Skip to main content

Verharren in Demut

Ein Wolfgang-Schüssel-Pamphlet

Das Pamphlet ist an dieser Stelle erstmals veröffentlicht.

Macht ist wenig im erfüllten Antlitz des Avancierten.

Meister Schüssel ist uns in Zeiten wie diesen das Maß aller Dinge. Das spricht erstens gegen die Zeiten. Zweitens gegen das Maß. Drittens gegen die Dinge.

Tun wir ihm unrecht? Schüssel lehrt uns bei weitem mehr als Rechtfertigung in blecherner Polemik: ER führt vor, und nur ER! Wir lernen, dem mit erheiterter Fassungslosigkeit zuzusehen und allenfalls - wenn überhaupt - leicht angeekelt fasziniert zu antworten: siehe da, Wiedehopf hat es geschafft, er ist an seinem Ziel! Er hat sich und ist in sich emporgearbeitet zum Ebenbild des österreichischen Erzgottes - der uns bestens unbekannt ist als die Erfüllung der Paradoxie aus Nichts und Allem.

Wolfgang schafft es mit narzisstischer Schläue, wo andere den reflexiven Holzhammer bräuchten: scheinbar problemlos gelingt es ihm, die Imago der Parodoxie als ein so spielend abrufbares zu repräsentieren: als das ganz und gar unhysterische Vorkommnis einer ewig hysterischen Wirklichkeit. Wir protestieren schon lange nicht mehr gegen derlei Anmaßung  aus Selbstbescheidung, der Protest widerspräche dem Dunst unserer unverhofften kleinen Fasziniertheit von solchen Künsten. Wir verkünden keinen Vatermord, wiewohl er uns gut anstehen würde, um unser eigenes Gesicht zu wahren, doch wie sollten wir: niemand von uns würde Wolfgang Schüssel als Vater missverstehen! Aber bitte sehr, als was nun sollten wir ihn nicht missverstehen?

Vielleicht sollten wir ihn nicht missverstehen als die immer schwerer einsehbare, immer perfekter geschützte Triebfeder unserer eigenen kleinen, alltäglichen, sympathisch unauffälligen Perfidie, die durch Wolfgang Schüssel zu Regierungsehren gelangte. Vielleicht aber sollten wir ihn eher missverstehen als den Selbsterwählten, der so lange Zeit unter dem dumpfen Gleichschritt der Selbsternannten zertreten wurde, bis er gar nicht mehr anders konnte als es endlich zu schaffen: den Zeitgeist des Regierens herum zu reißen und ihm den Stempel des tieferen Erleidens aufzudrücken! So ist er uns schließlich auch irgendwie nahe gekommen, ja mitunter scheint er sogar mitten in den Zimmern unserer dämlichen Gier nach unbedarfter Schönheit und taktiler Größe zu wohnen, die uns immer schon zierte (kurzweilig) und fast schon adelte, wenn auch leider nur fast. Schüssel, jetzt endlich in der Blüte seines Spieles emporgehievt in die rundum ergambelte und schließlich auch ausbezahlte Macht, das Fleisch gewordene Auferstehungs- besser: Widererstehungsprodukt, unter dessen bisheriger Künstlichkeit und Wesenlosigkeit er noch jeden Tag seines Daseins selbst am meisten leiden musste, soferne er ernst zu nehmen ist. Nun, da er regiert, wird die Wesenlosigkeit zum Amalgam bedeutungsschwerer Bürde: Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, angekommen am Leidenspunkt der Beharrlichkeit, der das Selbstopfer nicht nur mit einschließt sondern explizit erfordert; Schüssel, der Hingegebene, der unter Schmerzen Lächelnde, der vom Wissen um Zähigkeit und Vergeblichkeit Gekrönte

- warum um Gottes Willen sollte dieser Schüssel eine Regierung bilden! Bilden wollen?!

Es wird ihm von der Öffentlichkeit6 und allenthalben vom Bundespräsidenten abverlangt, gewiss, denn leider - und er wäre nicht er, wenn er dies nicht auch heimlich verachtete - denn leider hat er ja nun zuletzt und als Draufgabe auch noch einen veritablen Wahlsieg errungen, so mies zu bewerkstelligen solch ein Ziel auch immer sei und so sehr er es (ebenso heimlich) auch verachtet - denn hütet euch davor, Schüssel als den endgültigen Sieger vor sich selbst zu erachten! Er weiß es besser: seht ihn ruhig auch als Verlierer, oder seht ihn zumindest mit der gebührenden Demut: er hat es geschafft zur absoluten Spitze und das ist wahrlich Opfer genug!

Jedenfalls, und das ist das Ergebnis seines vor sich selbst miesen Sieges und seiner in die Aura der Unantastbarkeit empor schnellenden Selbstverachtung in zäher Einsamkeit (aber nicht, weil er ignorant ist, sondern weil er sich in der Position des tragisch Wissenden wähnt, also des schon wieder Souveränen, dem auch nur wieder in Demut Abbitte zu leisten ist): brauchen tut er sie nicht, die Regierung! „Wer mit uns verhandeln will, darf keine Bedingungen stellen. Wir werden niemals Bedingungen akzeptieren.“ (© Wolfgang Schüssel, 22.1.03) Damit hat er endgültig etwas gemein mit den wahrhaft Großen der neueren Geschichte Österreichs!

In seinem vom Keim sühnender Gelassenheit infizierten Umfeld, das sich mit erhebt unter dem magisch empor gestreckten Finger des kleinen Kaisers zu erhabener Unbedarftheit, ja frohlockender Unwissenheit bezüglich jeglicher Verantwortung für Macht, wird Regieren zum Synonym für einen erbärmlich biederen, kleinmütigen Gestus: wir sind geformt aus der Woge des ausgleichenden Zeitenstromes, wir seine Lieferanten und Verwalter, bezahlt uns in Wasihrwollt, in Liebe oder untertäniger Opposition, wir werden beide geflissentlich sondieren und überprüfen auf mögliche koalitionäre Wechselspiele! Österreich, fürchte dich nicht, denn du bist stark, du hast UNS! Denn endlich hast den besten deiner Prinzen erkannt und das heißt: gewählt! Er kaut im verzwickt zusammengepressten Lippenschwung den zähen Gummi erarbeiteter Leidenschaft, den Gummi auch unserer, immer währender Gelassenheit zum Wohle der Heimat.

Lasst uns innehalten, wir sind warm geworden in der Apotheose des Eigen-Sinns! Und also lasst uns glühen im Sprühlicht des Weines, der uns noch Jahre erbaulicher Liturgien statt erdrückender, sattsam bekannter Vorspiegelungen bescheren könnte: wozu eine Regierung, wenn wir eine wunderbare Gebrauchsform des Sondierens besser zu handhaben verstehen als die absehbare Versteinerung in der Legislatur einer Periode! Magic Schüssel! Die schwitzenden Ackergäule, vorsatz- und geistlos weil krankhaft nacheifernd und -strebend, sind entbehrlich angesichts deiner ewigen kleinen Pirouette, die so sehr an sich selbst als unübertrefflicher Schönheit leiden will und wird, dass ihre Vollendung ein Verrat an sich selbst wäre: lieber sterben als regieren!

Wolfgang, scheiß drauf! Wirkliches Regieren würde dir ohnehin nicht mehr allzu gut stehen: fallende Pose ist lächerlich, selbst und gerade vor verharrendem Hintergrund.