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Offener Brief an den Abgeordneten Eduard Nicka

Der Brief entstand als Reaktion auf wiederholte Angriffe im Burgenländischen Landtag bzgl. der Förderung diverser Theaterproduktionen von Peter Wagner.
Die gegenseitigen Polemiken zwischen der FPÖ und Peter Wagner wurden in den Neunzigerjahren insgesamt durchaus liebevoll gepflegt. Danach ist das Interesse aneinander sanft entschlafen.

OFFENER BRIEF

An Herrn
Abgeordneten Eduard Nicka
Landtagsclub der FPÖ
7000 Eisenstadt

Deutsch Kaltenbrunn, am 18. Dezember 1994

Lieber Edi,

ich habe mir sagen lassen, Du hättest Dich in der Landtagssitzung vom 6. Dezember schon wieder als Theoretiker und Ideologe versucht. Wie damals in jenem Inlandsreport, als Du die deutsche Weltkatastrophe einer Rassenvermischung hinter dem Neusiedlersee heraufdämmern sahst und dem Rest von Österreich das Gefühl vermitteltest, wir im Burgenland wären allesamt tiefbraune Idioten.

Jetzt hast Du Dich also über die Begriffe Links und Rechts hergemacht. Warum tust Du so etwas? Wo Du doch in Deinem Innersten ganz genau weißt, dass Du für den philosophischen Gedanken von Mutter Natur gar nicht abgesegnet bist, kurz: dass Du das nicht kannst! Tust Du es, nur weil Du glaubst, die Menschen in diesem Lande wären so primitiv, dass sie alleine mit primitiven Parolen zu bedienen wären?

Ich weiß schon, Angst ist ein guter Nährboden, und wenn man ihn nur bewusst genug beackert, dann kann auch die Saat der Angstmacher ganz gut gedeihen - die Wahlergebnisse Deiner Partei geben Dir und Deinesgleichen da durchaus Recht. Dennoch möchte ich Dich im Sinne des Gebots der Menschlichkeit und der geistigen Hygiene in diesem Land, für die ja ein Politiker eine gewisse Mitverantwortung trägt, herzlich bitten, die regelmäßigen Ejakulationen Deiner philosophischen und theoretischen Impotenz zu unterlassen. Es reicht doch, wenn Du als Landtagsabgeordneter Dein monatliches Salär beziehst und uns nicht immer daran erinnerst, dass Leute wie Du zu den Volksvertretern gehören.

Weiters ist mir zu Ohren gekommen, dass Du Dich mittlerweile auch in die Bereiche der Kunst und Kultur vorwagst, von denen ja bekannt ist, dass ihr Ende mit dem Namen Auschwitz verbunden ist. Offenbar hattest Du etwas dagegen, dass Stücke wie "Todestag" mit öffentlichen Mitteln subventioniert würden.

Tatsächlich geht es darin um die Beziehung zweier Brüder zu ihrer letzten Kuh im Stall. Gestatte mir, dass ich Dir einen kleinen Nachhilfeunterricht erteile, es lernt ja  niemand aus in seinem Leben, sicher nicht einmal Du: die Kunst arbeitet sehr oft mit Symbolen und Allegorien, das weiß man schon von den Märchen, die wir den Kindern seit Jahrtausenden erzählen. So weit alles klar?

In meinem Stück "Todestag" ist die geliebte tote Kuh das Symbol für den sterbenden Bauernstand (auch ich war übrigens ein Gegner des EU-Beitritts, wenn auch aus weniger folgsamen Gründen wie Du). An ihrer Leiche liefern sich die beiden verliebten Brüder in ihrer verzweifelten Ausweglosigkeit einen letzten Kampf, muss schließlich das entstellte Kind ihrer als obszön und verwerflichen empfundenen Liaison (eine Art Minotaurus) beseitigt werden. Dem allen wohnt eine tiefe Liebe und eine große Ernsthaftigkeit inne, die zwar immer wieder in Absurdität umschlägt, niemals jedoch in bewusste Provokation.

Die gesamte griechische Mythologie, ein Fundament unserer abendländischen Kultur und Geistesentwicklung, ist voll von solchen Motiven, zu denen ich in meinem Stück ganz bewusst eine Brücke geschlagen habe. Willst Du die griechische Mythologie abschaffen, Du Lehrer? Oder solltest Du wirklich keinen Tau davon haben, dass eines der beliebtesten Motive der faschistischen Kunst die Darstellung Ledas war, wie sie mit dem Schwan kopuliert?

