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Die Kardinälin
Eine Ohnmacht

 

Stück für Bühne und ein abgestelltes Subjekt von Peter Wagner 2005/2010
Uraufführung 2010
Die Kardinälin: Heinrich Baumgartner
Noch Jemand: Erich Pacher
Inszenierung, Bühne und Musik: Peter Wagner
Fotos: Günter Jagoutz
Eine Produktion des Klagenfurter Ensembles in Zusammenarbeit mit dem Offenen Haus Oberwart
Alle Rechte für das Stückmanuskript beim Autor.

Textauszug >>

Inhalt

Die Kardinälin sitzt im Rollstuhl. Sie ist ein Mann, der es innerhalb der kirchlichen Hierarchien bis zur Erhebung in den Kardinalstand gebracht hat. Lange davor hatte er von seinen Zöglingen im Seminar den Beinamen Die Kardinälin erhalten.

"Das Gehen und das Knirschen der Schuhe. Wie bei der Schwester Oberin, die fast die gleichen Schuhe hatte wie ich. Und doch ganz anders. Ich war nicht die Schwester Oberin, ich war die Kardinälin! Das war allerdings ein Unterschied, man konnte es am Knirschen unserer Schuhe ausmachen. (...) Kchch ... kchch ... kchch ... kchch ... Die Gänge der Schule waren wie automatisch leergefegt, schon wenn sich mein Kommen auch nur ankündigte. Kchch ... kchch ... kchch ... kchch ... die Kardinälin, überall hörte man das Flüstern, die Kardinälin! ...."

Nun aber ist er innerhalb der Kirchenhierarchie in Ungnade gefallen, nicht einmal Ratzinger scheint noch hinter ihm zu stehen, obwohl er sich lange unter dessen schützender Hand wähnen durfte. St. Pölten kann ihm auch nicht helfen und der neue Erzbischof von Wien, sein direkter Nachfolger, hat ihn nach zunehmendem öffentlichen Druck aus dem Verkehr ziehen lassen. Unter der Obhut einer Ordensschwester verbringt er die Tage in irgendeinem fernen Kloster, gefangen im Rollstuhl, der sich in keine Richtung mehr bewegt, dem Windhauch durch das geöffnete Fensters ausgesetzt, der neben der Gefahr für seine Gesundheit jede Menge unaufgearbeiteter Erinnerung daherweht.

"Es zieht, machen Sie das Fenster zu! Wenn man mich hier schon einsperrt wie einen entmündigten Idioten, so gönne man mir wenigstens das Privileg einer geschlossenen Zelle. Ich brauche keine frische Luft. Frische Luft ist schädlich für das Nervensystem. Ich hasse unkontrollierte Bewegung."

Hier, alleine mit sich und wohl auch im Angesicht des Todes, strömt die Erinnerung beinahe körperlich durch seine im Rollstuhl gefangene Existenz. Immer wieder versucht er die direkte Ansprache an Gott, in dessen Gnade er sich weiß, wissen will. Und doch ist dieses Wissen durchspickt von Zweifel.

"Herr, ich bin der in den Staub geworfene Wurm! Ich bin nichts. Gezeugt in der Sünde, geboren in der Sünde. Zeitlebens habe ich Dich zu den Menschen gebracht. Habe ich die Menschen zu Dir gebracht. Du allein weißt um mein Opfer. Du allein wirst es erkennen. Du allein!"

Ohne dass er dies zugeben würde – denn tatsächlich befindet er sich in steter, aggressiver Selbstverteidigung -, scheint ihn die öffentliche Erregung zu beschäftigen, die sein angeblicher Fall verursacht hat und der seitdem wie ein Damoklesschwert nicht nur über ihm, sondern über der Mutter Kirche hängt. Einer Mutter, als deren eigentlicher und letzter aufrechter Repräsentant er sich selbst fühlt und erlebt.

"Sexueller Missbrauch. Krankhafte Schlagwörter. Die schlagen sollen. Dass ich nicht lache! So sehen sie aus, ihre gedanklichen Bollwerke. Ihre verbalen Waffenarsenale. Sie glauben allen Ernstes, sie könnten mir damit Schaden zufügen! Alles giert nach einem Schlagwort wie Sexueller Missbrauch. Geistlose Diktion, fern auch nur der geringsten Wahrheit, pfui Teufel."

