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Die Weiße Frau
Fast ein Musical

Stück von Peter Wagner / Musik: Arthur Fandl
In den Hauptrollen: Weiße Frau: Eveline Rabold; Boris: Jan Sokol; Graf Stefan: Klaus Stöger; Die vier Zofen: Gabi Leonhard, Eva Stimpfl; Susanne Ernst, Nicole Mühl; Närrin: Michaela Ifkovics; Wacholder: Florian Resetarits; sowie rund 40 weitere Mitwirkende aus dem Raum Güssing;
Bühne: Günter Temmel; Licht: Alfred Masal; Kostüme: Henryk Rys Mossler; Ton: Gerhard Junker; Regieassistenz: Ines Lackner; Musikeinstudierung: Arthur Fandl
Regie: Peter Wagner
Alle Rechte für das Gesamtstück bei Autor und Komponisten.

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Inszenierung >>

Inhalt

Sodann „Fast ein Musical“, ausgeborgt von der Sage: Die Weiße Frau
Schräge Vögel gesellen sich zum Lied des Blinden Sehers. Es sind Götter, die sich in Krähen verwandelt haben und offensichtlich etwas vorhaben.
Gräfin Katharina und ihre Zofen suchen beim Blinden Seher Rat. Katharina empfindet angesichts der Tatsache, dass ihr Mann, Graf Stefan, in den Krieg ziehen will, Unsicherheit um ihr eigenes Schicksal. Den Rat des Sehers, sich ins Leben zu stürzen, quittiert sie beinahe erbost. Den Zofen allerdings gefällt die Aussicht, dass Graf Stefan nun für einige Zeit abwesend sein würde. Sie spekulieren schon die längste Zeit damit, Katharina in ein amouröses Abenteuer außerhalb ihrer unglücklichen Ehe zu treiben.
Der Närrin behagt der bevorstehende Kriegszug überhaupt nicht. Sie ist ihrerseits verliebt in Katharina und würde lieber bei ihr bleiben, als mit Graf Stefan, dessen Maitresse sie ist, in den Krieg zu ziehen.
Stefan treibt die Aussicht auf das baldige Gemetzel in kriegslüsterne Rage. Während er vor der Frage seiner Frau, wie es um ihrer beider Liebe zueinander bestellt sei, davonläuft, lässt er Katharina auf seinem zynisch inszenierten Abschiedsfest mit nackten Füßen über die Klingen von vier Säbeln tanzen.
Auf diesem Fest bietet sich der eben erst am Hof eingetroffene Boris dem Graf als Begleiter in den Feldzug an. Boris hat sich zuvor schon als unbezwingbares Kind der Götter vorgestellt, dem von seinen Ziehvätern, den Zwergen, ein magischer silberner Stab geschenkt worden war. Mit diesem ist er in der Lage, die Welt zu verzaubern. Allerdings ist dieses göttliche Geschenk mit der Auflage verbunden, dass er es niemals aus der Hand geben darf.
Boris’ kleiner Bruder, der spastisch behinderte Wacholder, hat bereits einen vergeblichen Versuch unternommen, Boris von seinem Plan abzuhalten, an der Seite Stefans in den Krieg zu gehen. Doch Stefan nimmt das Angebot Boris’ ohnehin nicht an. Er macht diesen für die Dauer seiner Abwesenheit zu seinem Stellvertreter am Hof und erteilt ihm den Auftrag, seine Frau Katharina einmal täglich über die Klingen der Säbel tanzen zu lassen.
Katharinas Zofen entwickeln einen Plan, wie ihre Herrin mit Boris, der mittlerweile die ganze Stadt verzaubert hat, zusammenzubringen wäre. Es gelingt ihnen mit vier Spiegeln, Boris in sich selbst verliebt zu machen und ab nun nur noch nach der höchsten Frau am Hof zu verlangen.
Katharina jedoch bleibt, obwohl auch sie in Boris verliebt ist, diesem gegenüber reserviert. Da sie Boris’ göttliche Selbstverliebtheit erkennt, lehnt sie sein immer heftiger werdendes Drängen ab.
Das lässt die Zofen ihren nächsten Plan entwerfen. Sie verführen Boris, seinen magischen silbernen Stab aus der Hand zu geben. Während sie auf diesem spielen, wird Boris nun seinerseits das Opfer der Magie dieses Stabes: er verliebt sich in die vier Zofen. Ab sofort hat er kein Auge mehr für Katharina. Diese jedoch gibt zu erkennen, dass die Zofen und sie in Wahrheit ein und dieselbe Person seien, und dass auch sie, Katharina, das Liebesspiel der kommenden Nacht über die potenzierte sinnliche Seite ihrer selbst, die vier Zofen, mitvollziehen würde.
Mit großer Häme kommentieren die als Krähen verkleideten Götter die Tatsache, dass Boris durch den Verrat an seinem Auftrag, den magischen silbernen Stab niemals aus der Hand zu geben, seine Göttlichkeit verloren hat und zum Menschen mit all seinen Schwächen geworden ist.
Auch die Kiebitze der Stadt registrieren in voyeuristischer Eifersucht das neuerdings rege Sexualleben in der höchsten Etage des Hofes.
Während Boris und Katharina einen Blick in die Karten der Schwarzen Frau tun – diese ist ebenfalls ein mythischer Teil Katharinas –, statten die Zwerge Boris einen Besuch ab. Boris muss zugeben, dass er seinen magischen silbernen Stab verloren hat. Daraufhin wird er von den Zwergen mit einem schweren Fluch belegt, der ihn in Scham- und Nacktheitsgefühle treibt.
Katharina jedoch bedeutet ihm, dass ihre Hingabe und ihre Liebe zu ihm nur durch seine Menschwerdung möglich geworden seien.
Der aus dem Krieg zurückkehrende Graf Stefan wird am Tor der Stadt von einer Abordnung der „Moralischen Bürgerwehr“ empfangen und über die angeblich unsittlichen Verhältnisse an seinem eigenen Hof unterrichtet. Man appelliert an ihn als Hüter der Ordnung, reinen Tisch mit den neuerdings praktizierten Frivolitäten zu machen.
Seine Rache fällt denn auch äußerst brutal aus. Er exekutiert seinen Nebenbuhler Boris, lässt den sinnlichen Aspekt Katharinas in der Gestalt der vier Zofen köpfen und Katharina selbst bei lebendem Körper einmauern. Danach jedoch wird er selbst Opfer seines grausamen Tuns: Sowohl die Erscheinung von weißen Gestalten als auch die Anwesenheit der Schwarzen Frau, jener unausrottbaren Kraft weiblicher Weisheit, treiben ihn selbst in Wahnsinn und Tod.