Was darf sich also die faschistische Kunst zumuten, was ein rechter Recke wie Du der zeitgenössischen Kunst, die man gemeinhin und oberflächlicherweise für links hält, abspricht? Und wie viele Schüler wurden erst an den faschistischen Kunstergüssen vorbeigeschleust, und zwar in perverser Massenhaftigkeit - wenn man schon davon spricht, dass burgenländischen Schülerm die angeblich perversen Produkte des Peter Wagner zugemutet wurden?!

In meinem Stück wurde nicht eine einzige obszöne Szene gezeigt! Und wenn: Obszönität ist ein Bestandteil des öffentlichen Lebens, wie man von Führer Haider seit der "Ordentlichen Beschäftigungspolitik" bestens weiß!

Hättest Du den "Todestag" gesehen (ich war mit der Inszenierung übrigens nicht sehr glücklich) oder noch besser gelesen, Du wüsstest wenigstens, wogegen Du im Landtag polemisierst. Aber Du weißt es nicht einmal, und das ist das Bedenkliche. Und es zeigt darüber hinaus, wie verheerend oberflächlich das geistige und mentale Klima in Eurer Partei ist, die ja demnächst eine gesellschaftsverändernde - also linke? - Bewegung werden soll. Es zeigt, wie aggressiv kulturfeindlich, wie zensur- und diffamierungsbereit sie heute schon ist!

Steht am Ende Eurer Bewegung erneut ein Auschwitz, nur mit anderem Namen und gänzlich anderem Outfit?

Und ich möchte nur kurz ins Gedächtnis rufen, wie die Kette der Entwicklungen bis zu Auschwitz hin u.a. geknüpft war: Arbeitsverbote für unbotmäßige Künstler (jüdische wie nicht-jüdische), offene und exzessive Zensur wie die Bücherverbrennung, Vertreibung der geistigen Elite und Verrohung des geistigen Klimas bis hin zu allen ihren politischen Auswirkungen: Reichskristallnacht, Krieg, industrielle Massenvernichtung.

Und heute schreist Du nach der Zensur eines zeitgenössischen Autors!

Edi, Edi, mir graut vor Dir!

Was bist Du doch für ein dumpfer Melancholiker. Wie unfrei und lachhaft verbittert muss es in Deinem Innersten aussehen, wenn Du das mitunter komplizierte, jedenfalls nicht immer einfache Spiel zwischen der Kunst und dem täglichen Leben, dem angeblich gesunden Hausverstand nicht zu begreifen imstande bist. Und das, obwohl Du an einer Position sitzt, die einem das Erfassen komplexerer Zusammenhänge abnötigen sollte.

Aber das Erkennen der subtilen Mechanismen menschlichen Lebens ist eben Deine Sache nicht. Darum wundert es mich ja, warum Du es mit solch einer Penetranz dennoch immer wieder versuchst! Warum Du Dich mit solcher Zähigkeit regelmäßig übernimmst! Vielleicht solltest Du doch einmal den Versuch unternehmen, das Verhältnis zu Deinem Vater kritisch zu hinterfragen. Es würde uns allen gut tun, glaub mir!

Bis dahin könnte ich Dir etwas Hilfe anbieten. Offenbar geht es Dir und Deiner Partei darum, einen neuen Kulturkampf vom Zaun zu brechen. Du könntest Dir zumindest ein paar Voraussetzungen abholen, um diesen überhaupt führen zu können. Du könntest Dir z.B. etwas Wissen über Kunst aneignen. Wir sollten uns beide einmal über die "Todesfuge" von Celan setzen, oder über das "Endspiel" von Becket, oder "Guernica" von Picasso, meinetwegen auch über den gebeugten Juden von Hrdlicka - oder über einen rechten, also ordentlichen Künstler Deiner Wahl. Das würde ich sogar noch lieber!

Bitte gib mir Nachricht, ob Du dieses Angebot annimmst. Damit Du Dir nicht weiterhin einen geistigen Leistenbruch nach dem anderen zuziehen musst.

Ich grüße Dich

Peter Wagner