Einer der von ihm so sehr geliebten Zöglinge, die er – seiner gedanklichen Disposition nach – alle zum Herrn gebracht und teilweise auch zu Christus gemacht hat, durchaus auch in zärtlicher körperlicher Begegnung, ist nach Jahrzehnten an die Öffentlichkeit gegangen und hat damit auch die kirchliche Basis auf den Plan gerufen, wie dies überhaupt noch nie in der Geschichte der katholischen Kirche der Fall gewesen ist.

"Sie tragen nichts, die bischöflichen Eminenzen. Sie lassen mich hier sterben, abgestellt. Kriechend in Anbetracht der Begehrlichkeit von Laien! Von notorischen Kleingeister, denen das Evangelium seit Anbeginn eine Nummer zu groß ist. Die plötzlich eine Chance wittern, ihre Infantilität, ihren demokratischen Unsinn auszutoben, der die Hierarchie Gottes völlig verkennt. Plötzlich eine Rolle spielen. Plötzlich das System in Frage stellen, gar die Kirche selbst, die einzige und wahre Muttermacht! Wegen ein paar Knabenpopos. Macht und Gesetz der Mutter sind niemals relativierbar. Niemals!"

Zwischen seinen Verschwörungstheorien und den Tiraden gegen all jene, die der Mutter Kirche am Zeug flicken wollen - wovon er auch die höchsten Kirchenkreise nicht ausschließt -, verfällt er in den verzweifelten Erinnerungshunger desjenigen, der Liebe verteilt und erfahren hat.

"Aber lass mich vorher noch einmal in die Augen des Knaben sehen, der mich gefangen hält. In die Augen, die tief und rein sind wie das sinnende Wasser im Gebirge deiner Schöpfung. (...)
Ich spreche nicht von der Sünde, Herr. Ich spreche von ihrem Fingerabdruck. Einem Knabenpopo. Von Berührung, wie sie kostbarer nicht sein könnte. Verschmelzung. Der Leib Christi. Rettung von der Ursünde einer Hure."

Das eigentliche Opfer, so sieht er es, ist er selbst.

"Es war nicht ich, der sie verführt hat. Es waren sie, die mich verführten. (Verzweifelt.)
Mit ihren Augen. Mit ihrem Augenaufschlag. Mit ihren Lippen. Mit der Ahnung von Flaum auf den Lippen. Mit den zart vibrierenden Nasenflügeln. Mit den brechenden, durch das Beichtstuhlgehölz abgedämpften Stimmen. Mit Kehlen voller Reinheit, deren eine einzige ganze Kirchenschiffe füllt und Gott in ihnen klingen lässt. Mit ihren Händen und Bewegungen! Selbst noch mit einem zarten Anflug von Schwarz unter den Fingernägeln. Die Geschöpfe eines ewig verliebten Gottes. Kein einziger wurde missbraucht, wir haben unserem verliebten Gott gehuldigt. In höchster Liebe!"

Die Welt aber verhält sich gnadenlos zu ihm und verkennt beharrlich seinen Auftrag, die Menschen Gott zuzuführen, auch über den Maßstab der körperlichen Gebundenheit. Am Ende scheint er zu resignieren, noch immer nicht fähig zu so etwas wie einem Schuldbekenntnis, das ihn retten könnte. Trotzig hält er an seinem Missionsplan, in dem Machtbedürfnis und Übergriff nicht voneinander zu unterscheiden sind, fest. Er entschließt sich, gestützt auf die Bibel, fortan überhaupt zu schweigen.

" Ich schweige. ... Schon ist er weg, der falsche Ton. Schon sind sie weg, die Hühner. Schon hat die Stille das Kreischen der Huren geschluckt. Die Welt, die Hure. Der Lärm, die Hure. Babylon, das Computergeplärre, das meinen Liebsten unter sich zermalmt hat. Ich trauere um Dich, mein Emmanuel, du göttliches Kind. Ich bete zu Gott. Herr, du bist der Luxus in diesem Getümmel, der einzig wahre Luxus. Du schweigst. Ich schweige.
Dass ihr endlich schweigen wolltet. Das würde Weisheit für euch sein. (Hb 13,5)"

Zuletzt bleibt ihm nur noch die Zuflucht zu Maria, der Mutter Gottes – mit der er sich allerdings auf einer Stufe wähnt. Denn auch sie ist seiner lebenslangen Aufbauarbeit zufolge nichts anderes als ein Geschöpf Gottes, das zwar als Mutter des Gottessohnes Respekt und Liebe verdient, nicht aber mit Gott selbst gleichgestellt werden darf.