Zunächst eine Sage:
Die weiße Frau von Bernstein

Um 1700 hauste auf Schloss Bernstein der finstere und herzlose Graf Stefan Batthyány, der weit und breit gefürchtet war. Er gebot über das Land ringsum und plagte seine Untertanen in der grausamsten Weise. Bis in die späte Nacht hinein ließ er sie schwer arbeiten und trieb sie beim Morgengrauen wieder hinaus aufs Feld.
Eines Tages begab er sich auf einen Kriegszug gegen die Türken ins ferne Banater-Land. Da atmeten seine Untertanen auf und wünschten im Stillen, dass er niemals wiederkehren möge.
Als drei Jahre verflossen waren, ohne dass von ihm ein Lebenszeichen eintraf, hielten ihn alle für tot.
Seine Gemahlin, die schöne Marika, musste die ganze Zeit hindurch allein in der großen Burg wohnen. Einmal besuchte sie ein junger Ritter aus Pitten, der sich Hals über Kopf in sie verliebte. Es gelang ihm, das Herz der schönen Frau zu betören und ihre Zuneigung zu gewinnen.
Das traute Verhältnis fand jedoch ein jähes Ende, als der Burgherr eines Tages durch Boten seine Rückkehr ankündigte. Da wurde Frau Marika von Verzweiflung gepackt. In Trauerkleidern warf sie sich ihrem heimkehrenden Gatten zu Füßen, gestand ihre Schuld und bat demütig um Verzeihung.
Doch Stefan Batthyány stieß sie von sich.
Er ließ sie von seinen Knechten fesseln und im Schwarzen Turm einmauern. Den Ritter, der es gewagt hatte, sich seiner Gemahlin zu nähern, tötete er mit eigener Hand.
In dumpfem Groll verbrachte er fortan seine Zeit. Kein helles Lachen ertönte mehr in den weiten Hallen der Burg. Knechte und Mägde schlichen bedrückt umher. Der Graf trug stets eine finstere Miene zur Schau, wenn er sich blicken ließ. Zumeist saß er im obersten Burggemach und blickte hinaus in das Land, als suchte er das verlorene Glück.
Anfangs war der Zorn mächtig in ihm, aber mit der Zeit gab es auch Stunden, wo er sich selbst anklagte, dass er zu hart gegen seine Frau gewesen sei. Er hätte sie nicht so lange allein lassen dürfen!
Solche Überlegungen machten ihn zornig und unbeherrscht, und alle mieden dann seine Nähe.
Am ersten Jahrestag nach dem schrecklichen Ende seiner Gemahlin ging Graf Stefan in seinem Gemach ruhelos auf und ab. Der qualvolle Tod seiner Frau, ihr flehender Blick, ihre Tränen, ihr Schluchzen – all das war es, was seine Gedanken – wie so oft in letzter Zeit – bewegte.
Da er keinen Schlaf finden konnte, setzte er sich in seinen Armstuhl, der neben dem Fenster stand, und sah in die dunkle Nacht hinaus.
Da tat sich plötzlich die Tür auf und herein trat - ganz in Weiß gekleidet - seine tote Frau. Sie blieb nach drei Schritten stehen, blickte ihn flehend an und winkte ihm, ihr zu folgen.
„Marika!“ rief Graf Stefan erbleichend. Er wollte sich erheben, aber er zitterte so stark, dass es ihm unmöglich war, sich zu bewegen.
„Marika!“ wiederholte er mit tonloser Stimme.
Regungslos verharrte die Frau an der Tür, den kopf ein wenig nach links geneigt, die gefalteten Hände an die linke Wange geschmiegt – so wie sie es immer getan hatte, wenn sie nachdenklich war. Ihre dunklen Augen blickten seltsam starr ins Leere.
Plötzlich bewegten sich ihre Lippen. Ein kläglicher Laut – mehr wie ein Wimmern – wurde hörbar, dann zerfloss die Erscheinung in einem wallenden Nebelschleier.
Als sich Graf Stefan von seinem Schreck erholt hatte, stürzte er zur Tür hinaus und schrie wie wahnsinnig um Hilfe.
Sein Leibwächter eilte als erster herbei. Ihm erzählte der Graf mit stockender Stimme das schaurige Erlebnis. Dann tat er noch einen schweren Seufzer und fiel, vom Schlage getroffen, tot zu Boden.

