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Weniger die Gewissheit als der Zweifel

Deutsch Kaltenbrunn 131 ist ein Vierkanthof, ist Theater am Ort, ist Kanada (zu hochdeutsch: „Keiner da“) und die Mongolei, wenn Peter Wagner sich seinen Einsamkeiten, seiner Suche, seinem Schreiben aussetzt. Sich zurückzieht an den Rand der Welt, eine Reise tut, die er gar nicht unternimmt. Ungestört.

Deutsch Kaltenbrunn 131 ist ein Vierkanthof. Großzügig. Lebensgefährtin Brigitte ist Lehrerin, studiert, arbeitete gerade an einer Ausstellung, Sohn Max (unter anderem begeisterter Tormann der Deutsch Kaltenbrunner Fußballhoffnungen), ein Hund, bisweilen viele kleine Katzen. Eine Riesenküche mit ebensolchem Tisch. Oft Gäste und Freunde. Ungefähr: „Zehn waren geladen, 15 sind gekommen, gieß’ Wasser in die Suppe und heiß’ alle willkommen“, heißt es mit bestickter Schrift an der Wand. Über den Hof die Bibliothek, mit oberem Teil (Bücher) und unterem (Ringordner). Ein großer Raum für Probenarbeiten, Veranstaltungen, Feste und auch für Einsamkeit vorzüglich geeignet. Eine Hängematte. Eine große Doppeltür, auch ein Wagnersches Meisterwerk, er liebt Holzarbeiten und auch Häuslbauen. „Diese Tür ist auch eines meiner Stücke.“

Wir machen Fotos: an der Tür, in der Tür, mit der Tür, durch die Tür. „Diese Tür zeigt mich, so bin ich im Moment“, sagt Wagner. Der Blick hinaus, weit, über sanfte südburgenländisch-steirische, doch schon hohe Hügel. „Ich kann sie schließen, und sie macht mich ebenso öffentlich. Auslage und Verschlossenheit. Beim Schreiben kann ich keinen Menschen vertragen, beim Theater arbeite ich mit vielen zusammen. Ein Stück wird körperlich, die Rollen darin werden es, was vorher die Folge eines Traumes, ein Traum selbst war, manifestiert sich. Diese Diskrepanz ist beinahe unerträglich. Zwei völlig verschiedene Energieformen, Kreativitäten, Geburtsakte. Ich schreibe gerade an meinem ersten Roman, brauche die Einsamkeit. »Die Mühle« wird gespielt, »Lafnitz« hat Premiere, ich verhandle mit meiner Verlegerin über mein letztes Stück, sie spricht davon in den höchsten Tönen. Wie verkaufen wir es am besten?“ Stückeschreiben, Theater, Inszenierungen sind Wagners vielleicht kämpferische Linie der Ausdrucksform. „Schreiben heißt, das Leben zeichnen, inszenieren begreift es.“

»Ein Mann in der Vitrine. Aufzeichnungen eines Ungeborenen« heißt das Prosawerk und verwendet geschlossenes Erzählen, subtileres Hinterfragen, ist widersprüchlicher. „Weniger die Gewissheit als der Zweifel. Weniger das deklarierte Wissen, die Behauptung als das Unwissen und die Frage.“