"Ich muss noch ein Buch schreiben. Ich bin zäher, als euch das lieb sein kann. Ein Buch über Maria im Geheimnis Jesu Christi. Ich werde euch die Reinheit meiner Liebe vor Augen führen. Niemand wird weiterhin behaupten können, ich hätte mich an Knabenpopos vergriffen aus fleischlicher Begierde. Ich war immer nur die Vermittlung. Wie Maria, die himmlische Jungfrau. Immer nur die Mittlerin. Maria und ich, wir wissen uns auf der Seite des wahren Gottes. Ich habe ihr eine Legion aufgebaut, meinen Dienst in ihren Dienst gestellt."

Bis zuletzt bleibt er trotzig,

"Sie haben es darauf abgesehen, mich hier umkommen zu lassen als gefallenen Engel. Als Weib!! Aber ich bin nicht das Weib! Ich bin die Frau! Die Herrin! Die Mutter Gottes! Das Gefäß, in dem Er, der Erlöser, wächst und gedeiht."

um im letzten Atemzug zu resümieren:

"Wie ich bin, bin ich aus mir. Ich danke mir. Der Mutter Gottes."

Zitat

„Haben Sie, als er mit Ihnen im selben Haus lebte, Herrn E., damals Novize, zu Homosexualität verführt? Ja oder nein? Haben Sie sich gegenseitig den Popo geküsst – ja oder nein? Haben Sie ihm auf den Hoden gegriffen und zu ihm gesagt: >Lass den Samen nicht fließen<? Was soll denn dieser mit dem 6. Gebot so sehr geplagte Novize machen, wenn sein kirchlich Vorgesetzter ihn dazu verführt, was er zuerst bis zur Blödsinnigkeit immer wieder beichtet. Haben Sie nicht gesehen, dass er die Art ihrer Behandlung nicht verkraftet? Was haben Sie getan!“
Aus einem Brief von Gunthild Ritschl an Kardinal Hans Hermann Groer, zitiert nach "Hubertus Czernin: Das Buch Groer"

Briefwechsel

zwischen Erzabt Edmund Wagenhofer und Peter Wagner
anlässlich der Uraufführung "Die Kardinälin - Eine Ohnmacht" am klagenfurter ensemble