Quelle: Friedrich Schattauer: Burgenland - Sagen und Legenden, KFM-Verlag Waidhofen/Thaya, 1980


Textauszug

(Ein junger Bauernbursch mit einem Ranzen kommt vorbei. Der Blinde spielt. Der Narr und sein Gehilfe sehen sich die Szene aus der Distanz an.)

DER BLINDE:
           Halt ein, mein Freund, ach zügle deine schnellen Schritte
           Ich seh, in Kummerfalten wirft sich deine Stirn
            Von zwei Möglichkeiten gibt es immer noch ne Dritte
            Und auch der Faden deines Glücks ist nicht aus Zwirn.
            Drum ist’s gescheiter, wenn du wieder lachst
            Und mir an diesem Orte
            Für meine weisen Worte
            Eine nicht zu kleine Spende machst!
            Denn was ich seh, das seh ich nun einmal –
            Und das ist, ach glaube mir, nicht zuviel in diesem Fall!

DER BAUER: Ach was, du Scharlatan, der Faden meines Glücks ist längst gerissen! Hunger und Not, davon hätt ich noch leben können, weil hierzuland und unter dieser Herrschaft ohnehin niemand von was anderem lebt. Aber gestern ist mir, entkräftet vom Hunger wie sie war, auch noch meine Frau im Kindsbett gestorben, und da soll ich nun lachen?! Sei froh, dass du blind bist, sonst würd ich mich für deine weisen Worte schon in der gebührenden Weise erkenntlich zeigen! Da, das ist meine Spende für dich!

(Er spuckt in den Blecknapf. Geht weiter. Der Narr hält ihn auf.)

DER NARR: O, ich verstehe dich so gut, mein Bruder. Und nun gehst du in deiner Verzweiflung mit dem Grafen in den Krieg.

DER BAUER: Wenn er mich nimmt, bin ich nicht abgeneigt.

DER NARR: Er wird dich nehmen. Denn er sucht nach Männern wie dir, die in der Hitze des Gefechtes alles gewinnen werden, weil sie selbst nichts mehr zu verlieren haben.

DER BAUER: Ganz genau so ist es.

DER NARR: Endlich wieder etwas anderes sein als das von Gott verfluchte Häuflein Elend …

DER BAUER: Ganz genau!

DER NARR: Geadelt durch die Gefahr, gekrönt durch den Tod.

DER BAUER: Wie wahr du sprichst. Und wie gewählt! Anders als dieser Schleimbeutel da!

(Ein schwarzer Reiter kommt langsam auf seinem Rappen vorbei. Narr, Diener und Bauer gehen in die Knie und bekreuzigen sich.)

