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Tagebücher sind die Textform der Stunde. Einer, der seit 23 Tagen seine Website mit künstlerischen Video-Einträgen versorgt, ist Theater- und Hörspielautor sowie Filmemacher Peter Wagner. Der Mitbegründer des Offenen Kulturhauses Oberwart (OHO) gibt gemeinsam mit Musiker Rainer Paul Zeichen "Aus der Einzelhaft". Es sind mehrminütige, von Stimmen aus den Nachrichten umspielte und sonst angenehm textlos reflektierte Szenen eines zwangsläufig isoliert lebenden Menschen: von einer Videotelefon-Lesung (Katharina Tiwald) bis zum selbst exerzierten "Palmsonntagsfreigang", immer mit fabelhafter Musik. Einmal entwickelt sie sich aufgeweckt aus dem Sound des tropfenden Duschkopfs. (afze)
derStandard.at, 8. April 2020

„Corona-Tagebücher“ gibt es online momentan wirklich nicht zu knapp. Aber dieses hier sollte man nicht versäumen: Der burgenländische Autor und Regisseur Peter Wagner streamt Videos „Aus der Einzelhaft“ – und er weiß, was er tut. Bildkomposition, Musik, Töne, Bilder aus seinem Alltag und Schnipseln aus Pressekonferenzen der Regierung ergeben eine eindrucksvolle Collage, ein Dokument, dass das Zeug hat, zu bleiben.
orf.at, 15. April 2020


AUS DER EINZELHAFT

Virtuelles Tagebuch einer Krise, 16.3.-14.4.2020

Tag 1, Eintrag 1

16. März 2020
Die massiven Bewegungseinschränkungen aufgrund der weltweiten Corona-Pandemie haben begonnen. Man ist von nun an mehr oder weniger zum Verweilen im eigenen Haus gezwungen.

 

Tag 2, Eintrag 2

17. März 2020
Zum Computer hin, Interview mit dem Tiroler Gesundheitslandesrat. Fensterblick: das Draußen als ein erstes Stück Fremdheit.

Tag 3, Eintrag 3

18. März 2020
Händewaschen non stop ...
Es staut an der ungarischen Grenze. In die andere Richtung, sagt der Bürgermeister von Nickelsdorf ...

Tag 4, Eintrag 4

19. März 2020
Katze ERIKA macht den Opener, die Namen der Hendln in Nachbars Garten kennt man nicht. 

Tag 5, Eintrag 5

20. März 2020
Erstmals (Selbst)Verletzung durch Bücher. Rainer Paul liefert den Swing dazu.

Tag 6, Eintrag 6

21. März 2020
"Ist ein düsterer Anfang, und dann wird es zu einem Rock, HardRock oder Metal Song", schreibt Rainer in einer SMS. Vorgeschmack auf meinen Film: "Inspektion im Vis-à-vis - Ein Dialog mit der Hölle". Ölbild: Henryk Mossler. Statement in Kamera: Nadine Zeintl.

Tag 7, Eintrag 7

22. März 2020
... mit dabei die großartige Bella Ban, bildende Künstlerin und Performerin aus Klagenfurt. Unter Verwendung einer Passage aus einem Film, der möglicherweise ebenfalls gerade im Entstehen ist.

Tag 8, Eintrag 8

23. März 2020
... mit Unterstützung einiger Herrschaften, die die Welt in Händen tragen ...

Tag 9, Eintrag 9

 

24. März 2020
Heute vor genau 75 Jahren hat das Massaker an den etwa 200 ungarischen Juden in Rechnitz stattgefunden. Heute vor genau 25 Jahren ist die Premiere meines Stücks "März. Der 24." erfolgt. Der heute Eintrag ins virtuelle Tagebuch "Aus der Einzelhaft" erinnert an beides.

Tag 10, Eintrag 10

 

25. März 2020
Möglicherweise macht sich bereits ein gewisser Hospitalismus breit ... Rainer ist noch standfest. Er schläft auch länger. Und arbeitet schneller.

Tag 11, Eintrag 11

 

26. März 2020
Es geht um die Befindlichkeit einer Idee. "Shining" im Selbstversuch an der elektronischen Schreibmaschine. Der wahre Held ist die Musik!

Tag 12, Eintrag 12

 

27. März 2020
Die Folgen der "ausgegangenen Idee" sind auch hier dramatische. Wenn auch nicht mit einer Hacke verübt, sondern mit dem Messer.

Tag 13, Eintrag 13

 

28. März 2020
Leben in den Zeiten der ausgegangenen Idee / 1
Reminiszenz an die Produktion und die Doppel-LP "Peter Wagner Fledermäuse" aus dem Jahr 1989. Siehe dazu Detailseite >>.

Tag 14, Eintrag 14

 

29. März 2020 
Der 14. Tag, das Ende der zweiten Woche ...
mit einem Rückgriff (Rückbesinnung?) auf das Analoge.

Tag 15, Eintrag 15

 

30. März 2020 
Covid-19-Symptome, Zivilisationssymptome. Der Erde wird notorisch wehgetan - im und am Wasser und überall anderswo. 

 

Tag 16, Eintrag 16

 

31. März 2020
Leben in den Tagen der ausgegangenen Idee / 2
Reminiszenz an den Film "HugoHugo oder Das Auge der Götter" von Peter Wagner. "Die Alten" - Hauptbetroffene in der Corona-Krise - hier in rostigen Baggerschaufeln vegetierend. Entstehungszeitpunkt: 2001.