Brief von Erzabt Edmund Wagenhofer vom 15. Mai 2010
Sehr geehrter Herr Wagner!
Gestern abends habe ich in Klagenfurt die Aufführung Ihres Theaterstückes „Die Kardinälin“ besucht. Ich bin eigens von Maribor nach Klagenfurt gefahren, um nach der Lektüre einer Besprechung in der Presse mir selbst ein Bild zu machen, wie Sie das heikle Thema behandeln. Ich bin als emeritierter Erzabt nicht mehr an vorderster Front, als Glied der Kirche aber an der Aufarbeitung des derzeit viel diskutierten Themas sexuellen Missbrauchs durch kirchliche Amtsträger sehr interessiert. Es interessierte mich, wie Sie das Thema literarisch behandeln. Ich muss vorweg schicken, dass ich die „Kardinälin“ persönlich kannte und ich viel darüber nachgedacht habe, warum es keine Einsicht bei ihm gab, vermutlich auch nicht im letzten Augenblick seines Lebens.
Sie lassen in Ihrem Stück den Sterbenden die Jahre seines Lebens in einem Monolog Revue passieren. Sie zeigen in Worten und in der Regie eindrucksvoll den inneren Zwiespalt dieses Menschen auf. Sein Alleinsein lässt ihn immer wieder um sich selbst kreisen. Das „Gegacker“ draussen wird als störend empfunden, die Begegnung mit einem ehemaligen Opfer verführt ihn, Vergangenes wieder neu in die Gegenwart zurückzuholen. Schriftworte erhöhen den Leidensdruck, die theologische Sicht verbrämt kriminelle Fakten. „Kein einziger wurde missbraucht, wir haben unserem verliebten Gott gehuldigt in höchster Liebe.“ Gerade Letzteres haben Sie als eigentlichen Grund der Unfähigkeit des Erkennens von Fehlverhalten herausgearbeitet: die „Kardinälin“ glaubt sogar etwas Gutes getan zu haben. Sündhaftem Treiben wird der Makel der Sündhaftigkeit weggenommen, so dass dieses in verklärtem Licht erstrahlt. Ich glaube, Sie haben da etwas ganz Wesentliches erkannt und dies deckt sich auch mit meiner Sicht. Dass es sich dabei aber bei der „Kardinälin“ um eine Selbstrechtfertigung handelt, kann von „ihr“ nicht mehr erkannt werden, weil das eigene Gewissen durch ständiges Handeln verändert worden ist und das eigene Handeln nur mehr mit Gott ausgehandelt wird. Daran kann kein Mensch und kein Gericht etwas ändern. Solches Einschreiten wird als Versuch der Zerstörung der eigenen Lebensgrundlage gesehen.
Diese Deutung unbelehrbaren Verhaltens kann ich aus der Erfahrung in einem anderen Fall, mit dem ich es zu tun hatte, nur bestätigen. Die Kirche müsste m. E. intensiv erforschen, wo die Wurzeln eines solchen Fehlverhaltens liegen, um weitere Missbräuche zu verhindern. Sind es vielleicht biblische Geschichten mit dem Inhalt, dass Gott auch aus bösen Taten Gutes entstehen lassen kann (Verkauf des Josef durch seine Brüder und die Rettung Israels aus der Hungersnot im AT; die Kreuzigung Jesu und das daraus fließende Heil im NT)? Auch wenn in der Heilsgeschichte die Untat der Brüder Josefs durch Gottes Fügung zu einem Handeln Gottes geführt hat, welches als Heilstat (Rettung Israels) bezeichnet werden kann, bleibt die Untat der Brüder eine Untat, die nicht zu rechtfertigen ist.
Kritisch sehe ich den Schluss Ihres Stückes. Da Sie sonst ein sehr gutes Insiderwissen haben und Sie sich an Fakten halten, stelle ich die Frage: woher haben sie Aussagen von der „Kardinälin“, dass sie sich selbst als Mutter Gottes sieht? „Ich danke mir. Der wahren Mutter Gottes.“ Wie kommen Sie zu so einer Feststellung? Während Ihr Stück sonst die konkrete Person im Auge hat, die hinter der „Kardinälin“ steht, verlassen Sie hier dieses Bemühen. Der Zuseher geht aber davon aus, dass auch das auf die konkrete Person zu beziehen ist.
Schade finde ich auch, dass die Möglichkeit einer doch vorhandenen Erkenntnis im letzten Augenblick des Lebens in Ihrem Stück nicht einmal angedeutet wird. Niemand von uns weiss, ob es diese Erkenntnis bei der konkreten Person nicht doch noch gegeben hat. Ich jedenfalls bete immer wieder um die Gnade (das ist es für mich), dass ich rechtzeitig, wenigstens aber im letzten Augenblick meines Lebens noch erkennen kann, was ich grundlegend falsch gemacht habe, um dies noch als hier auf Erden lebender Mensch bereuen zu können. Eine Andeutung in diese Richtung hätte dem Stück nicht geschadet. So fiel es mir schwer, am Schluss des Stückes auf die letzten Worte „Wie ich bin, bin ich nur aus mir. Ich danke mir. Der wahren Mutter Gottes.“ zu applaudieren.
P.S.: Der Leiter des Theaters in Klagenfurt hat mich ermutigt, Ihnen zu schreiben.

Antwort von Peter Wagner, 17. Mai 2010:
Sehr geehrter Erzabt P. Edmund Rudolf Wagenhofer,
ich danke für Ihren Brief. Diese Reaktion bedeutet mir viel, auch Ihre Kritik den Schluss meines Stückes betreffend.

