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Nebochantnezar oder Die Magie des Presslufthammers

Zu Peter Wagners Stück „Nebochantnezar“.
Notizen eines Besuchers nach der Premiere.

Siegmund Kleinl

Als von weit angereister Besucher der Premiere von Peter Wagners neuem Stück „Nebochantnezar“ im Ensemble-Theater Klagenfurt gefragt, wie es mir gefallen habe, antworte ich: Gefesselt hat es mich nicht. -  Im Gegenteil: entfesselt.

Die entfesselte Sprache, die alle auftretenden Personen – Wurm, Gott, Beelzebub, Melancholie – überspült (überspielt), die erkennbaren Umrisse von Charakteren, wohl eher Typen, entgrenzt und so die Verwandlungen der Figuren ermöglicht, befreit auch den Schauenden von den Zwängen einer stets zur Schau zu tragenden Identität. Für kurze Zeit, so lange das Theater dauert.

Verwandlung? Das Wort passt wohl nicht ganz, denn der junge Wurm wird zwar zu Nebochantnezar und der Teufel zu einem Professor, der an dem armen Wurm Experimente durchführt, die aus ihm den künstlichen Menschen schaffen sollen, auch die Allegorie der Melancholie wechselt von A zu B, selbst der unveränderliche Gott wird vom Allgenügenden zum bloß Genügenden, aber letztlich scheinen alle dem Zustand ständigen Wechsels verhaftet zu bleiben wie in einem sozialen Netzwerk.

Dennoch wirkt dieses Sprachtheater befreiend, lässt man sich mit offenen Augen und Ohren darauf ein. Es handelt, wie die alten Mysterien-Theater, von den mysteriösen Vorgängen im Leben, so von einem toten Wurm-Menschen, der zum Leben erwacht.
Assoziationen zu Finnegans Wake, wo der verstorbene Alkoholiker Finn durch das Riechen von Whisky wieder zum Leben erwacht, oder an Dürrenmatts Komödie  „Der Meteor“, in der ein Nobelpreisträger immer wieder vom Tod aufersteht, werden da im Besucher geweckt.

Das Stück ist voll von solchen Anspielungen, greift viele Motive aus dem kulturhistorischen Fundus auf und schafft damit eine kaum auf einmal zu verarbeitende Vielschichtigkeit, die ein mehrmaliges Sehen nach und nach ins Bewusstsein bringen könnte.

Dieser Wurm ist Mächten, die auf ihn einwirken, ausgesetzt, ein Nebochant, ein Nichts, der, wie viele heute, ohne eigenes Zutun Karriere macht, ein geistig beschränkter Machthaber ohne substantielle Macht, ein Trumpl (Assoziation). Ein fatal vitales Stück. Fatal, weil das Substanzlose das volle Leben zu verkörpern scheint.

Komik entsteht dort, wo zwischen dem, was die Personen reden, und dem, was sie verkörpern, sich eine Kluft auftut. Das gilt für alle Figuren, besonders aber für Gott, den Allgenügsamen, der eigentlich zum Nichtgenügsamen herunterkommt, zumal er einfachsten Ansprüchen des täglichen Lebens nicht mehr genügt.

Auflachen, als der Schöpfer der Welt, der erneut das Feuer des Geistes entfachen will, am Entzünden eines Feuerzeugs scheitert, während die Wissenschaft nah an der Herstellung des künstlichen Menschen dran ist.
Hier feiert der totgesagte Gott ein Comeback, das ihn unter die Menschen bringt, während ein höchst bescheidener Wurm durch technische Manipulation zum vegetierenden Übermenschen aufsteigt.

Alle dramaturgisch wirksamen Register werden gezogen wie auf einer Orgel. Das Stück ist nicht aus dem Geist der Musik entstanden, vielleicht weil es keine Tragödie ist trotz aller Fatalität, es sei denn die Fiktion wäre die Wirklichkeit. Also doch eine Tragödie? Die Musik fehlt nicht, wird live gespielt, ist aus dem Geist der Sprache komponiert.

Zitate, vor allem aus den Propheten des Alten Testamentes, Zeitgenossen des Babylonischen Königs Nebukadnezzar, konterkarieren mit ihrer sozialen Botschaft einen Zustand der Gesellschaft, in dem der Mensch und das Humane – wenn überhaupt - nur noch virtuelle Realität sind, also Fiktion. Schaudern macht einen das Stück trotz seines beißenden Humors deshalb, weil es ahnen lässt, dass die Fiktion unsere Wirklichkeit ist.

Die Schauspieler spielen, was das Sprachzeug hält, auf Teufel komm raus, und das tut er auch. Der Teufel kommt raus, indem er immer mehr ins Spiel hineinfindet, das er beherrscht, bis er sich, wie wir alle, aus dem Stück nicht mehr heraussieht.

Ein Glück, dass man aus dem Stück herausgehen kann, weil es nicht fesselt, sondern entfesselt.
Freimacht von den Fesseln vorgegebener Denkmuster, die von der Sprache und Dramaturgie des Stückes demontiert werden.