Tag 17, Eintrag 17

 

1. April 2020
1. April? Zu diesem Datum gab es mal eine Idee. - Die wartende Katze ist Erika, die sich annähernde ihre Zwillingsschwester Frieda. - Immer wieder eine Überraschung: Rainers „Musi“, wie er selbst seine Elaborate nennt.

Tag 18, Eintrag 18

 

2. April 2020
Kampfschnarchen in der Pestgrube – Folge 1
Lesevideo Konstantin Milena Vlasich

Ab heute gibt es in der EINZELHAFT ein neues Format, das der Parole „Kampfschnarchen in der Pestgrube“ nachspürt. Für den in der EINZELHAFT eine Möglichkeit, ein wenig Verhandlung mit der Außenwelt zu betreiben. 

Tag 19, Eintrag 19

 

3. April 2020
Im Suchen nach der ausgegangenen Idee / 1
Monte Alban. Wir schreiben den 19. Tag, das Suchen hat begonnen - im Ambiente einer gewissen Archaik. Man sucht immer irgendwie nach den Ursprüngen und den Rätseln in ihnen. Es sieht allerdings nicht danach aus, dass der Suche ein schneller Erfolg beschieden wäre.

Tag 20, Eintrag 20

 

4. April 2020
Auch so eine Idee, die uns irgendwann auszugehen droht. Laut Platon ist die Idee vollkommen und unveränderlich. Ihre sinnlichen Entsprechungen sind nicht nur der Mangelhaftigkeit unterworfen, sondern könnten partout auch selbst zum Mangel werden.

Tag 21, Eintrag 21

 

5. April 2020
Palmsonntag 2020. Drei Wochen währt die EINZELHAFT, und mit ihr ihre alles andere als sattelfeste Botschaft. Heute ein erster Freigang. Rainer gibt seine Version von Sweet Georgia Brown zum Besten und macht jedenfalls gute Stimmung.

Tag 22, Eintrag 22

 

6. April 2020
Kampfschnarchen in der Pestgrube – Folge 2
Lesevideo Katharina Tiwald

Das Video von Katharina Tiwald vom gestrigen Palmsonntag erreicht uns heute in der EINZELHAFT. Folge 2 der Serie "Kampfschnarchen in der Pestgrube".


Tag 23, Eintrag 23

 

7. April 2020
Im Suchen nach der ausgegangenen Idee / 2

Wer durchhält, auf den wartet im letzten Drittel eine witzige Pointe. Rainer hat, wie immer, die richtige Musik dazu. Es ist, als hätten wir uns detailliert abgesprochen. Aber das haben wir nicht. Dass heute Percussion explizit auch im Bild ist, das konnte er jedenfalls nicht wissen. Er sieht den Spot ja auch erst, sobald er fertig im Netz steht. Jetzt also.


Tag 24, Eintrag 24

 

8. April 2020
Abgesehen davon, dass ich meine Einträge ohnehin nicht großartig erklären möchte, gilt das für den heutigen in besonderem Maß. Er muss sich selbst erzählen. Rainer hat dafür eine seiner schönsten Kompositionen, den "Slow-Blues" reaktiviert.


Tag 25, Eintrag 25

 

9. April 2020
Freigang an der Strem. Es war ein schöner Tag, dieser Gründonnerstag 2020. Anklicken, es fließen lassen und Rainers meditativen Hymnus genießen!


Tag 26, Eintrag 26

 

10. April 2020
Im Suchen nach der ausgegangenen Idee / 3

 

Wir sind in einem Tag gelandet, der in vielen von uns seine Spuren hinterlassen hat. 


Tag 27, Eintrag 27

 

11. April 2020
Kampfschnarchen in der Pestgrube / 3
Lesevideo: Siegmund Kleinl

Mein Freund und literarisches Gewissen Siegmund Kleinl gibt den Osterhasen, aus Schützen am Gebirge virtuell ins Nest der EINZELHAFT geflogen. Radierungen aus seinem letztem Buch "PropheZeit - Dem Wort im Wort" von Wolfgang Horwath. 


Tag 28, Eintrag 28

 

12. April 2020
Ende der vierten Woche in der EINZELHAFT. Macht sich da eine gewisse Rat-, wenn nicht gar Mutlosigkeit breit? Andererseits hält Rainers energetischer Rock auf Trab! Und also: Leute, es fährt! Paradoxerweise im vermeintlichen Stillstand …

(Aber was, verdammt, fährt da wirklich?, ungeachtet der fragwürdigen Conclusio?)


Tag 29, Eintrag 29

 

Der vorletzte Eintrag. Auf der Suche, bis zuletzt. Morgen noch ein letzter Eintrag, dann eine gründliche Überlegung, welcher armen Haut von Geschäftsfrau/mann ich als erster/m die Ehre erweise. Große Lust auf Pistazieneis, aber das wird es wohl noch nicht geben.

 


Tag 30, Eintrag 30

 

14. April 2020
Der letzte Eintrag. Eine einmonatige Reise in eine seltsame Form der Bewegung und Bewegtheit ist hier zu Ende - für Rainer und mich jedenfalls. Sie war energetisch herausfordernd, nach innen durch das Hineinhorchen ins Ich, nach außen durch täglich sechs bis neun Stunden Arbeit an den Spots. Und Rainer hat heute noch einmal sein Bestes abgerufen! Danke allen, die einige ihrer Lebensminuten unserer EINZELHAFT gewidmet haben. Die Einschränkungen rund um die Pandemie sind zwar nicht vorbei, aber es scheint sich ja doch etwas in die Richtung einer gewissen Entschärfung zu tun. Sie möge uns allen einen guten, selbstsicheren und stets kritisch unterfütterten Blick nach vorne ermöglichen!