Für mich ist es zunächst einmal wichtig, zwei Dinge auseinanderzuhalten: Die „Kardinälin“ ist eine fiktive Figur, mag sie noch so sehr ein konkretes Vorbild gehabt haben. Wäre es mir darum gegangen, die Person Kardinal Groers zu portraitieren, hätte ich mich wohl eher der Möglichkeiten eines Dokumentarfilms bedient. Dichtung aber ist Verdichtung und damit per se Behauptung jenseits eindeutig fassbarer Botschaften – was ihr noch keinen Freibrief ausstellt, mit Botschaften willkürlich zu verfahren. Insofern hat mein Stück nicht nur eine konkrete Person im Auge bzw. nur diese eine, sondern zielt auf ein Phänomen ab, das im fiktiven Korpus einer Figur gebündelt ist, um sich aus diesem heraus zu entfalten. Wenn ich schreibe, zeichne ich, und wenn ich zeichne, projiziere ich mein Inneres auf das Papier. Und so begegnen einander zwei Kräfte bis hin zur Verschmelzung: die fiktive Wirklichkeit einer Figur und die innere Wahrheit ihres Schöpfers. Die Figur wird Teil von mir, ich werde Teil der Figur. Das alleine ist schmerzhaft genug, in dieser Empathie liegt aber auch die Kraft, eine Figur durchzuhalten, mag sie in ihrem persönlichen, ideologischen und moralischen Aspekten auch noch so weit von mir entfernt sein, ja mich im Eigentlichen sogar abstoßen. Ich bin draufgekommen, dass ich in vielen meiner Werken nach dieser Verschmelzung suche, vielleicht bin ich in gewisser Weise sogar süchtig danach, in die fiktive Haut der Täter zu schlüpfen, um mich der Schuld zu stellen. Ja vielleicht bin ich sogar süchtig nach Schuld, vielleicht auch nur nach dem Schrecken der Katharsis. Um gereinigt zu sein? Gar gewappnet? Ich weiß es nicht. Instinktiv aber meine ich in der Schuld jene Kraft zu erkennen, in der das abgründige Wissen des Menschen verankert ist und die für mich aus genau diesem Grund die Basis alles Erkennens darstellt. Dabei fühle ich mich Shakespeare näher als der Erbsünde. Bei der Recherche einer öffentlichen Person, die sich dem eigenen schuldhaften Verhalten aus egal welchen Gründen nicht stellte oder stellen konnte, hatte ich mich hauptsächlich dreier Quellen bedient: der Tagespresse (die in der Folge immer weniger wichtig wurde), des Buches von Hubertus Czernin „Das Buch Groer – Eine Kirchenchronik“ und schließlich des Buches „Maria im Geheimnis Jesu Christi“ von Hans Hermann Groer. Und sehen Sie, es waren die authentischen Worte des Autors selbst, die die entscheidende Wirkung auf mich hatten – durchaus im Negativen, wie ich noch erklären werde. Darüber hinaus befasse ich mich seit Jahrzehnten mit sog. feministischer Literatur, das heißt ich widme mich Arbeiten aus der Matriarchatsforschung, interessiere mich intensiv für die weibliche Sicht von Welt und Spiritualität und die Auseinandersetzung mit der christlichen Religion im Allgemeinen sowie dem patriarchalen Kirchenkonstrukt im Besonderen durch weibliche und männliche Autoren. Die nachhaltigste Wirkung auf mich hatten da gewiss die Bücher „Die Göttin und ihr Heros“ von Heide Göttner-Abendroth und „Das Schwarzmond-Tabu“ von Jutta Voss, ich möchte aber auch Friedrich Heer, Robert Ranke-Graves, Georges Bataille und Georges Devereux unter vielen anderen AutorInnen nennen. Zuletzt muss ich auch noch mein Interesse für den Marienglauben, wie er in Mexiko gelebt wird, erwähnen. Seit rund zwanzig Jahren arbeite ich an einem Roman, in dem dieser Glaube eine entscheidende Rolle in der persönlichen Entwicklung meines Helden spielt (der, wie ich, den Glauben früh verloren hat; zwar möchte er, wie Chateaubriand, zu ihm zurückfinden, noch aber ist sein Zweifel stärker). Regelmäßig besuche ich den zentralmexikanischen Marienwallfahrtsort Patzcuaro, um mich innerlich einem Glaubensphänomen zu nähern, das in vielerlei Hinsicht archaisch, in christlicher Diktion wahrscheinlich sogar heidnisch zu nennen wäre. Eben hier komme ich auf das Buch von Groer über den Marienglauben zurück. Bei der Lektüre hatte sich mir der Eindruck zunehmend verstärkt, dass es dem Autor nicht so sehr um die Verehrung der Mutter Gottes gegangen ist, sondern um eine ideologische Eindämmung ihrer Macht. Ich weiß, dass das folgende Zitat aus dem Zusammenhang gerissen ist, aber ich will es dennoch als Beispiel anführen: „Man könnte ein bisschen poetisch auch sagen: Gott hatte Maria schon im Anfang ihres Daseins auf Sein Ufer geholt, als Sein fehlerloses Geschöpf ´angenommen´. Allerdings: Als solches ist Maria aus sich selbst noch mehr ein ´Nichts´; weil Gott ihr mehr als sonst einem Menschen geschenkt hat, ist sie mehr Geschöpf als die anderen Menschen. Und ist doch, mit würdevollster Freiheit begabt, ganz ´groß´: ganz schön und rein und voll Seiner uneingeschränkten Huld, Seiner Liebe und Zuwendung.“ (Groer, Seite 30; teilweise auch zitiert in meinem Stück.) Für ihn ist Maria nichts anderes als das Gefäß, der Uterus. Mit dem er sich schließlich auf eine Stufe stellt in ihrer beider absoluten Dienerschaft: Denn auch er ist das Gefäß, der patriarchale Uterus, die Kirche, aus dem er Hunderte von Kindern und Erwachsenen zu Gott hin sozusagen: geboren hat. Die Entmachtung Marias als reines Geschöpf Gottes gewährt die bedenkenlose Selbsterhebung in ihren Rang, ja sogar darüber, denn sie ist ja „mehr Geschöpf als die anderen Menschen“. Abgesehen davon, dass es seltsam befremdend anmutet, dass ein selbstberufener kirchlicher Marien-Ideologe Ende des zwanzigsten Jahrhunderts solche verkorksten Zurechtrückungen und Hierarchiespielchen anstellt, scheint mir darin auch eine besondere Hybris, ja ein christlich-mythologischer Autismus zu stecken, der natürliche Grenzen nicht mehr zu akzeptieren braucht (damit ist auch der sexuelle Übergriff gemeint), weil er sich längst in anderen Sphären der Wahrheit, der hybriden Selbsterhebung befindet. Dort aber ist er sehr wohl derjenige, der sich zu seinem Werk, der Kirche, und zu sich selbst als der Mutter Gottes gratulieren darf – nämlich durchaus im Konnex mit seinem eigenen Drama, das in einem kapitalen Missverständnis von Macht und göttlicher Legitimation besteht. Ich will noch darauf hinweisen, dass ich das ursprünglich im Text stehende Schlusswort „Wie ich bin, bin ich nur aus mir. Ich danke mir. Der wahren Mutter Gottes“ in der Inszenierung geändert habe auf: „Wie ich bin, bin ich aus mir. Ich danke mir. Der Mutter Gottes.“ Das ändert die Grundbedeutung zwar nicht, macht aber doch einen kleinen Unterschied aus, der mir wichtig war. Ihr Peter Wagner


