-Lust-Mann-Lust-Objekt“ für Aufsehen, allerdings nicht ganz in der vorgesehenen Weise: die Ausstellungswand mit einem nackt fotografierten jungen Mann wurde kurzerhand umgedreht, sodass man nur eine nackte Ausstellungswand von hinten zu sehen bekam: Argument: wir haben einen Pensionistennachmittag, und den alten Leuten ist ein nackter Mann nicht zuzumuten. Angst vor Alterssex. Offenbar ein Thema.

Zwei Tage später wurde im gleichen Haus die Ausstellung „behindert sein“ eröffnet, noch einen Tag später die Ausstellung „Verfolgung und Widerstand im Burgenland“. Beide Themen hochgradig geeignet, für einen schlechten Ruf zu sorgen, denn Behinderte waren bis dahin mehr oder weniger eingesperrt und von Verfolgung und Widerstand im Burgenland in der Nazi-Zeit wollte kein Mensch was wissen, weil die Nazis damals noch immer die Heroen des Guten und Richtigen waren. Selbst als wir noch 1982 Beistand seitens der SPÖ für eine AntiNaziDemonstration in Großpetersdorf einforderten – Norbert Burger zog damals mit seinen Neonazigruppen einigermaßen unbehelligt durch die Lande - , zeigte uns der damalige Landesparteisekretär und spätere Landeshauptmann Karl Stix die kalte Schulter: Demonstrationen seien solch ein mächtiges Instrument, dass man sie nicht an Pimperlthemen wie Neonazismus verschleudern dürfe.

Ein weiterer Schwerpunkt der Ausnahmsweise Oberwart war das Thema „Drogen brauchen“ – wobei die Veranstaltung schon damals mit dem „Ersten Burgenländischen Fernsehwettschauen“ den Drogenkonsum sehr weit fasste. Bezeichnenderweise gastierte dazu das Linzer Lehrlingstheater mit der „Konsumidiotenrevue“. Schließlich die Veranstaltung „Frauen geigen auf“ – vor dem Rathaus von Oberwart feministische Lieder und Parolen. Das alles hatte Oberwart in diesen JuniTagen 1980 nötig.

Und dann auch noch: ich zitiere aus dem programmfolder:
Samstag, 28. juni und Sonntag, 29. juni 1980. jeweils 10 – 12.30 uhr und 15 – 18 uhr kontaktzentrum: workshop „jugendhaus in oberwart“ mit anschließender gründung des vereins „jugendhaus oberwart“.

Also: der schlechte Ruf war von Anfang an da. Und ich finde, er hatte Potenz! Stellt euch vor, meine lieben Jungendhäuserlinnen und Jugendhäusler, meiner lieben OHOlerinnen und OHOler, was dieses Haus ohne seinen potenten schlechten Ruf gewesen wäre – ein gut gemeinter Schas! Die Litfasssäulen und Plakatwänden hier zeugen davon, dass wir Themen hatten! Wir haben doch, verdammt noch mal, um unseren schlechten Ruf auch gekämpft! Das Drogenthema: unerlässlich für jeden schlechten Ruf! Die damalige Punk-Szene: hoch willkommen für einen schlechten Ruf! Das Frauenthema: sofort ein schlechter Ruf! Das Friedensengagement: gleich ein subversiv schlechter Ruf! Antiatom: gediegen gut für einen schlechten Ruf! Antifaschismus und Anti-NDP: automatisch schlechter Ruf!

Wie, frage ich euch jetzt, wie und warum sind wir jemals auf die Idee gekommen, uns von unserem vermeintlich schlechten Rufe befreien zu müssen! Es war 1. sowieso sinnlos und 2. schon eine Art von Korrumpiertheit in unserem Denken: wir wollten den Papas und Mamas plötzlich gefallen, wir wollten akzeptiert werden für eine Arbeit, die immer als Konfrontation konzipiert war, und nie – oder zumindest selten – als ein Gefallen Wollen.

Und darum, auch den Betreibern des jetzigen OHOs gesagt: vernachlässigt nicht, um Himmels Willen, vernachlässigt niemals den schlechten Ruf. Er ist das beste, was wir haben. Darum meine Bitte:

Mehr schlechten Ruf! Noch mehr schlechten Ruf! Nur schlechten Ruf!
Und damit: ein echtes Geschenk!