DER NARR: Siehst du, das ist dein Tod, mein Freund.

DER BAUER: Mein Tod?

DER NARR: Dein Tod, der dich zu einem Helden macht!

DER BAUER: Mich zu einem Helden macht ... ich werde also ein Held sein, ein wirklicher Held?!

DER NARR: Nur durch den Tod! Da reitet er dahin. Und du wirst ihm fortan folgen bis zu jenem Tag, da ihr euch beide in der Schlacht begegnet. Unter seinem Mantel verbirgt sich der Ruhm, den er über dich schütten wird zum Wohle des Vaterlandes. Deine Ehre heiße Treue!

DER BAUER: Jawohl, meine Ehre heißt Treue!

DER NARR (erhebt sich und putzt sich ab): Ich frag mich allerdings nur, warum du dein gesamtes Erspartes mit in den Krieg nehmen willst.

DER BAUER: Ach was, mein gesamtes Erspartes! Das ist gerade so viel, dass ich mir neue Stiefel kaufen kann. Mit solchen Lumpen an den Beinen geht doch ein richtiger Soldat nicht in den Krieg!

DER NARR: Das ist schon richtig. Doch andererseits: willst du wirklich riskieren, dass - nachdem du im eigenen Blute verröchelt bist - sich irgend solch ein Muselmane deiner neuen Stiefel bemächtigt? Da hast du nun jahrelang den letzten Notgroschen in deinem Beutel gehütet wie dein Augenlicht, hast selbst gehungert und dein Weib hungern lassen, nur damit du ihn dir aufheben kannst für noch schlechtere Zeiten, und das soll nun in Form von nagelneuen Stiefeln dem Sarazenen in die Hände fallen?

DER BAUER: Da habt ihr allerdings auch wieder recht. Was mach ich nur?

DER NARR: Ich würde sagen: Du überlässt den Beutel ganz einfach mir. Und solltest du es dir am Schlachtfeld überlegen und dich doch gegen den Heldenruhm entscheiden, solltest du also wider alle deine Pläne Verrat an deiner Entscheidung, dem Tode zu begegnen und die Ehre zur Untreue erklären …

DER BAUER: Das werde ich mitnichten, meine Ehre heißt Treue!

DER NARR: … so wirst du bei deiner Heimkehr ganz einfach nach dem Narren fragen, der dir den Beutel sodann zurückerstattet.

DER BAUER (zieht den Beutel aus dem Wams): Das ist ein guter Rat. Zu dir hab ich Vertrauen, denn du versuchtest mir nicht etwas einzureden, was nicht stimmt!

DER NARR: Ich hab noch niemals irgendjemand irgendetwas eingeredet, nicht einmal versucht!

DER BAUER (gibt dem Narren den Beutel und küsst seine Hand): Danke, mein Herr, vielen Dank. Nun ist mir leichter.

DER NARR (wiegt den Beutel): Das glaub ich auch. Und nicht vergessen: folg immer brav dem Grafen – und diesem schwarzen Reiter. Auch wenn er dir mitunter abhanden kommt: verzage nicht, du wirst ihn wieder treffen.

Der Bauer ab. Der Narr öffnet den Beutel, legt sich in die Schiebetruhe.

DER NARR: Ab mit uns, unser Pensum ist für heut erledigt. (Wirft einen Blick auf den Blinden.) Hab ich nicht gesagt: es gibt Talentierte. Und dann gibt es leider auch weniger Talentierte. (Betrachtet den Blinden.) Ich will damit natürlich nicht behaupten, dass auch die weniger Talentierten nicht dazulernen könnten.

(Wälzt sich aus der Schiebetruhe. Öffnet den Beutel, wirft dem Blinden ein paar Münzen in den Blechnapf.)


DER NARR: Bist ja auch nur eine arme Sau, die nichts kann ... für den ganzen Schmarren!

(Schließlich legt er ihm den ganzen Beutel in den Blechnapf.)

DER NARR: Verdammter Hund, werd selig!

(Legt sich in die Schiebetruhe. Der Diener schiebt ihn fort. Der Blinde schiebt sich die Blindenbinde über die Augen, zählt das Geld im Napf und im Beutel.)

DER BLINDE:  Ach wie schön ist es doch, andere für sich arbeiten zu lassen. Es gibt solche Narren, die tun das auch noch freiwillig. Ein Narr bleibt ein Narr, und das ein Leben lang. Aber immerhin, der Trick mit dem Reiter war nicht schlecht. Den muss ich mir merken.

(Er steckt den Beutel ein und zieht die Blindenbinde wieder über die Augen.)