Bei den Stücken von Peter Wagner kommen die Facetten seiner Persönlichkeit als Rollen und Figuren viel direkter. „Wenn ich einmal so reif bin, werde ich Könige, große Repräsentanten, Tyrannen, Despoten beschreiben, deren Grundzüge ich bei mir selbst finden muss, sonst geht das nie den Weg in die Sprache.“ Und hier stoßen wir auf einen jener Widersprüche, die unbedingt in einer Seele Platz haben müssen, „sonst werden wir das eigentliche Menschsein niemals verstehen können. Wir können und dürfen z.B. die Gewalt nicht leugnen, noch weniger unterdrücken. Selbst auf die Gefahr hin, missverstanden und fehlinterpretiert zu werden. Der Geburtsvorgang ist Gewalt, Sexualität ist Gewalt, Aggression ist eine Überlebensformel. Wir müssen die Gewalt suche, dürfen sie aber keineswegs glorifizieren und systematisieren. Die Tiere können das, Auseinandersetzungen werden gesucht, sind nötig, aber getötet wird nicht. Wir Menschen haben in unserer Geschichte diesen Punkt unzählige Male überschritten. Haben dem Töten System gegeben, haben unseren Geist, alles, was Aufklärung heißt, in den Dienst der Zerstörung gestellt, mit den Mitteln der Psychologie perfekt gemacht, unsere Ratio missbraucht. Sie führt  nicht zur Humanität, sondern bringt uns die eigentliche Katastrophe. Der wohlmeinende Geist ist dem zweckdienlichen Geist unterlegen. Ich kämpfe mit den unpotenten Mitteln der Kunst dagegen an. Denn Kunst muss uns immer etwas zeigen, das wir sonst nicht zu Gesicht bekommen. Gelingt das nicht, werden wir ärmer, wird man Steppe. Eine Entwicklung, der die Kunst der Gegenwart verdammt nah auf den Fersen ist. Eine unselige Mischung, ein korrumpiertes Produkt von Intuition und Zweck(mäßigkeit), eine gefährliche Nähe zum Design. Mit vielen Ansprüchen von Aktualität, die den tieferen Blick in die Existenz versperren, sich dem Alltag und seiner Schnelllebigkeit  ausliefern. Ich sehe diese Art von Kunstverständnis und –machen auf uns zukommen, in einer viel umfangreicheren Form als das ohnehin schon der Fall ist.“

Es gibt in Deutsch Kaltenbrunn auch einen gediegenen, handgemachten Weinkeller mit ebensolchen Weinen. „Einen Weinkeller kann man nicht demokratisch führen.“

Deutsch Kaltenbrunn 131 ist ein Ort des „sich Bescheidens, auch wenn dieser Begriff aus dem Alltag mit allerlei zweifelhaften Etiketten behaftet ist, ist er ein Ausdruck meiner Vision.“

Dahinter steht der Respekt vor dem Lebenden, dahinter steht der Mut, die Schöpfung, die Welt zu achten. Die Welt in ihrer ganzen Pracht und Zerstörung. Ein Mut, der auch Demut genannt wird.

Premiere von »Lafnitz« im KUZ-Oberschützen, 22. September. Im Vorfeld Ankündigung, Medien, Berichterstattung etc. ging Peter Wagner in die Lafnitz – baden – und führte für den ORF ein Interview in der Badehose.

Frage: War das nötig?

Vermutlich! Denn das Pflänzlein Eigenproduktionen in den Burgenländischen Kulturzentren ist verletzlich und zart und sollte wachsen. Die Promotion dazu geht den Weg des „meisten und spektakulärsten Widerstandes“ – sprich Publicity. Peter Wagner ist jener einheimische Autor, der, wenn es überhaupt jemand zustande bringt, zum Gelingen dieser Eigenproduktions-Reihe maßgebliche Anteile liefern kann und muss. Die Premiere von »Lafnitz« kann das nur bestätigen.

Zudem ist Wagner jener Typ des Kunstschaffenden in diesem Land, der jeder Form der Vereinigung den Kampf, das kritische Hinterfragen den Kampf ansagt, ihr die verloren entgehende Tiefe einhaucht und den nächsten notwenigen Schritt tut.

„Wir müssen wieder über unsere Arbeit reden, das ist das letzte Mal bei der Kulturoffensive eines Gerald Mader der Fall gewesen. Wir dürfen und müssen nicht die Organisation organisieren, obwohl in Sachen Kulturpolitik viele Fragen offen sind und auch attackiert werden müssen. Wir brauchen keine Krankenkasse der Kunst. Das führt zu einer echten Verlegenheit. Und wie oft läuft man von der eigenen Arbeit davon, weil man glaubt, kulturpolitisch wichtige Aussagen auf Lager zu haben.“

Peter Wagner, der „Little Big Man“ der burgenländischen Kulturlandschaft, der „Hüne im Geschlecht Wagners“, ist einmal mehr im Aufbruch, ist bereit, seine Errungenschaften auf geistiger, philosophischer (man/frau beachte diesen Unterschied) und (kultur)politischer Ebene zu verlassen. Nicht mit bitterem Abschied, sondern mit dem Versprechen, noch besser wiederzukommen.

Thomas Vlassits, GESCHRIEBENSTEIN, 1994