Skip to main content

Bombenmord jährt sich zum zehnten Mal

Roma gedenken unter dem Titel „Wir leben“

Oberwart (Erba) – Peter Wagner hat alle Hände voll zu tun. Nicht nur, dass der Schriftsteller und Filmemacher die Dramaturgie des Gedenkens an den vierfachen Roma-Mord in Oberwart am 4. Februar übernommen hat. Er ist auch dessen Pressesprecher und hat als solcher die „Anfragen des Wegelagererjournalismus“ zurückzuweisen, der sich an die Tragödien hängt wie Egel an watende Waden.

Genau das aber, sagt Peter Wagner, diese betroffenheitstriefende Schaugeilheit, die das strukturelle Problem einer Volksgruppe nur einen aufgeregten Moment lang in die Aufmerksamkeit zerrt, wollen die Leben eben gerade nicht. Stattdessen möchten die Oberwarter Roma das traurige Jubiläum nutzen, sich einmal in ihrer Breite und Vielfalt zu präsentieren.

Die Veranstaltungsserie unter dem Titel „Amen dschijas – wir leben!“ beginnt am heutigen Samstag und läuft bis inklusive 5. Februar. In der Nacht davor erinnert eine Mahnwache an den Bombentod von Peter Sarközi, Josef Simon, Erwin und Karl Horvath, den Abschluss bildet eine Lesung von vier Roma-Poeten, unter ihnen der Oberwarter Stefan Horvath, der beim Bombenanschlag einen Sohn verloren hat, was ihn bis heute nicht in Ruhe und deshalb schreiben lässt. Mittwoch hat im Offenen Haus Oberwart sein Einakter „Begegnung zwischen einem Engel und einem Zigeuner“ Premiere.

Ausstellungen, Filme, Diskussionen und Konzerte runden die Roma-Wochen zu einem authentischen Einblick in die aktuelle Lebenssituation der burgenländischen Roma. Und irgendwann in diesen Wochen wird wohl auch zur Sprache kommen, warum erst jetzt und auf Anregung des Roma-Vereins daran gedacht wurde, Betroffenen des Mordanschlages von 1995 „psychologische Betreuung“ zur Verfügung zu stellen.

Oder warum das Wirtschaftsministerium die Förderung für das spezifische Arbeitsprogramm „Mri Buti“ trotz einer Sinnhaftigkeitsevaluierung des Wifo gerade jetzt gestrichen hat.

Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, 22./23.1.2005


Eine Bombengeschichte

Die Neugier gehört zur Journalistischen Jobbeschreibung. Und wohl auch jene Portion Zynismus, die es erst ermöglicht, aus einem „Vorfall“ eine „Geschichte“ und aus dieser eine „Story“ zu machen. Zuweilen aber klumpen sich diese beiden Berufsqualitäten – ja: Qualitäten – zu einer Zudringlichkeit, die nicht nur lästig ist, sondern den davon Bedrängten das Gefühl des plötzlich Ausgesetzt-Seins geben. Und vielleicht sogar geben wollen, denn das ist auch eine Art von „Story“.

Peter Wagner, der Schriftsteller, der sich in den dramaturgischen Dienst der Roma-Wochen Oberwart – eine Gedenkveranstaltungs-Serie, die noch bis 5. Feber dauert – gestellt hat, nennt das „Wegelagerer-Journalismus“. Da ist was dran. Auch wenn jeder Journalist auch ohne böse Absicht in die Situation solchen Wegelagerns kommen kann und wohl auch schon gekommen ist, kann man sich aus dieser Verantwortung nicht herausschleichen. Das Gedenken an die vier Bombenopfer von vor zehn Jahren ist Anlass genug zu reflektieren, wieweit der Zweck, eine „Bombengeschichte“ zu kriegen, die Mittel heiligt.

In Oberwart erzählt man sich von der Journaille wahrhaft Erstaunliches: Vom geforderten Zugriffsrecht auf Familienalben bis hin zum Ansinnen, das Attentat nachzustellen. Der von einem Oberwarter Rom formulierte Wunsch, endlich in Ruhe gelassen zu werden, wird sich nicht erfüllen lassen. Zu tief sitzt noch der Schock über Österreichs ersten rassistisch motivierten Mord seit 1945. Was sich aber schon fordern lässt – nicht nur von den Journalisten -, ist ein bisschen Respekt und Aufmerksamkeit. Respekt vor der neu erwachten kulturellen Identität, Aufmerksamkeit für die Selbstpräsentation der Roma als eine Volksgruppe, die das Österreichische an Österreich – Gegenstand des hereinbrechenden „Gedankenjahres“ – mit ausmacht.

Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, 31.1.2005, Kommentar