Textauszug

Bühnenmonolog von Peter Wagner

Das ganze Leben lang, immer hatte ich Probleme mit viel zu engen Schuhen. Der Herr Vater war geradezu erpicht darauf, mir meine Füße immer in viel zu enge Schuhe zu stecken. Du sollst nicht auf zu großem Fuße wandeln, pflegte er zu sagen, das ist eitel. Der Herr Vater. Diese Impotenz vor dem Herrn. Er hat mich seine Impotenz über die Schuhe spüren lassen! Die Frau Mutter hatte recht, ihn zu verachten. Abgrundtief. Tödlich. Die Frau Mutter war tödlich. Absolut. Der Herr Vater zum Tode verurteilt. Zu Recht, vollkommen zu Recht.

(Erschrickt. Verfällt.)

Was für eine Existenz. Das ganze Leben lang. Schwach. ...

(Verharrt im Schrecken.
Entreißt sich dem Schrecken.
Zärtlich.)

Emmanuel, mein Scheisserchen? Du spielst wieder mit dem Computer, nicht wahr? Du spielst ganz gewiss wieder mit dem Computer. Verheimlichen hat keinen Sinn, ich sehe es ja doch! Ich sehe alles! Komm her zu mir, deinem Bruder, deinem Vater. Ich behüte dich. Empfange mein Liebe. Meine Gnade. Auf dass du wachsen mögest und stark wirst. Im Gesetz, das ich dir gebe. Anvertraue. In dem du wachsen wirst.

(Plötzlich böse, aber vielleicht auch nur gespielt.)

Weg vom Bildschirm, Schluss mit dem Spiel, habe ich gesagt! Du hörst nicht? Na warte! Ich werde dich bestrafen müssen! Ich werd dir meine Schuhe überstülpen lassen müssen! Damit du siehst, wie das ist mit viel zu engen Schuhen! Und ich erwarte dich zur Beichte, jetzt und hier!

(Mit selbst verordneter Gelassenheit, die sich allerdings bald umkehrt.)

Herr, vergib mir meine närrische kleine Eifersucht. Was ist schon dabei. „Die ganze Welt spielt mit dem Computer.“ Seine Worte, die Worte meines Scheisserchens. Wohin man sieht, überall Computer. Auch Sodani und der Heilige Vater setzen auf Computer. Der Computer wird die Frohbotschaft noch in den verstecktesten Winkel der Welt hinein tragen. Ich bin zu alt dafür. Mit bleibt nur noch das Gackern der Hühner.