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Der Kot an den Czizmen

Peter Wagner ist in gewisser – und gewiss spannender – Weise der burgenländischste unter den burgenländischen Autoren.
Wolfgang Weisgram

Peter Wagner ist zweifellos der produktivste Autor des Burgenlandes. Zugleich aber ist er der unübersichtlichste. Er macht zu viel und zu differentes, um ihn so en passent in die Botanisiertrommel des Literaturkritikers legen zu können. Denn da sind ja auch die Filme des Filmemachers, die Lieder des Liedermachers, die Aktionen des Aktionisten und nicht zuletzt die Inszenierungen des Regisseurs und die Programmgestaltungen des Intendanten des Offenen Hauses in Oberwart, das sich zur einzig lebendigen Bühne des Burgenlandes gewagnert hat, aus der heraus nun – und das dürfen wir als ein vorläufig letztes Pflänzchen in die Sammlung nehmen – eine Art Landesbühne wachsen soll.

Dabei hat Wagner aber kaum Schnittlauchhaftes. Es ist nicht so, dass er mit seinem einen Arsch auf hundert Kirtagen zu tanzen gedenkt. Wagners künstlerisches Tun folgt durchaus stringent den Wendungen und Abgründen, den Winkelzügen, den verpassten und den dann doch genommenen Abzweigungen seines Lebens. Peter Wagner probiert. Bei aller Routine, die sich ein älterer Herr eben angeeignet hat im Laufe der Jahre, versagt er sich die Routiniertheit. Kaum etwas wirkt gedrechselt, nichts geläufig. Wenn Wagner schreibt, dann tut er das nicht mit dem abgespreizten kleinen Finger (es sei denn, es unterläuft ihm dann und wann). Das Manierierte ist seines nicht. Die Spuren, die er hinterlässt, stammen von den Czizmen, die er ja tatsächlich immer trägt. Und die, im übertragenen Sinn, immer ein bisserl kotig sind. Kot ist das vom hiesigen Hotter.

Peter Wagner hat – auch das macht ihn zu einer Art Solitär – das Schreibhandwerk sozusagen von der Pike auf gelernt. Jan Rys, der Doyen des deutschsprachigen Hörspiels, hat ihn in eine strenge Schule genommen. Rys, 1931 in Mährisch-Ostrau geboren, hat sich in Unterrabnitz angesiedelt und dort die Internationalen Hörspieltage ins Leben gerufen. Wagner dockte – noch war er Gymnasiast – an. „Mit Rys fand ich jene Auseinandersetzungen und Reibereien, die mir mein Vater nicht geben hat können.“ Der Drang, Geschichten niederzuschreiben, peinigte ihn schon zu Volksschulzeiten. . ys legte er schon etwas Elaborierteres vor. „Vierzig Seiten. Rys stricht neununddreißigeinhalb und meinte: Aus dem Rest könnte man was machen. Eventuell.“

Bei Rys‘ Hörspieltagen präsentierte er, 1974 war das, auch gleich einmal das erste Hörspiel. Der Bote hieß es und war der Monolog eines Unfallzeugen, der sich durch den Kopf gehen lässt, wie er den Menschen, zu denen er gerade unterwegs ist,  die Nachricht überbringen werde, dass bei diesem Unfall ihr Kind ums Leben gekommen ist. Das Hörspiel wurde auf Anhieb produziert und gesendet. Der Rundfunk, auch der burgenländische, sah sich damals ja noch in der Pflicht seiner öffentlichen Rechtlichkeit.

Sozusagen ins G’schäft kam er dann mit dem nächsten Hörspiel, das einen Mann ins Zentrum rückte, der Peter Wagner bis heute begleitet. Purdi Pista sagt, die Cymbal ist tot war ein Türöffner in den großen, lukrativen bundesdeutschen Markt mit seinen potenten Landesstudios. Die Geschichte des aus Auschwitz zurückgekehrten Oberwarter Rom mit seinem markanten magyarischen Akzent wurde in Österreich, Deutschland und Slowenien produziert. Vor allem im Saarländischen Rundfunk fand Wagner ab da offene Ohren.

Keine zwanzig war er. Und vor ihm lag ein ebenes, übersichtliches Wegstück hinein in ein erfolgreiches Schriftstellerleben. Ein auch materiell erfolgreiches. Hörspiele wurden ja ganz gut bezahlt damals. Und über die Hörspiele konnte man sich zudem einen guten Ruf auf den deutschsprachigen Bühnen machen. Die Mühle wurde 1989 auf der Studiobühne des Schauspielhauses in Kiel uraufgeführt. In der FAZ hatte das Stück eine ehrenvolle Rezension. „Mein Verlag, der Wiener Thomas-Sessler-Verlag, sah mich damals schon fast als seinen neuen Shooting-Star.“

Heute meint Peter Wagner, ihm sei – neben vielem anderen – auch der Grazer Werner Schwab verlagsintern in die Quere gekommen, der mit seiner eindringlichen, technisch an den Rosenkranzandachten geschulten Sprechkaskaden die deutschen Bühnen niedergeredet hat, bevor er 1994, viel zu früh, dem dahinterstehenden Leben zum Opfer gefallen ist. Aber das ist wohl nur ein Aspekt, dass Wagner da zusammengezuckt ist angesichts des steirischen Sprachfurors. Ein anderer war der Floh, den ein deutscher Autorenkollege ihm ins Ohr gesetzt hat: dass nämlich, um wirklich Literatur machen zu können, man das Leben zu kennen habe.

Und so flüchtete Wagner immer wieder die Schreibstube. Das Angebot, als Dramaturg und Hausschreiber in Frankfurt zu arbeiten, schien ihm vorm Hintergrund der Rys’schen Mahnung wenig attraktiv. Statt dessen fuhr er hinaus auf den Acker. Denn in Wahrheit waren es wohl die Czizmen an seinen Füßen, die es verhindert haben, dass aus Peter Wagner eine international tanzende Kulturfigur werden konnte. Dass diese Stiefel schwer waren vom pannonischen Kot, war eben nicht der Wagner’sche Kunstgriff. Sondern die Wagner’sche Tatsächlichkeit. Das Burgenland mit all seinen funkelnden Furunkeln hat ihn nie losgelassen. Den jungen Burschen nicht. Und den alten Mann erst recht nicht, der jetzt, am Sechziger, sein Lebensland erst so richtig an der Gurgel erwischt zu haben scheint. (So wie einst Elias Canetti seine Lebenszeit mit dem Werk „Masse und Macht“.) Könnte man Peter Wagner umdrehen, ließe sich erkennen, dass ihm aus den Sohlen der Czizmen weiße Nährwurzeln wachsen: so sehr steht er in diesem Landstrich.

„Mein Heimatvolk, mein Heimatland – dem Arsch der Welt verbunden“, so sang er sich einst, 1981, in seine erste öffentliche Aufregung hinein mit der Neufassung der burgenländischen Landeshymne. 2009 erschien sein diesbezügliches Opus magnus, „die ultimativ märchenhafte, märchenhaft ultimative Geschichtsschreibung eines weithin unerforschten Menschenvolkes“, in dem er den „Burgenbürger“ mit seinem doppelgesichtigen Schwellencharakter zeichnet, den „Homo Suellensis Pannoniae“, der dem, was sich so herumtut zwischen Kalch und Kittsee schon erschreckend nahe kommt.

Ohne Burgenland lässt sich Peter Wagner nicht verstehen. Das könnte man grosso modo zwar so sagen, aber die ganze Wahrheit wäre es nicht. Die nämlich läge auch im Komplementären: Das Burgenland lässt sich auch längst schon nicht mehr verstehen ohne den Peter Wagner. Nicht nur, dass er einem Verstehhilfen an die Hand gibt. Er hat das Land – und aus diesem Grund ist er keineswegs bloß ein Schreiber – zu einem guten Teil mitgeformt. Am meisten wohl dadurch, dass er, der zeitweiligen Schroffheit des Auftretens wie hohnsprechend, stets eine wohl abgewogene Gruppe um sich zu scharen weiß, mit der er ein ums andere Mal Breschen bricht in die pannonische Borniertheit.

Das Rechnitzer Massaker, das Oberschützer Anschlussdenkmal, die Theaterlandschaft des Südens im Allgemeinen, die Volksgruppen im Besonderen, und immer wieder und wieder und wieder die Roma und darin die Figur des Purdi Pista, der seinem jungen, noch ungeformten Schreibwillen den entscheidenden Drall gegeben hat.

Ein Spin ist das, den Peter Wagner – daraus schöpft er offenbar den Willen, das alles zu tun – gerne dem Land mitgeben möchte. Und nicht wenige fürchten, dass ihm das bereits gelungen ist.

Der Artikel ist erschienen in:
Beatrice Simonsesn (Hg.): Grenzräume. Eine literarische Spurensuche im Burgenland. edition lex liszt 12, Oberwart 2015